Samstag, 7. Juli 2018

Unsere Analysten arbeiten zu Ergebnisorientiert

Oder zu "Narrativ-getrieben"... eines von beidem, ich bin mir noch nicht ganz sicher...

Aber es ist echt faszinierend: Im Wesentlichen gucken unsere Experten immer aufs Ergebnis und sagen dann: Der Mann hat alles richtig gemacht.

Und dann kommt ein anderer Trainer, trifft dieselben Entscheidungen, kassiert aber kurz vor Schluss den Ausgleich... und hat deswegen seiner Mannschaft die falschen Signale gesendet... warte was?

Um das ganze konkret zu machen: Garteh Southgate hat im Achtelfinale genau so agiert wie Roberto Martinez gestern im Viertelfinale. Aber der eine hat halt das Glück, dass die Brasilianer ihre Chancen auslassen und es deswegen nicht zur Verlängerung kommt.
Sein eigener Beitrag war dazu... minimal. Zur Halbzeit hieß es noch: Das kommt den Belgiern entgegen, die haben eine der besten Kontermannschaften des Turniers und jetzt werden sich die Räume bieten, die sie brauchen... und dann fahren die in der gesamten 2. Halbzeit keinen wirklich gefährlichen Konter...
Und der Trainer reagiert darauf bis zur 83. Minute gar nicht... und bringt dann 2 Defensivleute um den Vorsprung über die Zeit zu retten... Natürlich hat das funktioniert, aber eine gut aufgestellte Mannschaft reagiert trotzdem anders.
Und wenn die Brasilianer den durchaus möglichen Ausgleich machen, fragen alle, warum Dries Merten 90 Minuten auf der Bank blieb... hätte man den nicht nach 60 oder 70 Minuten für Nacer Chadli einwechseln müssen? Aber bei unseren Experten gilt die Regel: Wer gewinnt hat alles richtig gemacht. Ich würde mich freuen, wenn wir das mal überwinden könnten...

Faszinierender Weise haben die Engländer ja ihre Lektion gelernt... und sind erst aufs 2:0 gegangen, bevor sie in den Verwaltungsmodus geschaltet haben. Da sieht man die Fortschritte, die Mannschaft und Trainer gemacht haben..

Um das mal an einem weiteren, praktisch grausamen, Beispiel festmachen: Dem meiner Meinung nach bisher am besten gecoachten Spiel der WM: Russland - Spanien. Beide Trainer hatten einen klaren, mehrstufigen Matchplan, den sie umgesetzt sehen wollten. Beide ließen deswegen erst Mal ihre Helden auf der Bank. Und ja, ich gehe davon aus, dass sich Stanislav Cherchesow bewusst für den 1,96m Brocken Artyom Dzubala entschieden hat... weil das halt auch der Typ Stürmer ist, an dem du dir als Verteidiger weh tust, wenn du in einen Zweikampf gehst... und dann hat er nach einer Stunde die fähigeren Fußballer mit Cherychev und Smolov um doch noch einen Konter zu fahren, in dem sie die Abnutzungserscheinungen bei Sergio Ramos und Pique ausnutzen. Das hat natürlich am Ende nicht mehr geklappt, aber der Plan war trotzdem klar erkennbar.
Genau so wie Fernando Hierros Plan Andres Iniesta nach einer Stunde zu bringen und dann gegen einen Müde werdenden Gegner zielstrebiger in den Strafraum zu spielen. Hat auch nicht funktioniert, was aber nicht heißt, dass der Plan schlecht war... er wird nur hinterher als "schlecht" bewertet, weil man die vorhandenen Chancen nicht genutzt hat.

Aber so sollte ein gut gecoachtes Fußballspiel aussehen. Und als Experte sollte man dann nicht überrascht sein, wenn ein alter Sack wie Iniesta auf der Bank startet, sondern so einen Plan erkennen und erklären. Das könnte dem gemeinen Zuschauer dabei helfen das Spiel besser zu verstehen...

Völlig absurd wird das ganze natürlich bei Jogi Löw. Der muss sich auf ein Mal von allen Seiten vorwerfen lassen, dass er an Manuel Neuer festgehalten hat und damit jegliches Leistungschprinzschip ausgesetzt hat. Was in seiner Mannschaft schlecht angekommen sein soll...
Dabei dürfte selbst ein Marc Andre ter Stegen in ehrlichen Momenten sagen, dass es richtig war auf den herausragenden Torhüter unserer Generation zu setzen. Wir reden halt von Manuel Neuer...
Vor allem aber ist der "Leischtungschprinzschip" Witz so alt wie dieser Blog. Den bringe ich seit Jahren. Denn es gab den einen Spieler, für den Jogi Löw dieses Prinzip immer außer Kraft gesetzt hat. Und ja, es gibt keinen sachlichen Grund, warum ein durchschnittlicher Bundesligaspieler wie Lukas Podolski 6 große Turniere gespielt hat. Aber da Löw ja immer ins Halbfinale kommt, hat da kaum jemand drauf hingewiesen (außer natürlich meine Wenigkeit)... Obwohl er sachlich gesehen damals dieselben Fehler gemacht hat wie jetzt...
Auch all die Bilder, die Löw jetzt vorgeworfen werden... wären als ein "Da strahlt er Souveränität und Sicherheit aus" interpretiert worden, wenn Mats Hummels den Ball ins Tor köpft. Jetzt muss er, der ja immer auch auf Bilder bedacht war, sich das plötzlich vorwerfen lassen.

Jogi Löw hat denselben Mist gebaut wie immer. Es ist dieses Mal nur aufgefallen, wie viel Mist das war. Und ja, als Experte sollte man in der Lage sein das auch anzusprechen, wenn es zufällig gut geht...

Ein weiteres spannendes Beispiel ist ja (und jetzt sind wir beim "narrativ-getrieben") die Erdogan-Affäre: Wie sich jetzt alle darauf versteifen, dass Mesut Özil und Ilkay Gündogan wegen dieses Fotos so scheiße gespielt haben... dass man das ganze auch ganz unpolitisch erklären kann, wenn man sich einfach nur die Vorleistungen auf dem Platz anguckt...

Also Mesut Özil hat sich halt in den letzten 2 Jahren von einem Fixpunkt der Offensive eines Champions League Teilnehmers zum Fixpunkt der Offensive eines Europa League Teilnehmers "weiter" entwickelt. Der ist halt nicht mehr derselbe Spieler, der er vor 2 oder 4 Jahren war... für den Arsenal London 47 Millionen Euro Ablöse an Real Madrid überwiesen hat. Der kommt halt mittlerweile nur noch auf 18 und 13 Scorerpunkte, während er vorher gerne mal 19 Vorlagen in einer Saison gesammelt hat. Und natürlich ist Özil nicht alleine dafür verantwortlich, dass Arsenal international nur noch zweitklassig spielt. Aber er ist definitiv ein prägender Teil dieser Mannschaft und damit dieser Entwicklung.
Dass ein Özil, der einfach nicht mehr so gut ist wie vor 4 Jahren, dann auch nicht mehr so gut spielt... erscheint erstaunlich logisch...

Und Ilkay Gündogan? Hat halt seine erste Saison als Stammspieler in der Premiere League gespielt. Also ohne Winterpause fast 50 Spiele auf Vereinsebene abgeliefert. 2.800 Minuten für Manchester City... Hier ist eine spannende Erkenntnis: Die meisten Spieler sind, wenn sie dies das erste Mal durchmachen, am Ende auch einfach durch. Es ist ja nicht so, das Gündogan der erste Premiere League Profi ist, der danach dann ein enttäuschendes Turnier spielt. Genau genommen war das Jahrelang eher die Regel als die Ausnahme... und ja, dass jetzt die Premiere League Spieler die WM prägen ist die eigentliche große Überraschung... Vielleicht haben die Vereine da auch einfach was in der Belastungssteuerung gelernt. Aber führt jetzt so weit. Das wichtige ist: Man kann Gündogan Leistung auch erklären, ohne ein politisches Drama herbeizureden.
Und dann kann man auch Löws Arbeit wieder sachlich kritisieren und ihn fragen, warum er es dieses Mal (im Gegensatz zu sonst immer) nicht geschafft hat, seine Mannschaft frisch und fit zukriegen... Da wird die Kritik spannend.

Das wirklich Problem an all dem relativ leeren Mediengebrüll über "den Zusammenbruch" ist ja: Die eigentliche Ursache spricht kaum jemand an: Es fehlt Deutschland an guten und sicheren 6ern. Wir haben es nicht geschafft, Bastian Schweinsteiger zu ersetzen. Es fehlt der Sicherheitsspieler, der einfach nur für Stabilität sorgt. Weil Gündogan überspielt war und Sebastian Rudy als einzige ernste Alternative verletzt ausschied.
Und das ganz große strukturelle Problem dabei ist: Es gibt auch kaum Alternativen. Also man muss halt hoffen, dass Julian Weigl wieder mit Dortmund in die Spur kommt. Oder (und auch da wird es wieder spannend, denn da kann man jetzt wieder sachlich über Löw reden) dass der Nationaltrainer seine Ablehnung gegen die Bender-Zwillinge überwindet...
Faszinierender Weise... hat der Kicker darauf hingewiesen, dass es für Brasilien ein Problem ist, wenn Casemiro gesperrt fehlt... also genau der Spieler, der bei Real Madrid die Drecksarbeit für Toni Kroos macht und für die nötige Stabilität sorgt... Dass wir Deutschen so einen Spieler auch dringend brauchen... und dass weder Kroos noch Khedira (so gut die beiden sein können) dieser Spielertyp sind...
Aber es würde ja niemand auf die Idee kommen, Löw dafür zu kritisieren, dass er nur einen Stabilitäts-Sechser in seinem Kader hatte. Und dass dieser 6er bei den Bayern nur Ergänzungsspieler ist... was aber auch nur darauf hinweist, wie schlecht wir diesen Spielertyp ausbilden... Aber das fällt halt einerseits niemand auf... und es passt anderseits nicht ins emotionale Geschrei, welches wir "tiefgehene Aufarbeitung" nennen...

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