Montag, 16. Juli 2018

Der Weltmeister der Herzen ist...

Dänemark. Ganz klar: Dänemark. Warum? Nun ja, sie waren die einzige Mannschaft, die gegen Frankreich und Kroatien spielte und beide Duelle nicht verloren hat. Damit sind sie eindeutig die beste Mannschaft des Turniers.

Ganz ehrlich... ich kann den ganzen "Weltmeister der Herzen" Hype, der zumindest durch meine Sozialen Medien geht, nicht nachvollziehen... Warum soll mir diese Mannschaft, die die meisten Gelben Karten gesammelt hat, sympathisch sein? Und an der Stelle muss nochmal zwingend erwähnt werden: Lucas und Kanté sahen für ihre ersten taktischen Fouls direkt Gelb... Dass die Kroaten einen schnellen Gegenangriff von Mbappé noch tief in der französischen Hälfte unterbanden, ohne dafür Gelb zu sehen, ging dagegen komplett unter... Bei den einen gab's für das unterbinden von Angriffsgelegenheiten sofort Gelb, bei den anderen nicht... ich erwähn's ja nur, bevor alle über den falschen Freistoßpfiff heulen...

Oder diese Nation, die zuletzt 1998 ein K.O. Spiel nach 90 Minuten gewonnen hat... oh... ja... natürlich sind die sympathisch, die haben damals Deutschland geschlagen... hätte ich fast vergessen... Ich wusste nur nicht, dass der "Wer Deutschland schlägt, ist mir auf ewig sympathisch" Ansatz fürs ganze Land gilt...

Oder diese Nation, die gegen die schon erwähnten Dänen und Russland ein Elfmeterschießen benötigten um das Weiterkommen zu sichern... Und dann beeindruckender Weise im Halbfinale die Mannschaft war, die nach der 60 Minute noch Benzin im Tank hatte... Die zulegen konnte, während England abgebaut hat...
Man stelle sich vor, die Russen hätten das gemacht... Also die Engländer trotz zusätzlicher Verlängerung am Ende in Grund und Boden gerannt... da hätten alle sofort einen Dopingverdacht gerochen... aber bei den Kroaten... also ehrlich... das würden die doch nie...
Dass immer genau vor den Russland-Spielen ein großer Bericht übers Doping in unsere Wohnzimmer gesendet wurde, aber der Sport sonst immer sauber war, war ein sehr subtiles Mittel der Beweisführung, wer denn hier die Bösen sind...

Oder die Nation, die auf dem Weg ins Finale auf eine einzige "gute Nation" traf. Mit Argentinien warf man einen Titelfavoriten raus. Bezeichnender Weise auch in ihrem einzigen wirklich guten Spiel des Turniers... An sonsten gab es Mannschaften als Gegner, die mit dem Erreichen eines Achtelfinales zufrieden gewesen wären... und ja, auch England fällt in diese Kategorie: Die hatten starke Standards... und das war's.

Ich meine ganz ehrlich... stellt euch mal vor eine andere, traditionellere Nation hätte sich so durchs Turnier gemogelt... und immer wieder mit geschickten taktischen Fouls den Spielfluss unterbrochen, ohne dass jemals ein Spieler gesperrt wird... Und hätte dann trotzdem immer wieder unfassbar viel Glück gebraucht... anders ausgedrückt: Stellt euch vor, wir würden über Deutschland aus dem Jahr 2002 reden... Nur mit Michael Ballack im Finale... Da würde niemand behaupten, dass die irgendwie sympathisch waren... das ist einem selbst als Deutscher irgendwie bewusst...

Aber weil die Kroaten so schön klein sind... setzen wir da andere Maßstäbe an...

Und versteht mich nicht falsch: Ich habe allerhöchsten Respekt vor der Leistung der Kroaten. Die haben es nicht nur geschafft, eine herausragende Generation an Fußballern auszubilden... sie haben es auch geschafft aus dieser Mannschaft eine Einheit zu bilden... also abgesehen von dem einen, den sie Heim geschickt haben... aber Details.
Dass die Starspieler und Champions League Sieger Luka Modric und Ivan Rakitic sich so ins Kollektiv dieser Mannschaft eingebracht haben, ist keine Selbstverständlichkeit. Dass sie ihre Fähigkeiten genutzt haben um andere (schlechtere) Spieler ins Laufen zu kriegen... und ja, die Kroaten hatten nur diese 2 Weltklasse Leute. Dazu Mandzukic, Brozovic und Perisic, denen man internationale Klasse attestieren kann... Der Rest waren eher Mitläufer.
Und es ist ja nicht so, dass diese Generation der Kroaten nicht vorher oft genug gescheitert wäre... Eher im Gegenteil: Bevor Zlatko Dalic das Team übernahm, war man auf dem Besten Weg in der Qualifikation zu scheitern... Mit diesem Trainer ging es dann plötzlich erstaunlich weit. Da kann man mal sehen, was ein wirklich guter Trainer für Auswirkungen haben kann... Nicht, dass wir das zeitnah erfahren werden, wir verlassen uns weiterhin auf das Talent in der Truppe... reicht ja meistens auch...

Aber überlegt einfach mal, wie viele Starspieler bei dieser WM entweder mit der Gesamtsituation überforder waren wie Sadio Mané... oder eher die Diva raushingen ließen wie Robert Lewandowski... oder eine Mischung aus beidem wie Mohamed Salah und Lionel Messi... Oder die sich gesagt haben: 94 gute Minuten müssen reichen, ich muss ja noch nen Umzug planen wie Cristiano Ronaldo... Es gab erstaunlich viele Starspieler, die ihre persönlichen Interessen in den Vordergrund gestellt haben... die haben dann weder ihre Leistung gebracht noch ihre Mitspieler besser gemacht.
Die beiden Kroaten haben da wirklich herausragendes geleistet... aber auch verdammt viel Glück gehabt.
Und sie waren als Kollektiv verdammt weit davon entfernt wirklich ansehnlichen Fußball zu spielen. Genau so wie die Franzosen. Auch Didier Deschamps hat es geschafft, seine Individualisten hervorragend ins Kollektiv einzuordnen, ohne ihnen ihre Stärken zu nehmen... und all die Stars haben da mitgezogen... Man könnte behaupten, diese WM war eine reine Kollektivstrafe für den neutralen Zuschauer.
Vor beiden Mannschaften habe ich höchsten Respekt. Aber unter dem Titel "Weltmeister der Herzen" verstehe ich was anderes...

Und das ist irgendwie auch das eigentliche Problem: Genau der fehlt dieses Jahr extrem. Diese Mannschaft, wo man hinterher als neutraler Fußballer sagen kann: Boah, die haben geilen Fußball gespielt, die hätten mehr verdient gehabt. Die haben mich mit erfrischenden Angriffsfußball überzeugt... es war halt die WM des eiskalten Pragmatismus...
Am Ende standen die beiden Mannschaften, die diesen Pragmatismus perfektioniert hatten, verdient im Finale. Und die pragmatischere der beiden gewann den Titel.

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