Montag, 9. Juli 2018

Neymar vs Berg

Oder: Die Michael Ballack Regel re-revisited...

Aber alles zu seiner Zeit, wir kommen da noch hin.

Es gibt ja die eine Sache, bei der sich alle einig sind: Die Schauspieleinheiten und das Zeitspiel auf dem Rasen ist kaum noch zu ertragen... Da weist der Schiedsrichter den Spieler darauf hin, dass der Stadionsprecher gerade seine Auswechslung durchgesagt hat und der Spieler tut dann so, als hätte er das erst in diesem Moment erfahren. Und ja, der Auszuwechselnde ist immer der einzige, der es nicht mitbekommt... Der wird sich wahrscheinlich fragen, worüber die Spieler um ihn herum gerade tuscheln... Die Antwort: Wie sie das Spiel taktisch ohne dich beenden, jetzt beweg dich du Vollpfosten.

Und ja, Zeitspiel war immer ein Problem im Fußball. Das wird man aus den Spielern auch nicht mehr rausbekommen... es sei denn, man ahndet es konsequent und vernünftig: Wenn du als Schiri überzeugt bist, dass der Junge nur so tut, als hätte er das als einziger nicht mitbekommen... dann gib ihm Gelb... Und wenn er sich dann genüsslich die Schienbeinschoner auszieht, zeigst du ihm Gelb-Rot. An solchen Stellen muss man halt einfach viel schneller mit Verwarnungen reagieren, wenn man das wirklich ändern will...

Dasselbe gilt ja grundlegend bei den Schauspieleinlagen. Hier hatte man ja eigentlich gehofft, dass der Videobeweis zumindest im Strafraum zu einem Umdenken führt. Denn ein unmotiviertes Fallen sollte jetzt ja nicht mehr belohnt werden...
Dass dieser Videobeweis da aber noch nicht so funktioniert, wie erhofft, kann man am Besten an 3 Szenen festmachen:
Zunächst haben wir den Zweikampf zweier ehemaliger HSV-Stars: Marcus Berg wird von Antonio Rüdiger auf die Reise Richtung Manuel Neuer geschickt. Jerome Boateng geht mit vollem Risiko in den Zweikampf und trifft definitiv nicht den Ball. Berg... sucht allerdings trotzdem den Abschluss und scheitert am Leistungsprinzipsaussetzer. Und kriegt deswegen den Elfmeter nicht.
Diese Szene wird aber bei all den Schauspielleistungen immer außen vor gelassen. Dabei symbolisiert sie das Grundproblem: Wer nicht schreit und theatralisch fällt, kriegt halt auch keinen Elfmeter. Obwohl der definitiv berechtigt wäre und der Videobeweis eingreifen müsste... Also ja, es gibt die Vollidioten, die durch die Deutschland-Brille schauen und sagen: Wieso, der kam doch zum Abschluss, dann ist es doch kein Foul... dass sind aber dieselbe Idioten, die vor dem 1:0 von Mexiko ein Foul an Khedria gesehen haben... Solche Meinungen kann man ignorieren...

Auf der anderen Seite... haben wir den Oscar-Gewinner Neymar. Der gegen Costa Rica ebenfalls in eine gute Abschlussposition kommt, aber anstatt den Torschuss zu suchen eine Schwalbe produziert... und dafür zumindest in erster Instanz einen Elfmeter bekommt. Immerhin nur in erste Instanz. Als Fakhreddine Ben Youssef für Tunesien gegen England einen lächerlichen Kontakt übertrieben verkauft (und sich direkt hinterher offensichtlich darüber freut, dass es funktioniert hat), bleibt der Elfmeter bestehen...

Und wenn man sich diese 3 Szenen am Stück anguckt... kann man den Spielern auf ein Mal keinen Vorwurf mehr machen, dass sie sich theatralisch fallen lassen. Es ist offensichtlich der richtige Spielzug. Und das hätte der Videoschiedsrichter zumindest im Fall Berg zwingend ändern müssen: Wenn wir es in die Köpfe der Spieler bekommen, dass die Strafstöße wegen der Foulspiele und nicht wegen des dramatischen Umfallens gegeben werden. Wenn die Stürmer irgendwann begreifen, dass sie ihrer Mannschaft nicht schaden, wenn sie den Abschluss suchen, sondern die fälligen Elfmeter auch dann bekommen, wenn sie sich sportlich vorbildlich verhalten... DANN wird die sich dieses Problem zumindest im Strafraum bessern. Denn dann kann man als Stürmer den Abschluss und das Foul gleichzeitig suchen... Derzeit muss er sich quasi immer für eines entscheiden... und man kann dann dem Stürmer schlecht vorwerfen, dass er sich fürs Elfmeter schinden entscheidet...

Und die andere wichtige Instanz... fordert halt keiner. Also es gab in den letzten Tagen haufenweise Beschwerden über Neymars Verhalten auf den Platz. Keine Seite im Kicker, in der es im weitesten Sinne um Brasilien geht, kommt ohne einen Seitenhieb auf dessen Hang zum Schauspiel aus... und alle jammern, dass der ja so ein schlechtes Vorbild für die Kinder ist... Als nächstes wird gefordert, dass Trainer Tite den erziehen muss... Ein Mensch, der zum absoluten Erfolg verdammt ist, wenn er wieder in die Heimat einreisen will, soll seinem besten Spieler Verhaltensweisen austreiben, von denen seine Mannschaft nur profitiert? Spinnt ihr eigentlich?

Es gibt die Leute, die das Neymar austreiben könnten. Und es gäbe eine sehr einfache Forderung, die man diesen Leuten an die Hand geben könnte: Verwarnt die Schauspieler einfach für ihre Unsportlichkeiten. Als Schiedsrichter kann man das... ja man müsste es sogar...
Nehmen wir halt den Elfmeter, den Neymar mit einer Schwalbe provozieren will: Praktisch gesehen muss Björn Kuipers ihn dafür, nachdem er das via Videobeweis erkannt hat, auch Gelb geben.
Dazu hätte Kuipers ihm viel früher als in der 81. Minute dafür verwarnen müssen, dass er jeden Pfiff und jeden Zweikampf kommentierte... Kuipers hat mit dieser Verwarnung viel zu lange gewartet...

Aber das faszinierende: Die Gelbe Karte hat ja zumindest in Ansätzen gewirkt. Im 3. Gruppenspiel wurde dem Jungen anscheinend vorher vermittelt, dass er gesperrt werden wird, wenn er sich wieder so aufführt wie gegen Costa Rica. Und dann hielt er sich zurück...

Bis zur jetzt schon legendären 71. Minute gegen Mexiko... wo er wieder mit einer übertrieben Schauspieleinlage ein Strafe für den Gegner provozieren wollte. Und auch hier gibt es für den Schiedsrichter genau 2 Möglichkeiten: Entweder er nimmt Neymar das Drama ab, geht zum Videobeweis und zeigt demjenigen, der den Superstar so übelst böse getreten hat, Rot... Was offensichtlich nicht der Fall war.
Oder ich gehe als Schiedsrichter davon aus, dass uns Neymar gerade kollektiv verarscht und gebe ihn für die Unsportlichkeit Gelb... Und da er schon im Aus liegt, kann es danach direkt mit Einwurf weitergehen.
Wenn man dann noch die relativ harmlose Schwalbe in der 91. Minute gegen Belgien hinzuzieht... hätte Neymar während diese WM 4 Gelbe Karten für sein unsportliches Verhalten bekommen können oder müssen...
Oder anders ausgedrückt: 2 mal gesperrt zuschauen. Und das wäre genau der Moment, wo er dann vielleicht was merkt. Wo dann auch der Trainer auf ihn einwirkt und ihm sagt: "Du schadest uns und dir mit deinem Verhalten." Und wo es vielleicht mal "Klick" macht... Also es ist die einzige Möglichkeit, wie es jemals bei dem "Klick" machen könnte...

Aber fragt euch mal selber, wie viele Analysten und Experten Verwarnungen für Neymar gefordert haben... in wie vielen Spielberichten ein "hätte dafür verwarnt werden müssen" auftaucht... Natürlich lest ihr das nicht. Weil das keiner fordert. Wir wollen zwar einerseits, dass der Fußball nicht durch so einen Scheiß geprägt wird... wir haben aber andererseits so viel Angst davor, dass unsere Superstars gesperrt fehlen, dass wir ihnen diese Extravaganzen immer wieder durchgehen lassen. Und da sind wir dann wieder bei der legendären "Michael Ballack Regel":  Wir arrangieren uns eher damit, dass taktische Fouls und Zeitspiel die Halbfinal-Spiele kaputt machen, weil keinem eine Sperre droht, als uns mit dem Gedanken, dass ein Superstar ein Finale gesperrt verpassen könnte, zu beschäftigen... obwohl diese Regel praktisch dazu führt, dass die Halbfinale wesentlich schlechter aussehen werden... weil man theoretisch 8 taktische Fouls begehen kann, ohne dass irgendjemanden eine Sperre droht... Und ja, auch dieses Mal wird immer irgendjemand die Bremse ziehen, wenn Tempo ins Spiel kommt...

Und genau so sieht es bei den Schauspieleinlagen aus. Es wäre für die Fifa vor dem Turnier überhaupt kein Problem gewesen, ein Dossier für die Schiedsrichter und die Öffentlichkeit auszugeben, in dem darauf hingewiesen wird, dass Schauspieleinlagen konsequent mit Gelb geahndet werden sollen. (Wie man es beim Fordern des Videobeweises getan hat... wäre natürlich schön gewesen, wenn das auch ein Schiedsrichter angewendet hätte, aber theoretisch soll es dafür Gelb geben...) Sowohl die großen von Neymar, als auch die kleinen von Gabriel Jesus, der im Viertelfinale ebenfalls ein mal um fiel, als hätte ihm jemand das Bein gebrochen... und dann aber, weil man ja zurück lag, sofort wieder aufspringt, als er merkte, er kriegt den Pfiff nicht... Auch dieser Stürmer wollte ein Foul und eine Strafe für den Gegner provozieren.

Ob das bei all den Versteckten Fouls, die ein Sergio Ramos austeilt, wirklich das wichtigste ist, sei mal dahin gestellt. Aber wenn man sich darüber aufregt, muss man auch einfach die logischen Konsequenzen fordern... und damit leben, dass ein Neymar dann 2 Mal pro Turnier gesperrt fehlt. Oder ihr lasst es. Dazwischen gibt es wenig Spielraum.
Da aber keiner will, das Neymar (oder Spieler von seiner Klasse) gesperrt auf der Tribüne sitzen, werden wir auch in Zukunft deren divenhaftes Verhalten ertragen müssen.

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