Dienstag, 19. Juni 2018

Warum entscheiden Standards die Gruppenphase?

Um uns mal mit einer eigentlich einfachen Frage zu beschäftigen.
Und neu ist die Erkenntnis ja nun wirklich nicht... Es fallen schon seit Jahren bei den großen Turnieren verdammt viele Tore nach ruhenden Bällen... Aber dieses Mal ist es wahrscheinlicher, dass wir einen Elfmeter zu sehen bekommen als ein heraus gespieltes Tor... Das kann nicht normal sein...

Und ja, auch in der Bundesliga fallen 34% der Tore in der Hinrunde nach Standartsituationen... warum diese komische Einschränkung... nun ja, irgendwie gibt es auf Bundesliga.de nur Zahlen zur Hinrunde... und Bilderserien verlinken oder selber Nachrechnen erscheint mit zu kompliziert. Und ordentliche Statistik-Seiten für die Bundesliga gibt es halt nicht wirklich...


Kommen wir also zum entscheidenden "Warum ist dies so?" Denn wenn man sich damit beschäftigt, kann man ja wirklich was lernen.

1. Standarts lassen sich leichter einstudieren.
Um mal das offensichtliche als erstes zu erwähnen. Fußball ist ein Sport, der sich bei aller Struktur erstaunlich häufig um die Improvisation dreht. Also verglichen mit Basketball. Dass der Spieler mit dem Ball einen Spielzug ansagt und dann die 4 anderen Athleten daraufhin koordiniert übers Feld laufen ist in der NBA ein völlig normaler Vorgang. Und natürlich lässt so ein Spielzug auch Platz für Improvisation und überraschende Ausstiege. Und es gibt selten nur eine Option. Dann wäre es ja leicht zu verteidigen... Dennoch gibt es im ganz normalen Spielverlauf ganz klare und angesagte Spielzüge.
Fußball basiert dagegen auf Automatismen... Der Unterschied mag da im Detail liegen. Lässt sich aber Wunderbar an der Spielanlage der Argentinier aufzeigen. Deren Idee bestand im Wesentlichen aus "Wir geben Messi den Ball, der spiel Kun Aguero an. Dieser lässt auf Messi prallen und dann... schaun wir mal, was passiert." Und ja, es gibt schlechtere Pläne als diesen. Aber während bei Barca dank jahrelanger Feinabstimmung alle wissen, wie man auf diese Situation reagieren kann oder muss, gucken bei Argentinien alle anderen zu. Und deswegen passiert in diesen Momenten erstaunlich wenig.
Und das ist auch kein Vorwurf. Natürlich kann die Abstimmung solcher Grundideen in 4 Wochen nicht auf das Niveau einer Vereinsmannschaft gehoben werden. Es erklärt aber auch, warum es schwieriger ist, sich Tore heraus zuspielen.
Aber wirklich einstudierte Spielzüge über mehrere Stationen sind im Fußball eine echte Seltenheit. Auch auf Vereinsebene. Nur kann man in Vereinsebene halt wesentlich besser abschätzen (auch weil man es häufiger geübt hat), wie sich mein Mitspieler in welchen Momenten bewegen wird.
Bei Standartsituationen hat man dagegen einen sehr einfachen und festen Rahmen. Sie lassen sich, verglichen mit den Automatismen, einfacher üben. Und es sind die Momente im Fußball, wo der Ausführende wirklich vorher ein für seine Mitspieler eindeutiges Zeichen geben kann, was jetzt gleich passieren soll.

2. Standartsituationen sind die einzigen, in denen Superstars mal Platz bekommen.
Auch dies kann man am Besten an Messi festmachen... genauer gesagt an dem Defensivkonzept der Isländer. Die standen immer mit 3 bis 4 Mann um den 5fachen Weltfußballer. Sie konnten dadurch nicht verhindern, dass er alleine häufiger aufs Tor schoss als ihre gesamte Mannschaft. Aber sie konnten verhindern, dass er 3 Tore erzielte. Auch wenn es im Wesentlichen daran lag, dass Messi all seine Fehlschüsse in dieses eine Spiel gepackt hat...
Aber Verteidigen ist halt einfacher als Angreifen. Und selbst die ehemals kleinen Nationen sind halt in der Lage ein stabiles Defensiv-Konzept auf den Rasen zu bringen. Ursprünglich habe ich ja immer behauptet, dass die WM dadurch entschieden wird, wer seinen Superstar am Besten ins Spiel bringt. Man kann das aber auch umdrehen: Es wird derjenige Weltmeister, der die Superstars des Gegners am effektivsten aus dem Spiel nimmt.
Bei Standartsituationen ist dies allerdings praktisch unmöglich. Da muss man mal Abstand halten und dem Superstar den Freiraum zur Entfaltung gewähren.

3. Die Ansetzungen fördern Standartsituationen im Gefährlichen Bereich.
Das Grundkonzept einer Gruppenphase besteht ja immer wieder aus den "Der Favorit, der unbedingt gewinnen muss" gegen den "Außenseiter, der mit einem Unentschieden zufrieden ist" Ansetzungen. Was dazu führt, dass sich eine Mannschaft mit 9 Spielern am eigenen Strafraum verbarrikadiert, während die andere Mannschaft versucht die Lücke im angerührten Beton zu finden.
Und am 2. Spieltag wird daraus dann ein "Die Mannschaft, die nach dem ersten Spiel unter Druck steht" vs "Uns reicht eigentlich ein Unentschieden um so gut wie sicher weiter zu kommen."
Und dieses Spielkonzept führt dazu, dass die Verteidigenden Mannschaft Eckbälle und Freistöße in der eigenen Hälfte abgibt. Und dass man sich bei hohen Bällen in den Strafraum ungeschickt anstellt, was dann zu Elfmetern führt...
Am deutlichsten wurde dies bei dem Elfmeter, der Kroatien gegen Nigeria zugesprochen worden ist... der aus einem Eckball resultierte... Jenseits von Standards verteidigte Nigeria sehr ordentlich. Aber halt immer wieder auf Kosten von ruhenden Bällen.
Spiele von Mannschaften auf Augenhöhe (die nicht von Jose Mourinho betreut wird) laufen halt grundlegend anders ab. Da wird häufiger im Mittelfeld als im letzten Drittel gefoult, weil das Spiel im wesentlichen dort stattfindet. Und aus diesen Standards resultieren dann seltener Tore.

4. Die individuelle Überlegenheit kommt deutlicher zu tragen.
Es ist ja nicht so, dass wir erstaunlich viele erstaunlich kreative Variationen zu sehen bekommen. Im Wesentlichen wird der Ball hoch in den Strafraum (oder im Fall eines Elfmeters hoch auf die Tribüne...) getreten und dann entscheidet sich das Geschehen in Individuellen Zweikämpfen. Also genau die Dinge, die man sonst als Kollektiv vermeiden will, weil man sich zu 5. auf die potenzielle Gefahr stürzt...
Und in diesen Kopfballduellen zeigt sich dann doch die physische Überlegenheit der weiter entwickelten Fußballnationen. Und die mangelnde Koordination bei den Verteidigern. So erzielt Nigeria dann plötzlich ein Eigentor, welches man genau so gut Mario Mandzukic zuschreiben könnte. Beim 2. Tor wussten sich die Nigerianer dann gegen den physisch überlegenen Angreifer nur mit einem Foulspiel zu helfen... welches im Gegensatz zu den Foulspielen an Harry Kane auch wirklich geahndet werden musste.
Es ist den Koraten allerdings nie gelungen Mandzukic aus dem Spiel heraus in die Position zu bringen seine physischen Vorteile im 1 gegen 1 zu nutzen. Was natürlich auch daran lag, dass er  ständig 1vs2 spielen musste...

5. Die Favoriten gehen noch nicht voll ins Risiko.
Es ist halt WM Auftakt. Keiner weiß genau, wo er jetzt steht. Die meisten sind halt auch mit einem Unentschieden zufrieden. Und allen Nationen, die nicht Deutschland heißen, geht es hauptsächlich darum, nicht in Konter zu laufen. Wenn man also nicht die 8 Mann nach vorne schickt, sondern 5 zur Absicherung hinterm Ball lässt, wird es natürlich auch nicht einfacher ein Tor zu erzielen. Die Angreifer versuchen derzeit aus den Hoffnungslosen Situationen einen Freistoß herauszuholen und dann versucht man wirklich mal ein Tor zu erzielen...
Das wird in den nächsten Vorrunden-Spielen, wenn man plötzlich doch mal gewinnen muss, anders werden. Und wenn die Mannschaften wirklich spielen um zu gewinnen... und nicht nur um nicht zu verlieren. Dann wird man auch wieder konsequenter und zielgerichteter angreifen... Anstatt vorne mal zu gucken, was da vorne so geht...

Und ja, diese 5 Punkte werden sich im Verlaufe des Turniers relativieren. Allein schon weil es spätestens ab dem Viertelfinale nicht mehr zum Duell Außenseiter gegen Favorit kommen wird, sondern beide Mannschaften (auch physisch) auf Augenhöhe agieren werden. Und weil jedes Spiel und Training beim Entwickeln von Automatismen hilft. Aber wenn man sich die 5 Punkte so anguckt, verwundert es einem auf ein Mal nicht mehr, dass so viele Tore nach ruhenden Bällen erzielt werden...

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