Mittwoch, 25. April 2018

Wir müssen über den Videobeweis reden - Folge e

Ja, wir sind bei der Eulerschen Zahl angekommen... denn die Debatte ist längst irrational und transzendent...

Das ist ja das Lustigste an der ganzen Geschichte: Als der Videobeweis eingeführt haben, befürchteten ja alle, dass wir deswegen nicht mehr unsere Kneipendiskussionen über die schönste Nebensache der Welt führen können... Weil die Technik ja jegliche Fehlentscheidungen ausschließt und uns damit eine wichtige Diskussionsgrundlage nimmt... Stellt sich heraus, dass wir mehr diskutieren. Auch wenn der "So verliert der Fußball seine Seele" Duktus geblieben ist...

Die Lektionen des Videobeweises sind ja nicht mal grundlegend Schlechte. Man kann dadurch echt viel über den Fußball und vor allem sein Regelwerk erfahren. Und wie erstaunlich unkonkret das doch ist...

Da stehen dann unter "Verwarnungswürdige Vergehen" folgende Punkte:

- Unsportliches Betragen
- Protestieren/ Reklamieren durch Worte oder Handlungen
- wiederholtes verstoßen gegen die Spielregeln
- Verzögerung der Aufnahme des Spiels
- Ignorieren des vorgegeben Abstands bei Eckstoss, Freistoss oder Einwurf (Faszinierender Weise nicht beim Abstoß... hmm... Und ja, die schreiben das im Deutschen Regelwerk auch mit "ss")
- (Wieder-)Betreten des Spielfeldes ohne Erlaubnis des Schiedsrichters
- absichtliches Verlassen des Spielfeldes ohne Erlaubnis des Schiedsrichters

Das faszinierende daran ist ja: 1.) Da steht nichts vom taktischen Foul, obwohl wir alle davon ausgingen, dass ein taktisches Foul eine Verwarnung nach sich zieht...
2.) Keiner der Punkte trifft auf die Gelb-Rote Karte von Caglar Söyüncü zu und trotzdem bekam er einen Platzverweis zugesprochen.
Söyüncü spielte insgesamt 2 Mal Foul, sah aber für jedes Vergehen sofort Gelb. So viel zum "wiederholten Verstoß gegen die Regeln"... Das einzige, was an seinem Betragen eventuell "unsportlich" war, ist wohl der Fakt, dass er in einem Abstiegskrimi als Verteidiger nur 2 Fouls begangen hat... Und protestiert hat er ja erst nach dem Platzverweis, eine Dritte Gelbe Karte hätte er dann wohl verdient gehabt.

Aber jetzt kommt die Pointe: Für sich genommen ist der Platzverweis trotzdem keine Fehlentscheidung. Wenn man seit mehr als 3 Wochen Fußball spielt und dann, obwohl man schon verwarnt ist, so ein Foul in der gegnerischen Hälfte begeht, muss man davon ausgehen, dass man vom Platz fliegt.

Die Freiburger hätten sich über den Platzverweis an sich auch gar nicht so sehr aufgeregt. Denn jetzt kommt das eigentlich komplizierte am angeblich so einfachen Spiel Fußball: Dieser Vorfall wird durch den Kontext zu einer krassen und klaren Fehlentscheidung.
Denn eine Minute vor Söyüncü foult der bereits verwarnte Matti Steinmann ebenfalls robust seinen Gegenspieler. Und es ist bereits sein drittes Foul... Aber Schiedsrichter Benjamin Cortus entscheidet sich hier gegen eine knallharte Auslegung der Regeln... nur um sie 60 Sekunden später extrem pingelig anzuwenden. Und genau das funktioniert einfach nicht.

Ein Schiedsrichter hat ja genau genommen eine Aufgabe: Die passende Linie zu finden, an der sich alle Spieler orientieren können, und diese dann durchzuziehen, damit das Spiel ordentlich über die Runden geht.
Und ja, hin und wieder passiert es einem Schiedsrichter, dass er die Linie anfangs zu lasch ansetzt und dann doch irgendwann durchgreifen muss. Und da den Richtigen Zeitpunkt zu finden ist verdammt schwierig. Genau so, wie es gerade in unteren Klassen Schiedsrichter gibt, die sich am Ende in die Bredouille bringen, weil sie am Anfang zu schnell Gelb ziehen und dann am Ende für Nichtigkeiten Platzverweise verteilen müssen... Oder halt die Zügel doch irgendwann lockerer lassen...
Aber beim Foul des Freiburgers war ein spontanes Anziehen des Strafmaßes definitiv unangebracht...

Und da kommt ja immer das Gefühl der Benachteiligung (also abgesehen davon, dass man natürlich alle Entscheidungen durch seine Vereinsbrille sieht) her: Wenn der Schiedsrichter für dasselbe oder ähnliche Vergehen unterschiedliche Strafen ausspricht.
Ein weiteres aktuelles Beispiel hierfür ist Sascha Stegemann, der erst auf der einen Seite für einen minimalen Kontakt Elfmeter gibt, dann auf der anderen Seite nicht. Wenn er sich in beiden Momenten gleich entscheidet, macht ihm keiner Vorwürfe, so landet er bei einer 4,5...

Und das wird der Moment, in dem einem bewusst wird, dass die Aufgabe des Videoschiedsrichters eigentlich unlösbar ist. Denn um seinen eigenen Job (also Fehlentscheidungen ausschließen und Ungerechtigkeiten verhindern) wirklich zu verhindern, muss er immer das Große Ganze im Blick haben... und genau diesen Kontext auch schnell vermitteln...
Also im Fall Cortus - Söyüncü hätte er seinem Kollegen direkt ein "HALT!!! DAS KANNST DU NICHT MACHEN!" ins Ohr brüllen müssen, sobald die Hand Richtung Brusttasche geht. Und ihn dann darauf hinweisen, dass das jetzt eine krasse Fehlentscheidung wäre, weil er sich eben gerade noch anders entschieden hat... Er muss jetzt dem Freiburger dieselbe letzte Ermahnung geben, die er gerade den Hamburger gegeben hat.
Aber wie soll das bitte schön funktionieren? Ohne dass die Autorität des Schiedsrichters untergraben wird? Oder ohne dass der Schiedsrichter wahnsinnig wird, weil er ständig eine Stimme im Ohr hört...

Aber solche Sachen werden einem halt bewusst, wenn man sich dank des Videoassistenten auf ein Mal mit der Frage beschäftigt: "Was sind eigentlich krasse Fehlentscheidungen"... und wenn man diese Debatte jetzt vernünftig führt, verliert der Fußball dadurch nicht seine Seele, sondern wir werden bessere Konsumenten.

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