Es ist schon absurd. Wir haben gerade vier Ex-Profis mit durchaus vergleichbaren Spieler-Biografien auf den Trainerbänken sitzen. Alle vier absolvierten zwischen 180 und 254 Bundesligaspiele. Sie spielten nie für die ganz großen Vereine. Einer ist bereits ein etablierter Bundesligatrainer, die anderen verdienen sich jetzt gerade die ersten Sporen. Aber ihr Weg zu diesem Posten war extrem unterschiedlich.
Die Rede ist von Steffen Baumgart, Eugen Polanski, Sandro Wagner und Horst Steffen.
Baumgart fällt, was mich selbst doch überrascht, in die Kategorie "Marius Ebbers Angreifer": Er hat mehr Zweitliga- als Bundesligatore erzielt. Polanksi hatte eine interessante Karriere, weil er unter Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel spielen durfte. Steffen spielte in Uerdingen, nachdem Bayer da ausgestiegen ist. Und für den MSV Duisburg. Mehr "Arbeiterkarriere" kann man als Bundesligaprofi nicht machen. Wagner ist so ein bisschen der Ausreißer, da er in der einen Saison beim FC Bayern mehr Europacup Spiele absolviert hat, als die andern 3 zusammen... Zumindest, wenn man den UI Cup rausrechnet.
Als Trainer ist die Biografie von Baumgart spannend, da sie seine Spielerkarriere spiegelt. Er startete in der 2. Liga der ehemaligen DDR. Danach in der NOFV Oberliga und in der 2. Liga, bevor er mit Hansa Rostock aufstieg. Er hat sich buchstäblich nach oben gearbeitet. Auch als Trainer arbeitete er in der Landesliga beim SSV Köpenick-Oberspree. Beim Berliner AK 07 arbeitete er in der Regionalliga. Und danach startete er mit Paderborn von der dritten in die erste Liga durch... Eigentlich von der 4., sportlich war man abgestiegen. Sowohl als Trainer, als auch als Spieler, wollte den niemand in der ersten Liga sehen, er hat sich davon aber nicht aufhalten lassen. Jetzt hat er sich zumindest so weit etabliert und stabilisiert, dass er noch haufenweise Angebote von verzweifelten Abstiegskandidaten bekommen wird, wenn Union Berlin ihn irgendwann entlassen wird. Von seinem ersten, sachlich gesehen gescheiterten Experiment in Magdeburg bis zum Bundesligadebüt vergingen 10 Jahre. Von seinem Karriereende, ebenfalls in Magdeburg, bis zum ersten Spiel an der Seitenlinie vergingen etwa 12 Jahre. Das ist schon unfassbar viel.
Denn normalerweise sieht die Trainerkarriere der ehemaligen "Bundesliga-Stars" sieht ja eher wie die von Eugen Polanski aus: Man kommt nach seiner aktiven Karriere bei einem seiner Ex-Vereine unter. In Polanskis Fall war das sein Jugendverein Borussia Mönchengladbach. Dort arbeitet man sich von der U17 bis zur 2. Mannschaft hoch und wartet ganz entspannt ab, dass eine Krise Panik auslöst. Und wenn das nicht klappt, rutscht man zurück ins zweite Glied und wartet entspannt auf die nächste Krise. Jahrzehntelang war dies die einzige wirkliche Variante, einen Fuß in die Bundesligatür zu bekommen. Dann fiel irgendwann den gut geführten Vereinen auf, dass man doch richtige Experten als Jugendtrainer braucht und dadurch wurden dann Thomas Tuchel und Hannes Wolf in die Liga gespült. Um ein Positiv- und ein Negativbeispiel zu nennen. Im Normalfall dauert dieser Vorgang so 7 Jahre.
Sandro Wagner ist auch hier ein Sonderfall, weil er ja praktisch von der Kommentatorenkabine auf die Trainerbank gelobt worden ist.
Und dann gibt es halt Horst Steffen. Die Vereine, bei denen er Eindruck hinterlassen hat, sind in der Versenkung verschwunden. Da kann man dann schlecht als Jugendtrainer anfangen. Er war tatsächlich auch in Gladbach, aber anscheinend hat man ihn da nicht zugetraut, höhere Aufgaben zu übernehmen.
Danach begann dann seine "Wanderschaft" bei den Stuttgarter Kickers, Preußen Münster und dem Chemnitzer FC. Bei nur einer einzigen Vertragsverlängerung deutete wenig auf eine langfristige und erfolgreiche Trainerkarriere hin. Es sah eher so aus, als würde Steffen sich dank seines guten Namens bei unterklassigen Vereinen die Altersvorsorge sichern.
Der nächste Schritt dieser Rentensicherungsmaßnahme war 2018 die SV Elversberg. Danach kommt dann wahrscheinlich nicht mehr viel... Aber plötzlich startete man komplett durch. Es ging von der Regionalliga in die Relegation zur höchsten deutschen Spielklasse. Und vor allem hatte man auch langfristigen Erfolg. 7 Jahre am Stück ging es praktisch nur aufwärts. Das schafft man sonst nur mit Investoren-Millionen. Das war so nicht zu erwarten.
Nun stellt sich die entscheidende Frage: War Steffen schon immer ein guter Trainer, der durch chaotische Vereine aufgehalten wurde? Also die Stuttgarter Kickers und der Chemnitzer FC sind jetzt nicht die stabilsten Vereine... Oder hat er einfach nur all diese Jahre gebraucht, um das Trainerhandwerk zu erlernen und sich zu verbessern.
Wir reden hier nebenbei von unfassbaren 22 Jahren zwischen der letzten Station als Spieler und der ersten als Bundesliga-Trainer.
Und wenn das Potenzial schon immer da war, warum hat vorher niemand zugeschlagen? Ich meine, wir hatten doch einige richtig schlechte Trainer, denen trotzdem immer wieder einen Job angeboten wurde. Michael Frontzeck stand bei 3 unterschiedlichen Bundesligisten an der Seitenlinie: Alemannia Aachen, Arminia Bielefeld und Borussia Mönchen... wartet mal... kurz Zeitlinien abchecken. Horst Steffen und Michael Frontzeck begannen beide am 1.7.2009 in Gladbach. Man hätte sich damals auch einfach für den anderen entscheiden und Frontzeck zur U17 schicken können... Aber nur einer der beiden hat mit Max Eberl zusammengespielt.
Oder Horst Steffen zumindest als Interimstrainer befördern können, als man Frontzeck 2011 völlig überraschend entlassen musste. Wobei man zur Verteidigung von Max Eberl sagen muss: Er holte einen gewissen Lucien Favre, der sich für Gladbach als sehr guter Griff entpuppte.
Es ist aber schon absurd, dass sich Steffen praktisch in derselben Situation befand, wie Polanski jetzt, nur dass er damals dann "übergangen" wurde. Dass er danach dann den Weg über die Dörfer gegangen ist, um doch zum Bundesligatrainer zu werden, dürfte ein einzigartiger Vorgang sein. Auch die 22 Jahre, die das gedauert hat, wird niemand jemals überbieten. Vor allem bei den Millionengehältern, die heutzutage jeder Bundesligaspieler überwiesen bekommt, dürften verhindern, dass nochmal jemand so hartnäckig an dieser Vision arbeitet.
Vor allem zeigt dies aber mal wieder eins: Es ist wichtiger, die richtigen Leute zu kennen, als ein wirklich guter Trainer mit einer erfolgreichen Vita zu sein. Und dass man unter den richtigen Trainern gespielt hat... Also Polanskis relevante Vorqualifikation ist ja, dass er von Jupp Heynckes, Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann und Huub Stevens gelernt haben könnte. Während Horst Steffen "nur" bei Friedhelm Funkel zur Schule ging... sowohl in Uerdingen, als auch in Duisburg... und bei Wolfgang Frank... 9 Spiele lang... Moment mal: haben wir tatsächlich noch einen Schüler von Wolfgang Frank ausgegraben? Unfassbar.
Also für alle, die das vergessen haben: Wolfgang Frank war quasi der Mentor von Jürgen Klopp. Und dessen Erfolg hat dazu beigetragen, dass all seine Ex-Spieler mit Angeboten überhäuft wurden. Marco Rose, Sandro Schwarz, Thorsten Lieberknecht und Jürgen Kramny sind die anderen "Lehrlinge". So richtig erfolgreich in der Bundesliga war aber nur Rose...
Dass dieser Beitrag bei Wolfgang Frank endet, habe ich selber nicht kommen sehen. Was auch nur beweist: Es ist einfach nicht zu erklären, warum es 22 Jahre gedauert hat, bis Steffen endlich in der Bundesliga coachen darf.