und verteidige Thomas Müller. Am Ende werde ich ihn wahrscheinlich sogar loben. Nachdem ich den jahrelang kritisiert habe, weil er nicht mehr den allerhöchsten Ansprüchen genügt. Und nebenbei habe ich darauf hingewiesen, dass jeder Trainer, der nicht bedingungslos auf Müller gesetzt hat, zeitnah die Kabine verloren hat. Und wenn man Müller in den wirklich wichtigen Spielen nicht aufgestellt hat, wurde das sofort von den Medien aufgegriffen, auch wenn es seit spätestens 2020 eine sinnvolle Entscheidung war. Trotzdem war es nach wie vor alternativlos, auf Müller zu setzen.
Lustiger Einschub: Frank Lußem kommentiert gerade hinter einer Paywall, dass man als Reporter von Sky, DAZN und Co. auch dann noch kritisch bleiben muss, wenn man ganz nah an den Profis dran ist. Dass die Kicker-Redakteure sich seit Jahrzehnten alle Sicherungen rausknallen, wenn sie über zum Beispiel einen Thomas Müller sachlich berichten sollen, ist ihm dabei anscheinend entgangen. Denn man hätte die Rolle von Müller und seine Leistungen ja mal kritisch durchleuchten können, aber dass der ohne ein einziges EM Tor in den Ruhestand gehen wird, ist jahrelang auch beim Kicker niemanden aufgefallen.
Jetzt hat Müller aber eine neue Rolle eingenommen: die des Veteranen und des Mentors. Er sitzt mittlerweile meistens auf der Bank. Das ist kaum noch eine Schlagzeile wert. Er kommt auf 6 Scorerpunkte. So viel hat er früher alleine gegen den Hamburger SV gesammelt. Mittlerweile hat sich Müller aber mit dieser neuen Rolle angefreundet. Man hört ja wirklich gar kein Grummeln, sondern volle Unterstützung für Trainer und Team. Er macht einfach alles, was er kann, um seiner Mannschaft zu helfen, hat aber anscheinend auch begriffen, dass er dies zumindest nicht mehr über 90 Minuten auf dem Platz machen kann.
Und dann kommen die Experten und eskalieren trotzdem: Michael Rummenigge und Mario Basler raten Müller unabhängig voneinander zum Karriereende. Lothar Matthäus nennt die späte Einwechslung gegen Celtic eine Demütigung.
Wobei ich an der Stelle auch erwähnen muss, dass die Fans die Rolle von Müller auch nicht einordnen können. Denn in den sozialen Medien habe ich erschreckend häufig gelesen, dass Vincent Kompany den ja gebracht hat, um in der Verlängerung was zu reißen. Die (und nach deren Meinung auch der Trainer) hatten also so viel Vertrauen in die eigene Defensive, dass sie fest davon ausgingen, dass Celtic in den 60 Sekunden, die Müller mitwirken durfte, noch ein Tor erzielen wird... Ich sollte weniger Bahn fahren, da scrollt man immer sinnlos durch die Kommentarspalten.
Müller selbst hat das völlig entspannt hingenommen. Der versteht halt, dass seine Rolle auch mal reines Zeitspiel beinhaltet. Und der nimmt die Einsätze für die Statistik einfach mal mit. Wenn man nämlich in 10 Jahren auf die Karriere zurückschaut, wird niemand darauf achten, wie wenige Minuten Müller am Ende gespielt hat, sondern es werden alle nur die 160+X Champions League Spiele erwähnen. Müller ist nebenbei in der All Time Liste auf Platz 4. 3 weitere Einwechslungen in den letzten Sekunden und er hat Lionel Messi eingeholt. Um Iker Cassillas und Cristiano Ronaldo einzuholen, muss er noch einige Jahre dran hängen. Aber das ist rein statistisch das Niveau, auf dem Müller immer noch mitspielt. Als einziger "1 Club Spieler", nebenbei. Von einer "Demütigung" zu sprechen, wenn er diese Bilanz weiter ausbauen kann, ist schon absurd.
Genauso absurd ist es, einem Profispieler das Karriereende nahezulegen. Solange Müller noch Bock hat und seine eigenen, mit dem Alter kommenden, Limitierungen akzeptiert, kann er auch noch weiterspielen. Die paar Millionen kann sich der FC Bayern locker leisten, das tut niemanden weh. Und ja, wenn er die Rolle als Mentor voll annimmt, profitieren davon auch die jungen Spieler, obwohl er einen Platz auf der Bank besetzt.
Und klar, es gibt genügend Beispiele für Profis, die nicht den rechtzeitigen Absprung geschafft haben. Hätte sich ein Bastian Schweinsteiger wirklich die Intermezzos bei Manchester United und in Chigaco antun müssen? Aber diesem Dilemma scheint Müller ja aus dem Weg zu gehen. Also im Gegensatz zu Schweinsteiger, Ribbery, Robben, Klose, Rummenigge, Gerd Müller und Beckenbauer wird er ja seine Karriere irgendwann bei den Bayern beenden. Nur halt etwas später und etwas entspannter als sein Vorgänger im Geiste Philipp Lahm.
Und natürlich kämpft ein Müller nur noch um absurde Statistiken. Individueller Rekordmeister bleiben ist so eine. Dafür kann er aber einfach nicht vor Manuel Neuer in den Ruhestand gehen. Und ein Auge auf Josip Stanisic werfen, der ist mit seinen 24 Jahren schon bei 4 Meisterschaften. Wenn der jetzt 10 Jahre lang den Rollenspieler bei den Bayern gibt, wird das eng für Thomas, da sollte er sich lieber noch einen Puffer aufbauen...
Müller ist echt in der luxuriösen Position, dass er selbst entscheiden kann, wie lange er in einer auf dem Rasen kleineren Rolle noch auf Titeljagd gehen will. Und wie lange es ihm noch Spaß macht, sich jeden Tag im Training zu schinden. Müller glaubt wahrscheinlich sogar daran, dass er von der Bank aus noch zu einem weiteren Champions League Titel beitragen kann, solange Harry Kane seine Elfmeter trifft. Und wenn ihm das "Meisterschale in den Himmel recken" irgendwann wirklich zu langweilig oder das Training zu anstrengend wird, dann kann er sofort in den Ruhestand gehen. Ihm sollte aber niemand vorschreiben, wann er diesen Punkt erreicht.
Vor allem kein Mario Basler. Also Basler merkt ja selber, wie bescheiden das ist, wenn man plötzlich raus aus dem gewohnten Scheinwerferlicht ist. Er hat das so sehr vermisst, dass er zu Big Brother gegangen ist. Und da geht es nicht mal, wie bei dem einen oder anderen ehemaligen Profi, ums Geld, sondern wirklich nur darum gesehen werden. Deswegen sitzt er auch als C-Experte bei Sport1: Das Scheinwerferlicht kann halt auch süchtig machen.
Nun macht Müller nicht den Eindruck, als würde er nach der Karriere abstürzen können. Ihm aber zum Karriereende zu raten, während man selbst krampfhaft versucht, nicht in der kompletten Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, ist schon dreist.
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