Dienstag, 20. Dezember 2022

Warum war dies das beste WM Finale aller Zeiten

 Also dass es das war, steht ja allgemein fest. Und ja, es ist extrem zynisch, dass die korrupteste WM aller Zeiten das beste Finale bekommt. Aber das könnt ihr ja überall sonst lesen. Ich versuche ja einen Blickwinkel aufzumachen, der zumindest mir nicht so über den Weg läuft.

Die meisten konzentrieren sich ja rein auf das Lionel Messi vs Kylian Mbappé Narrativ. Und dass 2 wunderschöne Tore heraus gespielt wurden. Das ist auch nicht gänzlich verkehrt. Dass 2 absolute Weltstars in einem Finale so abliefern, ist außergewöhnlich. Aber das ist nur die oberflächliche Betrachtung.

Fangen wir mal mit Mbappé an. Aber vernünftig. Es wird ja immer behauptet, dass der noch nicht auf einer Stufe mit Messi oder Cristiano Ronaldo ist, obwohl er sich im Verein so benimmt, als wäre er dies schon. Aber die nüchterne Wahrheit lautet: Zumindest in der Nationalmannschaft hat er sie schon überholt. Und die Champions League Titel werden schon noch kommen.

Denn Mbappé ist einer von 3 Spielern, die in 2 Endspielen getroffen haben. Die anderen sind Paul Breitner (ja, in Deutschland regelt das ein Verteidiger) und Pele. Er steht bei quasi uneinholbaren 4 Finaltoren. Und er wird heute erst 24. Was uns wirklich Angst machen sollte: Mbappé könnte noch 2 weitere WM-Finale erreichen.

Nebenbei ist er insgesamt bei 12 WM Toren nach 2 Turnieren. Oder anders ausgedrückt: Miroslav Klose kann sich innerlich schon mal von seinem Rekord verabschieden. Mbappé dürfte diesen Rekord von 16 Toren pulverisieren, selbst wenn Frankreich 2 mal unglücklich im Viertelfinale ausscheidet. Und hey, vielleicht hat er sogar noch Bock auf ein 5. WM Turnier mit 35 Jahren.

Er ist nebenbei auch der 2. Spieler, der in einem WM-Finale einen Hattrick erzielt. Der letzte war Geoff Hurst im Jahr 1966. Damit hat er auch einen weiteren Rekord, auf den er wahrscheinlich verzichten könnte: Er ist der einzige Spieler, der im WM Finale einen Hattrick erzielt und das Spiel danach verliert. Und das wird er auch ewig bleiben.

Also um damit mal das nächste Level an Perspektive zu geben: Der letzte Spieler, der in einem K.O. Spiel 3 Tore erzielte und trotzdem verlor, war Igor Belanov. Wenn euch der Name nichts sagt, liegt das daran, dass es 1986 war. Da war noch die UdSSR und nicht der Russe das personifizierte Böse. Ein weitere Spieler, der trotz Dreierpack (es war damals sogar ein Viererpack) nicht gewann, war Ernst Willimowski. Das war 1938. Das war der Adolf noch nicht das personifizierte Böse. Dies ist der historische Kontext, in dem wir uns bewegen. Dazwischen "schaffte" es noch Josef Hügi 1954. Abgesehen von Belanov kommen diese Spiele aber aus der fußballerischen Steinzeit.

Um das mal zu verdeutlichen kommt hier jetzt eine kurze Auflistung aller Spiele, in denen eine Mannschaft trotz 3 erzielter Treffer nicht gewinnen konnte:

Senegal - Uruguay 3:3 im Jahr 2002.
UdSSR - Belgien 3:4 n.V. 86.
Deutschland - Frankreich 3:3 n.V. 82.
Italien - Deutschland 4:3 n.V. 70.
Portugal - Nordkora 5:3 66.
UdSSR - Kolumbien 4:4 62.
Frankreich - Deutschland 6:3.
Paraguay - Jugoslawien 3:3
Frankreich - Paraguay 7:3 jeweils 58.
Österreich - Schweiz 7:5
Ungarn - Deutschland 8:3 jeweils 54.
Kuba - Rumänien 3:3
Brasilien - Polen 6:5 n.V. jeweils am 5.6.1938.
Argentinien - Mexiko 6:3 30.

Wenn ich nichts übersehen habe, war es das. Da fällt einem sofort auf: Je moderner der Fußball wird, um so seltener wird ein derart absurder Spielverlauf. Mittlerweile muss man 20 Jahre darauf warten. Und 1958 muss ein völlig verrücktes Turnier gewesen sein. Und im Großen und Ganzen sind das 14 von 962 WM Spielen. Ja, ich fahre gerade Bahn. Aber das heißt, es passiert alle 64 Spiele ein Mal. Mit fallender Tendenz.

Vor allem fällt auf: Obwohl dies bereits 2 Mal in einem Halbfinale passierte, weil Deutschland unter anderem extrem gut darin war ein müdes 1:1 nach 90 Minuten in ein begeisterndes 3:3 nach 110 Minuten zu verwandeln. Aber so ein Finale gab es halt noch nie.

Denn Finale sind halt meistens doch eher müde oder einseitige Angelegenheiten. Der Druck ist so hoch, dass kaum jemand wirklich ins Risiko gehen will. Und ein Rückstand ist meistens so demoralisierend, dass man nicht zurückkommen kann. Also zumindest nicht von einem 2-Tore-Rückstand. Das letzte Mal schaffte dies Deutschland. Natürlich, die Mentalitätsmonster. Das war aber 1958. Frankreich holte diesen Rückstand als dramatischen Bonus in den letzten 10 Minuten auf. Ich mache mir jetzt nicht die Mühe und finde heraus, wie oft ein 2:0 Vorsprung in den letzten 10 Minuten verspielt wurde. Vor allem, weil Argentinien ja im Halbfinale dasselbe Prinzip durchgezogen hat.

Aber selbst das ist rein statistisch noch nicht alles, denn es gab ja eine Verlängerung. Und normalerweise hoffen beide Mannschaften dann nur, dass kein Scheiß passiert und man irgendwie das Elfmeterschießen erreicht. Bloß keine Fehler machen. Und wer das erste Tor schießt, gewinnt. Glaubt ihr mir nicht? Nun ja: Dies war das erste WM-Finale, in dem beide Mannschaften in der Verlängerung getroffen haben. Dieses "Du steckst den Nackenschlag weg und kommst zurück" hat es einfach noch nie gegeben.

Aber auch das war ja nicht das letzte Highlight. Denn beide Mannschaften versuchten ja alles, um die Lotterie zu vermeiden. Wie selten sehen wir so was? Also ganz konkret hatten die eingewechselten Randal Kolo Muani und Laurato Martinez in der 123. Minute den Siegtreffer auf dem Fuß oder Kopf. Beide Mannschaften hätten in allerletzter Minute den Siegtreffer erzielen können oder müssen. Normalerweise wird nach 121 Minuten abgepfiffen, deswegen behaupte ich jetzt, dass auch das noch nie so passiert ist. Und danach hatte Mbappé eine weitere, nicht ganz so klare Abschlusssituation, die der eigentlich nur fürs Elfmeterschießen eingewechselte Paolo Dybala endgültig klären konnte.

Und ja, der einzige Wermutstropfen ist, dass beide Trainer am Ende noch Spieler für die Lotterie eingewechselt haben. Gerade Lionel Scaloni hätte Dybala früher in die ursprünglich von Angel di Maria ausgefüllte Rolle bringen können, denn die Schwachstelle der Franzosen waren ja die Außenverteidiger. Zumindest so lange, bis Scaloni mit Marcos Acuna den zweiten Linksverteidiger einwechselte. Bei 2:0 Führung ist das nachvollziehbar, aber wenn man diesen Vorsprung verspielt hat, könnte man doch zu dem System zurückkehren, welches einen nach vorne gebracht hat.

Aber beide Trainer haben in der Summe 13 ihrer insgesamt 15 Wechsel genutzt, um auf das Spielgeschehen Einfluss zu nehmen. 15 Wechsel sind ganz nebenbei ein weiterer WM-Rekord. Nur so nebenbei. Am Ende bleibt: Wir werden nie wieder ein derart herausragendes Finale sehen.

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