Samstag, 23. Mai 2020

Das Kohfeldt Paradoxon

Bevor das Tagesgeschehen diese Geschichte überholt... schreibt man lieber etwas, am Samstag.

Meinem derzeitigen Lieblingstrainer Florian Kohfeldt ist etwas unfassbares gelungen: Er hat anscheinend den Rückhalt der Medien verloren. Und wie hat er das geschafft? Nun ja, er hat offenbar das, was der Kicker über ihn geschrieben hat und was seine Vorgesetzten bei Werder Bremen ihm die ganze Zeit über gesagt haben, tatsächlich geglaubt... und jetzt im Wesentlichen eins zu eins zurück gegeben.
Wobei er ja genau genommen wenig neues sagt. Also dass er seinen Stuhl räumen würde, wenn Werder jemand besseres findet, fiel, glaube ich, vor Monaten schon. Dass er sich immer noch für den Besten Trainer für Werder hält, ist weder größenwahnsinnig noch "tollkühn"... es ist praktisch der einzige Weg, wie er als Bundesligatrainer seine Arbeit machen kann. Also wenn er selber diesen Glauben an seine Arbeit und damit auch an sich nicht mehr vermitteln kann, dann wird seine Mannschaft ihm auf keinen Fall folgen.

Nur um an der Stelle nochmal meine persönliche Position zu Kohfeldt zu verdeutlichen: Ich halte den Mann offensichtlich für überschätzt. Das bedeutet aber nicht, dass ich ihn für einen schlechten Trainer halte. Es ist halt verdammt leicht überschätzt zu werden, wenn alle so tun, als wäre man der nächste Jürgen Klopp oder, weil es halt logisch ist, der nächste Thomas Schaaf. Dabei ist er realistisch eher der nächste Bruno Labbadia.
Und ja, ich musste meine Position zu Labbadia neulich auch revidieren. Also Hertha BSC Berlin den als neuen Trainer vorgestellt hat, dachte ich "Unnötig, denn die Klasse halten sie auch so... aber an sich ein guter Move von Hertha"... Aber Labbadia dürfte die Rückschläge in Form von Entlassungen halt auch gebraucht haben. Und jetzt ist er mindestens ein sehr solider Bundesligatrainer.

Kohfeldt ist halt ein interessantes Trainertalent. Er bringt hervorragende Anlagen mit. Und er hat den Anspruch selbst unter schwierigen Umständen wirklichen Fußball spielen zu lassen. Aber er hat diese Saison halt auch richtig in den Sand gesetzt. Wenn man es nicht schafft seine Talente weiter zu entwickeln und bei Standards immer dieselben Fehler macht, muss man das genau so nennen. Und mir kann keiner erzählen, dass Werder wirklich den 2. schlechtesten Kader der Liga hat. Auch mit den Verletzungssorgen gibt es andere, die schwächer besetzt sind. Aber Kohfeldt hat es nie geschafft das vorhandene Potenzial auf den Rasen zu bringen.

Werder Bremen selber hat ja in den letzten Tagen den Christian Streich Vergleich ins Spiel gebracht. Ok, lasst uns das mal machen: Also Streich hat unter schwierigsten Voraussetzungen nach einer Hinrunde mit 13 Punkten den direkten Klassenerhalt gefeiert. Ohne jegliche Relegation, weil der SC Freiburg so was halt nicht braucht. In der Rückrundentabelle war er auf Platz 7. Im Jahr darauf hat er Freiburg in die Europa League geführt. Zum 2. Mal in der Vereinsgeschichte. Nur ein Mal stand man in der Bundesligaabschluss-Tabelle besser da... da dies vor der Einführung der 3 Punkte pro Sieg Regel war, kann Streich behaupten: Nie holte ein Freiburger Trainer in einer Saison mehr Punkte. Wobei auch festzuhalten bleibt: An die 27 Punkte seiner ersten Halbserie kam er dabei gar nicht ran... Nach 1 1/2 historisch spielte Freiburg eine ganz normale Saison, was für einen Verein wie dem SC Freiburg halt Platz 14 bedeutete. Aber dieser "Rückfall aufs Normale Niveau". Erst nach 1 1/2 historisch guten Jahren und einer normalsterblichen Saion stieg der SC Freiburg dann ab.
Hierbei muss man aber auch mal dringend erwähnen, dass ein Abstieg mit dem SC Freiburg etwas ganz anderes ist als ein Abstieg mit Werder Bremen.

Und das wird einem halt beim Vergleich deutlich. Denn Kohfeldt startete genau so beeindruckend wie Streich mit 29 Punkten in 17 Spielen. Seine erste Mission als Retter erledigte er mit Bravour. Dass kann ein Bruno Labbadia allerdings auch von sich behaupten. Oder, oder, oder. Es gibt genügend "Dead Coach Bounces."
Das Jahr darauf führte er Werder dann ins Mittelmaß. Das ist ordentlich. Aber halt auch nicht mehr. Vor allem wenn man bedenkt, dass er den "Klassenerhalt" mit einer Serie von 5 Spielen ohne Sieg endgültig sicherte.
Und letztes Jahr hätte er seine Mannschaft, auf dem Rücken eines überragenden Individualisten im "Contract Year Modus" fast nach Europa geführt. Es war am Ende echt knapp. So, wie Werder sich derzeit präsentiert, sollten sie echt froh sein, dass sie nicht nebenbei noch über die europäischen Dörfer tingeln müssen...

Und hier ist das entscheidende Problem im Streich-Vergleich: Mit Werder die Europa League zu erreichen ist keine überragende Leistung. Also historisch betrachtet. Eigentlich sollte es für einen jahrelangen Werder Trainer der Mindestanspruch sein, Werder ein Mal alle 4 Jahre nach Europa zu führen.

Nehmen wir da mal zur Verdeutlichung seinen Emotionalen Vorgänger Thomas Schaaf als Vergleich: Der führte Werder bereits im ersten vollen Jahr fast nach Europa. Und dann 2 Mal in Folge auf Platz 6, was ein Mal zur Teilnahme an der Europa League reichte. Werder hatte damals Probleme mit der Balance zwischen Offensive und Defensive... und brach in der Rückrunde immer ein. Aber trotzdem war jede der ersten 3 Jahre in der Abschlusstabelle erfolgreicher als alles, was Kohfeldt jemals abgeliefert hat. Und danach wurde Werder dann Doublesieger. Und Thomas Schaaf wurde zum Heiligen. Danach durfte er sich dann praktisch einen auf Jahre angelegten schleichenden Niedergang leisten, ohne dass irgendjemanden auffiel, dass der moderne Fußball irgendwie an Schaaf vorbei gezogen ist... Nen bischen, als spontaner Vergleich, wie bei Arsene Wenger und Arsenal London...

Kohfeldt darf dagegen ohne historische Vorleistungen eine der schlechtesten Werder-Saisons aller Zeiten spielen lassen, ohne dass er irgendwie in Frage gestellt wird. Und bis Mitte Mai wurde er ja nicht mal von den Medien oder den Alteingesessenen in Frage gestellt.
Aber mal als spekulative Frage: Glaubt irgendjemand, Thomas Schaaf hätte Werder anstatt zur Meisterschaft auf Platz 17 führen dürfen ohne entlassen zu werden?

An der Stelle fällt mir dann auf: Kohfeldt ist gar nicht das Problem, er ist das Symptom. Die Personalie, an der halt allen deutlich wird, dass bei Werder eigentlich fundamental etwas falsch läuft. Dass die eigene Genügsamkeit und die mangelnden Ansprüche zu einer kaum noch aufzuhaltenden Negativspirale, die über kurz oder lang in Liga 2 enden wird, geführt hat.

Denn hier kommt mal das kurze Realitäts-Update: Eigentlich sollte sich Bremen mit Borussia Mönchengladbach vergleichen. Mindestens. Denn eigentlich hat man dank der doch überraschend zahlreichen Abstiege der Gladbacher einen extremen Vorsprung. Den man auf beeindruckende Art und Weise verspielt hat.
Und ja, auch Gladbach steht für ruhiges, kontinuierliches Arbeiten und seriöses Wirtschaften in einem familiären Umfeld. Nur wird in Gladbach ein Dieter Hecking für Arbeit, die sich im normalen Rahmen des erwartbaren Erfolges bewegt, nicht zum Heiligen verklärt... sondern am Ende einfach ersetzt um neue Impulse zu setzen.

Die bittere Realität lautet: Man kann sich noch nicht mal mit dem FC Augsburg messen. Also zumindest was die Europa League Teilnahmen der letzten 10 Jahre betrifft.
Eigentlich sollte es Bremens Anspruch sein, dass man zumindest selber diese eine Mannschaft ist, die in die Internationalen Plätze rein rutscht, wenn die wirtschaftlich stärkeren Teams dies verkacken. Stattdessen haben Augsburg, Mainz, Freiburg und Hannover diese Rolle übernommen. Genau genommen auch Eintracht Frankfurt, die jetzt versuchen sich auf dem Erfolg der letzten Jahre eine konstante Basis für eine bessere Zukunft zu erarbeiten. Also genau das, was Werder in den letzten 20 Jahren verkackt hat...

Bremen sollte eigentlich über diesen Mannschaften stehen. Stattdessen vergleicht man sich mit dem SC Freiburg, deren Anspruch es ist zu den 25 besten Mannschaften in Deutschland zu gehören. Wo eine schlechte Saison eigentlich erst beginnt, wenn man nicht zur Spitzengruppe der 2. Liga gehört, wo aber ein Abstieg halt auch mal passieren kann. Werder sollte aber den Anspruch haben zu den 10 besten Mannschaften in Deutschland zu gehören. Die Voraussetzungen dafür sollten immer noch gegeben sein. Zumindest wenn man den Abstieg noch vermeidet. Aber stattdessen gibt man sich mit wesentlich weniger zufrieden.
Und so erhöht man dann auch einen Trainer, der ganz normale Ergebnisse erzielt, zur Legende... und wundert sich, dass die Leistungen nicht besser werden, wenn man die Ansprüche runter schraubt.

Das ist halt Schade, weil Werder eigentlich echt der einer der sympathischen Bundesligisten ist. Eigentlich stehen wir alle auf offensiv ausgerichteten Fußball und seriös geführte Vereine. Selbst ich, der ja eigentlich vom Zynismus lebt und gar nichts zu schreiben hätte, wenn alle Vereine wie Werder geführt werden würden.
Aber, als interessante These, wahrscheinlich wurde Kohfeldt deswegen so viel verziehen, anstatt diese Saison als das zu beschreiben, was sie eigentlich ist: Eine extrem schlechte Trainerleistung. Deswegen will auch keiner glauben, dass Kohfeldt irgendwie Schuld an der mangelnden Fitness hat. Irgendwie wissen wir alle, dass es für die Liga im Allgemeinen das beste wäre, wenn Werders Weg zum Erfolg führt. Denn wenn man gute Trainer in einem ruhigen Umfeld ihre Arbeit machen lässt, muss dies zwangsweise zu einem besseren Produkt auf dem Rasen führen.

Nur wird halt allen langsam deutlich, dass die Arbeit von Kohfeldt unangemessen wenig Früchte trägt.
Das wirkliche Problem für Werder lautet aber: Wenn man jetzt Kohfeldt einfach entlässt, aber an sonsten genau so Selbstzufrieden weiter macht, wird das genau so wenig helfen, wie ein Wiederaufstieg mit Kohfeldt, für den man sich dann auf die Schulter klopft. Nur wenn man selber sein Weltbild wieder richtig ausrichtet, wird es in Bremen wirklich vorwärts gehen.

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