Freitag, 11. Oktober 2019

Passives Abseits vs Tradition Teil 1: Warum gerade ich?

Eine Serie in unbestimmt vielen Teilen.

Ok, ganz ehrlich, ich schiebe diese Idee jetzt seit gefühlt einem Jahr vor mich her. Und irgendwie habe ich immer wieder Gründe vorgeschoben, damit ich nicht anfangen muss. Damit ist jetzt Schluss.
Denn an sich ist es ja auch gar nicht so schlimm anzufangen, wenn das ganz eh eher eine Lose Serie werden soll. Was habe ich also vor?

Ab sofort soll sich hier neben dem Normalen Grausamkeiten des Tagesgeschäfts Fußball ausführlich mit dem ledigen Thema "Traditionsfußball" beschäftigt werden. Und zwar langfristig auf allen Ebenen von der Bezirksliga bis zur Champions League. Ernsthaft, ich habe in meinem Hinterkopf Beiträge zu Bezirksligisten geplant, aber alles zu seiner Zeit.

Vorher müssen wir aber erst Mal eine wichtige Grundlage klären: Was qualifiziert dieses eingebildete Individuum dazu, sich tiefgründig und ausführlich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Zunächst mal der Fakt, dass es sich hier definitiv um einen Fußball-Verrückten handelt. Also allein schon, dass dieser Blog seit 2010 betrieben wird und auf über 16.000 Beiträge kommt. Wenn ich es irgendwann nochmal auf die Reihe bekommen würde das drum herum zu koordinieren und Werbung zu machen... aber Details. Die Liebe zum Runden Leder ist definitiv vorhanden.

Aber dennoch bin ich, behaupte ich ganz dreist mal, in einer Sonderposition. Denn genau genommen bin ich jemand, der sich gerne über schlechten Fußball lustig macht, selber aber am liebsten einfach nur guten Fußball zu sehen bekommt. Völlig unabhängig davon, wer da jetzt auf dem Feld steht. Ok, fast völlig unabhängig, die Bayern-Führung ist derart unsympathisch, dass ich die verlieren sehen will, egal wie gut die spielen. Und auch ein Jogi Löw kann ich absolut nicht ab, so dass ich dem und seinen Mannschaften nichts gönne... Hoffentlich wird der 2021 Bayern Trainer, das wird großartig. Aber sonst...
Oder aber es liegt an meinem Goliath-Komplex, dass ich immer gegen die Haushohen Favoriten war. Gibt es diese Diagnose eigentlich, oder habe ich mir die ausgedacht?

Vor allem bin ich aber auch kein Anhänger irgendeines Traditionsvereins. Die Logik, dass ich etwas großartig finden muss, weil mein Vater das schon großartig fand, hat sich mir nie erschlossen. Oder dass ich einem Verein jetzt katastrophale Fehlkalkulationen verzeihe, nur weil es den Verein schon seit 100 Jahren gibt.
Praktisch kann man das an Hansa Rostock erklären. Als Sohn der Stadt habe ich natürlich an dem Verein gehangen. Denn wenn Hansa Bundesliga gespielt hat, ging es ungelogen der gesamten Region besser. Man konnte keine Heimspiele am Samstag um 15 Uhr ansetzen, weil 80% der Spieler unbedingt wissen wollte, wie Hansa spielt. Und jeden 2. Samstag im Monat gab es einen Stau bis zum Nachbardorf, weil alle ins Stadion fahren wollten. Dass dies nebenbei die Hauptmotivation hinter dem "Der Sonntag gehört den Amateuren" ist, wurde hier schon ausführlicher erörtert.

Aber gerade in den letzten Jahren musste ich immer wieder feststellen: Der Verein hat so viele Fehler gemacht. Und das werden ja gefühlt immer mehr. Ich überlege gerade, wer der letzte Hansa Trainer war, der eine gesamte Saison überstanden hat. Ich würde auf Frank Pagelsdorf tippen... Der Klub ist das reinste Chaos. Und ein Millionengrab. Wenn dann das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Stadt dem Verein mehrmals die Schulden erlassen muss, damit er überhaupt überleben kann, habe ich damit ein moralisches Problem. Nur weil die nach der Wende 20 Jahre lang fast alles richtig gemacht haben, muss man danach doch nicht 20 Jahre lang jeden Mist ausgleichen, der da verzapft wird.
Dazu kommt natürlich, dass die Fans des Vereins ein Abbild der Probleme und der Perspektivlosigkeit in dieser Region sind. Hansa hat halt auch eine Fangemeinschaft, die immer wieder unangenehm auffällt. Seit mittlerweile auch 20 Jahren.

Aber nur weil mir dieser Fanatismus selber abgeht, heißt das nicht, dass ich ihn nicht faszinierend finde. Ich durfte mal einem Hardcore 1860 München Fan ins Gesicht sagen, dass er sich nicht wirklich über RB Leipzig aufregen darf, wenn er selber Fan eines Investors ist. Also als 60er sein muss, denn ohne Hasan Ismaik wäre der Verein halt pleite gegangen und der ist ebenfalls ein Investor, der mit dem Sport Geld verdienen will. Es gibt bis heute Leute, die sich wundern, dass ich diese Vorwürfe überlebt habe. Und die Emotionale Reaktion, die ich dort ausgelöst habe, ist einerseits für mich nicht nachvollziehbar. Diese Anziehungskraft hat aber auch etwas wirklich faszinierendes für mich. Das ist auch etwas, was RB Fans niemals in der Intensität erleben werden.
Dass Intelligente Menschen jegliche Vernunft und Anstand verlieren, weil man ihren Lieblingsverein kritisiert... Dass Fußballergebnisse gestandene Männer zum Weinen bringen, verdeutlicht die absurde Bedeutung dieser Sportart und der Institutionen, die sie vertreten, für unsere Gesellschaft. Und nur weil ich diese Wirkungen nur bedingt persönlich nachvollziehen kann, heißt das nicht, dass ich sie für etwas verwerfliches halte. Eher im Gegenteil.

Zu guter Letzt bin ich als Kind der ehemaligen DDR halt auch mit einer anders geprägten Fußballgeschichte sozialisiert worden. Auch wenn ich selber nicht soo alt bin, dass die die DDR Oberliga gesehen habe. Aber die Geschichte des Ost-Fußballs ist teilweise derart absurd, dass es wirklich im nach hinein fast Willkür ist, welcher der Vereine jetzt ein Traditionsverein ist und wer diesen Titel nicht zugesprochen bekommt. Denn die erfolgreichsten Ost-Vereine im Wiedervereinten Deutschland waren nicht die großen Legenden der DDR-Oberliga. Ganz im Gegenteil, Energie Cottbus hat genau so viele Jahre in der Bundesliga verbracht, wie in der höchsten Liga der DDR... was eigentlich eine völlig absurde Statistik ist. Und auch die Geschichte der DDR Oberliga wurde ist mehrmals gebrochen, aber dazu später mehr.

Das liegt natürlich auch daran, dass viele Traditionsvereine nach der Wende auf die falschen Leute reingefallen sind. Rolf-Jürgen Otto ist der bekannteste Unternehmer, der Dynamo Dresden ganz souverän Richtung Abgrund geführt hat. Aber es sind ja praktisch all die großen Traditionsvereine nach 1990 abgestürzt. Und nur Magdeburg und Dresden haben sich zumindest halbwegs wieder erholt. Das liegt aber auch nicht nur an geldgierigen, die naiven Ossis ausnehmende Investoren... sondern an genügend eigenen Fehlern, die über die Jahre gemacht worden sind. Deswegen denke ich bei Tradition irgendwie auch immer an Misswirtschaft.

Mein Lieblingssatz dazu ist ja, dass die Tradition in Leipzig mehr Konkursverfahren (ähm... 2 für Lok Leipzig, eines für Sachsen) nach sich gezogen hat, als Bundesligajahre (ein Einziges). Im vielleicht einzigen wirtschaftlichen Wachstumsmarkt Ostdeutschlands haben es die Traditionsvereine nicht auf die Reihe bekommen sich zumindest in der 2. Liga zu etablieren. Und nur deswegen lag dieses riesige Einzugsgebiet ja so brach, dass es für Red Bull interessant wurde. Wenn es in der Stadt schon einen Verein mit 30.000 Fans gegeben hätte, wäre die Heuschrecke weiter gezogen. Erst das kollektive und jahrelange Versagen der Traditionalisten legte den Nährboden für das überkommerzielle Kunstprodukt. Deswegen sollten die Fans von Traditionsvereinen (sowohl in Leipzig, als auch außerhalb) nicht auf RB fluchen, sondern auf die Führungen, die es einfach nicht auf die Reihe bekommen haben hier vernünftig Fußball spielen zu lassen. Und vor allem sollten die Fans von Außerhalb froh sein, dass sie in einem Gebiet leben, in dem andere Vereine dies besser hinbekommen haben.
Dasselbe gilt nebenbei absurder Weise für Hoffenheim. Wer sich die Bundesliga Landkarte genauer anschaut, dem wird auffallen, dass es im Herzen von Baden-Würtemberg ein überraschend großes Loch gibt. Überraschend vor allem deswegen, weil wir von einer der wirtschaftlich stärksten Regionen Deutschlands sprechen. Es ist ja kein Zufall, dass ein Dietmar Hopp dort wohnt. Trotzdem spiel Waldhof Mannheim, also der Verein, der diese Region eigentlich abdecken sollte, ja, wo eigentlich? Der Karlsruher SC ist auch eher in der Versenkung verschwunden. Auch hier stieß der aufstrebende, finanzgespritze Verein in ein Vakuum.

Aber ich sehe halt nicht nur das Schöne und Emotionale der Traditionsvereine, sonder auch die Misswirtschaft, die dort immer wieder betrieben worden ist. Und nur die führte am Ende immer zum Niedergang dieser Vereine.
Deswegen habe ich auch relativ wenig Angst vor den Kunstprodukten. Die werden den Fußball nicht kaputt machen. Ich habe eher Angst davor, dass die inkompetente Führung der Traditionsvereine seine Vormachtstellung hergibt und damit den Fußball kaputt macht.

Tradition ist in der Summe etwas absurd faszinierendes. Weil es teilweise auch vollkommene Willkür ist, was jetzt Tradition ist und was nicht. Es hat ja auch noch niemand wirklich fest gelegt, was jetzt Tradition ist und was entstehende Brauchtümer sind. Oder was es nie zur Tradition schaffen wird. Lasst uns versuchen an einigen Beispielen zu klären, wie facettenreich Tradition wirklich sein kann.

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