Donnerstag, 10. Oktober 2019

Verdammt, ich komme mir alt vor!

Es kommt mir so vor, als wäre es gestern gewesen, als es endlich das lange erwartete Duell zwischen dem aufmüpfigen Aufsteiger und dem leicht genervten etablierten Rekordmeister an stand. Also für ein wenig Kontext: Damals stürmten die Hoffenheimer in ihrer Debüt Saison durch die Bundesliga. Sie spielten ganz sachlich gesehen den berauschendsten Fußball der gesamten Liga. Was heutzutage niemanden mehr überrascht, schließlich war Ralf Rangnick der Ingenieur hinter dieser Mannschaft. Der galt damals aber eher noch als verrückter Professor, während er ja heute ein Mal im Jahr ein Kicker Interview zum Status Quo abgeben muss, weil wir alle seinem Sachverstand huldigen müssen.
Nebenbei stand ein gewisser Vedad Ibisevic damals mit 18 Toren aus 17 Spielen an der Spitze der Torjäger-Liste. Wer den Ibisevic aus dieser Saison gesehen hat, wird sich hinterher schon fragen, warum der eigentlich nie International gespielt hat. Oder zumindest so gut wie nie.

Damit repräsentiert Ibisevic, der sich am 17. Spieltag das Kreuzband riss, perfekt die Absurdität dieser Hinrunde: Wer das damals gesehen hat, dachte, dass ein richtiger Konkurrent auf die Bayern zukommt. Eine Mannschaft, die den Rekordmeister mit absurden Tempo vor riesige Probleme stellen würde.

Daraus ist dann aber aus verschiedensten Gründen nichts geworden. Dass nebenbei mit Luiz Gustavo nur ein einziger der Hoffenheimer eine wirklich große Karriere hinlegen sollte, ist schon irgendwie absurd. Der Rest verschwand in der relativen Versenkung, oder halt in Russland. Aber wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Carlos Eduardo, Sejad Sahilovic, Demba Ba, Chinedu Obasi und eben Ibisevic einen einzigen Meistertitel unter sich aufteilen würden... und das auch nur, weil Demba Ba 2017 türkischer Meister wurde... Irgendwie war die Hinrunde gleichzeitig das absolute Karrierehighlight dieser damals blutjungen Truppe. Was den Fußball, den die damals gemeinsam in der Hinrunde ablieferten, um so faszinierender machte. Es war halt der perfekte, aber nie wieder erreichbare Sturm... ein wenig wie das eine SXTN Album...

Darum soll es aber auch gar nicht so sehr gehen. Eigentlich geht es heute um den einen Spieler, der bei diesem Spitzenspiel, welches ein neues Zeitalter einläuten sollte, gnadenlos überfordert war: Bastian Schweinsteiger. Der einzige Spieler, der bei diesem Duell die Kicker-Note 5 bekam.

Die Kicker Schlagzeile am Montag danach ging in die Richtung "Zu schnell für Schweinsteiger". Und damit war es am Ende eines der Schlüsselspiele in seiner Karriere. Klingt übertrieben? Ist es aber kaum.
Klar Schweinsteiger war damals schon auf dem Weg zu seiner 4. Meisterschaft. Aber er stand mit seinen 24 Jahren halt auch irgendwie am relativen Scheideweg seiner Karriere. Denn es war eines dieser Spiele, in denen es deutlich wurde, dass Schweini zu langsam ist um auf internationalem Niveau auf dem Flügel zu spielen.
Und ihr jetzt so: Warte, was? Aber ja, Schweini begann seine Karriere als "Flügelflitzer". Und als Offensivspieler. Wenn er das geblieben wäre, hätte ein gewisser Arjen Robben ihn auf die Bank verdrängt und er hätte sich auf eine durchschnittliche Karriere bei weniger guten Bundesligisten einstellen können. Da hatte der aber nicht so wirklich Bock drauf...

Also, und hier (würg) muss man Jogi Löw erwähnen, weil ihm das als mit erstes aufgefallen ist, zog es Schweinsteiger ins Zentrum und mehr in die Defensive. Er distanzierte sich vom "Schweini und Poldi Hallordri Image" und durfte stattdessen eine "Chefchen" Debatte über sich ergehen lassen... Weil er einerseits seinem Vorgänger Stefan Effenberg deutlich, auch optisch, nacheiferte, sich andererseits von ihm distanzieren musste.
Vor allem wurde er von einem Spieler, der versuchte Fußball zu zelebrieren, dies aber nur bedingt konnte, zu einem, der Fußball arbeitet. Gemeinsam mit einem gewissen Mark van Bommel auf der Doppel-Sechs. Faszinierender Weise galt van Bommel eigentlich als der große Holzer, Schweinsteiger beging aber de facto mehr Foulspiele. Nur wurden über van Bommels Fouls mehr diskutiert, weil der halt richtig dazwischen haute... Aggressive Leader war die freundliche Bezeichnung.

Aber Schweinsteiger legte mit der Umstellung seiner Spielweise die Grundlage für alle die furchtbaren Siege, die ich als bekennender Bayern- und Deutschland-Hater in den letzten 15 Jahren über mich ergehen lassen musste. Und entwickelte sich damit zum Fixpunkt der Champions League Sieger und Weltmeister Generation. Mit seinen 18 Titeln kann er sich einer der erfolgreichsten Titelsammler bei den eh schon es verwöhnten Bayern nennen.

Und hier kommt das eigentlich faszinierende: Von all den "Wir haben mindestens 8 Meisterschaften geholt" Spielern war Schweinsteiger individuell gesehen der schlechteste. Ja, noch schlechter als Thomas Müller. Mit deutlichen Abstand. (Bei den 7. Meisterschaften Spielern kommen dann Namen wie Rafihna und Alexander Zickler, die Schweinsteiger im 1 gegen 1 hinter sich lassen könnte...)
Aber genau das machte Schweinsteiger so besonders. Er ist ein Spieler, den man am Ende selbst dann respektieren musste, wenn man die Mannschaften, für die er gespielt hat, grundlegend unsympathisch findet. Denn er ist einer dieser Spieler, die aus ihren individuellen Möglichkeiten genau genommen mehr als das maximale raus geholt hat.

Ein Spieler, der seinen Körper so gnadenlos geschunden hat, dass er mir 31 schon deutlich zu alt für den Scheiß war. Der seine Fußballerischen Limitierungen überwunden hat um (abgesehen von einem Europameister Titel... oh und beim Europa League Titel hat er in einem Spiel mitgewirkt und wurde im Winter verkauft, aber Details) alles gewonnen hat, was man gewinnen konnte. Und er war gemeinsam mit Philipp Lahm halt der Schlüsselspieler der Bayern-Generation, die die Grundlage für die derzeitige absurde Überlegenheit legten.

Vor allem ist Schweinsteiger einer der ersten Profis, dessen Karriere ich als Pseudo-Experte komplett verfolgen konnte. Ich konnte über jeden relevanten Fehltritt auf dem Platz hämisch lachen.... und da gab es mehr von, als Schweinsteiger selber lieb sein kann. Vor allem musste ich aber auch jede von ihm gewonnene Schlacht Zähne knirschend anerkennen. Dabei konnte ich halt die Entwicklung von hoffnungsvollen aufgehenden Star bis hin zur Legende nachvollziehen. Was für einen Spieler mit derart begrenzten fußballerischen Mitteln halt auch ein Anstieg mit vielen Umwegen ist. Danach konnte ich ihn dann beim Altern zugucken, bis ich schließlich ganz zum Schluss nur noch das verhallende Echo im Kleingedruckten des Kickers wahrnahm. Und den jährlichen "Wie geht's dem bei Chicago Fire eigentlich so?" Artikel.

Jetzt ist eines meiner am meisten respektierten, aber genau deswegen Lieblingsfeindbilder im Ruhestand. Und bei allem sportlichen Respekt vor den aktuellen Bayern-Spieler: Eine auch nur annähernd vergleichbare Reizfigur fehlt im aktuellen Kader. Und so komme ich jetzt zu einem Schluss, denn ich 2008 für unmöglich gehalten hätte: Ich werde ihn vermissen.

3 Kommentare:

  1. Experte bist Du mit Deiner Einschätzung bezüglich Löws Taktikgenie. Er hatte nämlich gar nicht die Idee, Bastian als 6er spielen zu lassen. LvG hat bei den Bayern zuerst die Doppelsechs mit MvB eingeführt, die dann mit Martinez perfekt wurde. Der Löw hat wie immer nur von den Ideen und der Ausblind anderer Trainer profitiert (siehe auch Lahm).

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    1. Mag sein, dass mich mein Gedächtnis da täuscht und es ist schwer so was im nach hinein nachzuvollziehen, aber ich glaube damals ein Interview gelesen zu haben, in dem Löw frühzeitig, also vor van Gaal, davon gesprochen hat, dass Schweinsteiger perspektivisch ins Zentrum gehört. Aber finde mal Kicker Interviews aus dem Jahr 2008.... gemerkt habe ich es mir halt, weil ich damals dachte "Was für ein Depp der Löw doch ist..."
      Nebenbei war Löw definitiv der erste, der Kimmich unbedingt ins Zentrum stellen wollte. Was ich großartig finde, weil der auf dieser Position nicht wirklich überragend spielt, aber selbst Kovac dieser Idee jetzt folgt...
      Und zu guter Letzt ist es, bei allem, was ich Löw sonst so vorwerfe, als Nationaltrainer völlig normal von der Ausbildung anderer Trainer zu profitieren. Es ist quasi deine eigentliche Aufgabe aus den dir zu gelieferten Einzelteilen eine für den Moment funktionierende Elf zu basteln. Aber genau das hat Löw ja nie verstanden...

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    2. Ich ziehe meinen Seppl-Hut und habe das hier gefunden: https://fcbayern.com/de/news/2007/09/low-macht-schweini-zum-mittelfeld-chef
      Das Datum und das Zitat unten sagen, dass Klinsmann (oder Heynckes zum Saisonende) die ersten waren, die das ausprobiert haben. Und dann Löw. Und dann LvG.

      "An der Spielmacher-Rolle durfte sich Schweinsteiger in der vergangenen Saison schon einige Male beim Rekordmeister versuchen - mit eher mäßigem Erfolg. Immerhin weiß er seitdem genau, was im Zentrum anders ist: ,In der Mitte ist man fast immer im Spiel. Man hat mehr Ballkontakte und man wird mehr Zweikämpfe bestreiten müssen.'"

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