Dienstag, 15. Oktober 2019

Passives Abseits vs Tradition, Teil 2: Hansa Rostock als Fallbeispiel I für Willkür

Home Sweet Home. Und ja, ich fange die konkreten Beispiele mit Hansa Rostock an, weil es für mich als Einstieg das einfachste ist. Es ist halt der Verein meiner Heimatstadt, da kriegt man am meisten mit und muss am wenigsten nachschlagen. Weil man im Zweifelsfall auch mal selber im Stadion war...

Vor allem lässt sich anhand der Vereinsgeschichte auf wunderbar der Riss in der Fußballgeschichte der DDR erklären. Denn Hansa war nie ein natürlich gewachsener Verein. Er wurde in 2 Instanzen durch das Regierungssystem erschaffen. Zunächst "musste" von Abstieg Motor Wismar der SC Empor Rostock in die Oberliga gepusht werden, damit die Fußballlandkarte nicht so sächsisch dominiert wird. Das ist, als würde der DFB festlegen, dass der SC Paderborn (faszinierender Weise mit Steffen Baumgart, also einem Bezug zu Hansa) ab sofort in Rostock antreten muss um dieses riesige Loch auf der Landkarte der beiden höchsten Spielklassen zu schließen. Man kann sich vorstellen, was für ein Beben das heutzutage auslösen würde, selbst wenn sich eigentlich niemand für Paderborn interessiert. In der DDR war das völlig normal. Faszinierender Weise ist der einzige Mensch, der sich an der Gründungsgeschichte des Fußballstandortes Rostock stört, der eine verirrte FSV Zwickau Ultra, den ich mal getroffen habe... "Das sind doch verkappte Schachter" war dessen Standartspruch...

Formell gegründet wurde Hansa nebenbei erst 1965, weil wieder das DDR Regime reine Fußballleistungszentren erschaffen wollte. Deswegen kam es zu einer vom Staate verordneten Zwangsausgliederung. Ein Schicksal, welches Hansa mit anderen Traditionsvereinen wie dem 1.FC Magdeburg teilt.
Das führt aber zu einem völlig belanglosen, aber interessanten Fakt: Meine beiden Jugendvereine, in denen ich aktiv gespielt habe (SV Hafen Rostock und SV 47 Rövershagen) sind beide älter als Hansa Rostock. Das hat aber in den Vereinen selber nie irgendjemand gestört.
Gerade wenn man dann noch bedenkt (eine weitere Besonderheit der DDR-Sportgeschichte, wir waren quasi alle Bayer Leverkusen), dass der so genannte "Trägerbetrieb" das "Kombinat Seeverkehr und Hafenwirtschaft" war. Also den Verein aus Hafen zu gründen und so zu nennen, wäre eigentlich näher liegend gewesen. Und hätte sich auch mit dem sonstigen Trend (Motor Zwickau, Lokomotive Leipzig, Dynamo Dresden) gut vertragen. Aber irgendwer legte fest, dass es Hansa sein sollte, obwohl das "Konzept Hansestadt" ja erst nach der Wende wieder eingeführt worden ist.

Oh und als Bonus Zusatzfakt, den ich selber auf Wikipedia erfahren habe: Der ASK Vorwärts Rostock musste Zwangsweise nach Stralsund umziehen, weil das ein zu großer Konkurrent für das neu erschaffene Konstrukt war. Warum man nicht einfach den vorhandenen Verein gepusht hat? Keine Ahnung.

Wir haben also eine Gründungsgeschichte, die sich eigentlich mit jeder traditionellen Idee eine natürlich gewachsenen Fußballvereines beißen sollte. Also selbst TSG 1899 Hoffenheim kann da im Vergleich behaupten natürlich gewachsen zu sein. Und vor allem ist diese Gründungsgeschichte geprägt von den Machenschaften eines Unrechtsstaates.

Dazu kommt, und das ist die nächste Absurdität, dass Hansa Rostock in der DDR nie wirklich gut war. In den besten Jahren war man das Vize-Kusen Ostdeutschlands. Den Rest der Zeit war man halt eine Fahrstuhlmannschaft, die zwischen den beiden Ligen pendelte. Also das Bayer Uerdingen der DDR. Es war in keinster Weise abzusehen, dass man nach der Wende jahrelang der Vorzeigeklub des Ostdeutschen Fußballs werden würde. Und man war dementsprechend auch kein Traditionsverein.

Aber man hatte halt das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Oder besser ausgedrückt: Gut, aber nicht zu gut zu sein. Denn der erste Titel der Vereinsgeschichte kam im Jahr 1991. Der letzten DDR Oberligasaison. Aber halt auch dem Jahr, in dem entschieden wurde, wer sich hinterher der Bundesliga anschließen durfte (die ersten beiden halt) und wer sich danach in tieferen Ligen wiederfindet.
Und es war eine Zeit, die durch den Exodus der besten Spieler in den Westen geprägt wurde. Also Dynamo verlor halt Matthias Sammer und Ulf Kirsten. Rostock hatte Axel Kruse und Hilmar Weilandt. Und nichts gegen Hilmar Weilandt, der ist eine absolute Legende. Aber er war halt kein Spieler auf den die Westdeutschen Scouts scharf waren. Und nur um zu verdeutlichen, dass Weilandt kein Einzelfall war, nenne ich noch Juri Schlünz und Heiko März.

Und natürlich stieg Hansa Rostock, nachdem sie am ersten Spieltag noch Platz eins belegten und am letzten Spieltag Eintracht Frankfurt die Meisterschaft ruinierten postwendend wieder ab. Aber diese "Nicht gut genug für die Bundesliga, aber stabil genug um Hansa in der 2. Liga zu halten" Generation legte halt die Grundlage für eine vernünftige Integration in die Wiedervereinigte Fußballwelt.
Also abgesehen davon, dass damals auch außerhalb des Platzes viele richtige Entscheidungen getroffen worden sind, was bei anderen ehemaligen Ostklubs halt erst Mal die Ausnahme war. Aber zu den Zeiten der DDR hat es wenige Anzeichen gegeben, dass ausgerechnet dieser Verein das Vorzeigeprojekt dieser sportlichen Wiedervereinigung werden würde.

Und hier kommt das nächste faszinierende: In Rostock war es den Leuten damals auch relativ egal, was dieser Verein machte. In der einen Bundesligasaison zog Hansa ganze 13.000 Zuschauer an. Gut genug für Platz 18 in der 20er Liga. Und 3.000 Fans hinter dem eigentlich Ostdeutschen Zugpferd Dynamo Dresden. Nach dem Abstieg fiel diese Zahl auf 3.300... Nun sind Zuschauerzahlen von damals natürlich schwer mit heutigen zu vergleichen, aber die Relationen sind schon spannend. Also absolut kommen heute so viele Leute zu Drittligaspielen, wie damals in die Bundesliga. Relativ gesehen würde Hansa, mit der Bedeutung, die dieser Verein heutzutage für die Region hat, nie unter den letzten 3 Vereinen der 2. Liga abschneiden. Also beim Zuschauerzuspruch. Ganz im Gegenteil, der Zuschauerschnitt in der 3.Liga ist höher als bei bei 8. Zweitligisten. Wie das halt so ist, wenn man ein Traditionsverein ist.
Nur um noch ein letztes Zahlenbeispiel zu nutzen, um zu verdeutlichen, wie egal den Rostockern damals Hansa war. In der Saison 1991/92 trat der spätere Champions League Sieger Barcelona zu 2 Pflichtspielen in Deutschland an. Halt (damals war das noch genau so) gegen den Deutschen Meister Kaiserslautern und gegen Hansa als Meister der DDR Oberliga. Zum Heimspiel ins Ostseestadion verloren sich 8.500 zahlende Gäste. Also zum, und das war ja absehbar, größten Heimspiel der Vereinsgeschichte war das Stadion nicht mal zur Hälfte gefüllt. Das Spiel in der Nächsten Runde am Betzenberg wollten dagegen 30.200 Menschen sehen. Da merkt man schon, welcher Verein eine Anziehungskraft auf die Menschen in der Umgebung ausübte... und welcher nicht.

Und das setzte sich in der 2. Liga genau so fort. Erst in der Aufstiegssaison stieg die Zuschauerzahl merklich an. Auch wenn man immer noch hinter den klassischen Westdeutschen Traditionsvereinen zurück hing.

Das deckt sich nebenbei auch mit meinen persönlichen Erfahrung. Ich habe damals selber schon im oben erwähnten Verein gespielt und die Bundesliga auf Ran verfolgt. (Sagte ich schon mal: Scheiße, ich bin alt). Aber bis Fank Pagelsdorf als Aufstiegstrainer in der Sonntagsedition (also Ranissimo, habe ich schon mal erwähnt, dass ich mir viel zu viel sinnlosen Scheiß merke?) interviewt wurde, war mir nicht mal bewusst, dass es eine halbwegs hochklassig spielenden Verein in der Stadt gibt, die um den Aufstieg in die Bundesliga kämpft.

Aber dann schlug die Generation Stefan Beinlich ein und man hatte auf ein Mal einen richtig überragenden Fußballer in seiner Stadt. Und einen Verein der die Bundesliga aufmischte. Der erst am letzten Spieltag die Teilnahme am UEFA Cup (also ein theoretischen Rematch mit Barcelona) verspielte. Man hatte einen Jonathan Akpoborie, der Bayern München abschoss und damit Otto Rehagel direkt entlassen hat.
Und plötzlich war die ganze Stadt mit dem Verein infiziert. Der Zuschauerschnitt stieg auf 26.000.

Und ja, er pendelte sich danach bei 18.000 ein, aber die Grundlage für die Identifikation der Rostocker mit ihrem Verein wurde in diesem Jahr gelegt. Und den folgenden 10 Jahren, die im wesentlichen aus reinem Abstiegskampf bestanden. Also bis auf ganz wenige Ausnahmen. Bis es einen dann irgendwann doch erwischte.

Aber genau genommen zehrt Hansa bis heute von dieser einen herausragenden Saison, die die gesamte Region mit dem Verein infizierte. Und nur in finstersten "Wir könnten sogar in die Regionalliga absteigen" Zeiten fielen die Zuschauerzahlen zurück auf das Zweitliganiveau von 1994. Abgesehen davon kamen konstant zwischen 18.000 (in der Bundesliga) und 12.000 (in der Dritten Liga) Menschen ins Stadion. Und klar, wenn man erfolgreicher ist, steigen die Zahlen leicht. Aber dass der Unterschied zwischen 1. und 3. Liga lediglich bei 6.000 Fans liegt, belegt schon, dass der Zuspruch der Menschen nicht zwingend von der Liga abhängig ist.
Als unpassendes Beispiel: In Kaiserslautern fiel der Zuschauerschnitt um 20.000. Und relativ um 50%, während es in Rostock nur um 30% waren.

Wenn Hansa dagegen damals 1995 direkt wieder abgestiegen und sich als Zweitligist etabliert hätte. Also über dem Niveau von heute spielen, aber die Höhepunkte ausgelassen hätte... Ich bin mir nicht sicher, ob der Zuschauerschnitt zwingend über dem von Heidenheim liegen würde.

Dennoch denkt man, wenn man an Ostdeutsche Traditionsvereine denkt, sehr schnell an Hansa Rostock. An Ostderbys als Hochsicherheitsspiele mit explosiver Stimmung. An angeblich hundert Jahre alte Rivalitäten mit Halle, obwohl man zwischen 1991 und 2012 kein einziges Pflichtspiel gegeneinander absolviert hat... und die Rivalität vorher in der DDR vollkommen irrelevant war. Und an die meisten Bundesligajahre aller ehemaliger DDR Vereine.

All das hat mit der eigentlichen Geschichte des Vereines aber nichts zu tun, sondern geht auf eine kurze, erfolgreiche Phase und für den Verein günstigste Umstände zwischen 1991 und 1995 zurück.
Das sind quasi alles Erfolgsfans, nur dass es in der Region halt nur verdammt wenige Erfolge zu feiern gab... Und sie, wie das gemeine Fans halt so an sich haben, bei dem einen Verein hängen geblieben sind.
Die Geschichte eines klassischen Traditionsvereines sieht definitiv anders aus. Trotzdem würde im Jahr 2019 niemand hinterfragen, ob Hansa eigentlich einer ist.

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