Donnerstag, 30. September 2021

Das große Josip Stanisic Experiment.

 Nur ein paar kurze Worte vorne weg: Ich lese ja wirklich keine Druckausgabe des Kickers mehr. Aber ich war die letzte Woche bei meinem Bruder und da liegt der halt immer noch rum. Also dachte ich: Guckst du mal rein, um dich triggern zu lassen... und das funktionierte perfekt.

Also dass der Kicker weder Raphael Guerreiros katastrophalen Klärungsversuch noch Timothy Chandlers kritische Kopfverletzung überhaupt erwähnt, bestätigt mich in der Entscheidung, denen kein Geld mehr zu geben. Das ist halt kein kritisches Fußballmagazin mehr. Schon seit Jahren nicht. Ich hätte das viel früher machen sollen... Aber eine Analyse dazu kommt bei Gelegenheit.

Denn der andere kritische Satz kam zu Josip Stanisic. Dort hieß es einerseits, dass der sich überraschend gut macht und grobe Patzer vermeidet... dass die Bayern aber eben auch nicht auf solche Talente setzen können, weil jeder Fehler sofort bestraft wird. Ich so: Warte, was?

Und dann beweist Benjamin Pavard, dass selbst die dümmsten Fehler wie ein unnötiger Platzverweis für die Bayern keine Konsequenzen hat. Die sind so gut, dass sie gegen die Hälfte der Liga souverän gewinnen würden, wenn sie von Anfang an in Unterzahl antreten. Und wer das für eine Übertreibung hält: Alphonso Davies sah letztes Jahr gegen den VfB Stuttgart in der 12. Minute Rot... die Bayern gewannen trotzdem... Mit 4:0

Um das mal ganz praktisch zu verdeutlichen: Wenn ich als Bayern Profi in der Rückwärtsbewegung patze, steht ein Manuel Neuer hinter mir. Das war jahrelang der Keeper, bei dem man überrascht war, wenn er einen unhaltbaren Ball passieren lässt. Der alleine kann so viel korrigieren. Und man hat um sich herum 8 Feldspieler von mindestens internationaler Klasse und Thomas Müller, die deinen Fehler kompensieren.

Und ja, dass Thomas Müller dort seit Jahren mit durch geschleppt wird, ohne dass es jemanden auffällt, dass der nur noch bedingt internationale Klasse darstellt, sagt eigentlich alles aus.

Jetzt testet man das zwangsweise mit Josip Stanisic aus. Also weil man keinen ordentlichen Rechtsverteidiger verpflichten konnten, müssen sie jetzt auf das Eigengewächs setzen. Und das funktioniert, wer hätte es gedacht, reibungslos.

Also vielleicht hätte man mit einem richtigen Rechtsverteidiger doch 8:0 gewonnen. Oder mit Pavard nur 4:0, weil er frühzeitig Rot sieht. Aber das Ergebnis "Sieg für die Bayern" hätte kaum zur Debatte gestanden.

Und wenn, dann nicht wegen Stanisic, sondern weil die Stars einen pomadigen Auftritt hinlegen. Darauf kann man ja jeden "nicht-Sieg" der Bayern jenseits runterbrechen: Wenn die Stars motiviert und frisch sind, hat der Gegner keine Chance.

Ist Stanisic ein guter Bundesligaspieler? Garantiert nicht. Also noch nicht. Wenn der bei einem normalen Bundesligisten spielen und in der Defensive richtig gefordert werden würde, dürfte er richtige Probleme bekommen. Wenn er gegen die Stars antreten muss, dürfte er zum Schwachpunkt werden.

Wird Stanisic ein guter Bundesligaspieler? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Entwicklungen von Spielern verlaufen halt nicht immer linear. Kann auch sein, dass sich ein Bundesligist in ihn verguckt, sich einredet, dass der gut sein muss, weil er ja vom Rekordmeister kommt und dann mit ihm absteigt... weil er in der 2. Liga vielleicht besser aufgehoben ist, wie Marco Friedl

Aber auf jeden Fall beweist Stanisic eins: Die Bayern könnten es sich leisten, regelmäßiger auf ihre Talente zu setzen. Es gibt keinen Grund unbedingt auf einen erfahrenen Ersatzmann für teures Geld zu setzen.

Also nehmen wir mal ein praktisches Beispiel: Joshua Zirkzee. Der spielt ja mittlerweile in Anderlecht. Er könnte vielleicht auch in der Bundesliga spielen, aber wer will denn für die Bundesliga ausbilden? Wenn man jetzt vor der Saison gesagt hätte: Du kommst auf 8 Startelf Einsätze im Jahr. So oft werden wir einen Platz für dich in der offensiven Viererreihe finden. Und dann kannst du dich bei uns ordentlich entwickeln. Und die Pausen brauchen unsere Stammkräfte halt so oder so.

Stattdessen... holte man Eric-Maxim Choupo-Moting, der gegen Paris St.Germain überraschend gut war, aber am Ende Müller nicht kompensieren konnte nicht den Unterschied ausmachte. Und Zirkzee macht seine Entwicklungsschritte im Ausland, obwohl das eigentlich albern ist.

Wäre die "Gegen die Bundesligisten reicht es auch mit dem einen oder anderen Talent" Haltung arrogant? Natürlich. Aber die Bayern stehen vor ihrer 10. Meisterschaft in Folge. Die haben dann mehr Titel in Serie geholt, als der Vize-Rekordmeister insgesamt. Können sieht nur von unten wie Arroganz aus. Und die können sich das halt definitiv leisten.

Die Bayern haben aber halt ein ideologisches Problem: Sie wollen seriös wirtschaften. Was man sogar gut finden muss. Aber es führt halt dazu, dass man im Gegensatz zu Manchester City kaum Ergänzungsspieler für relevante Ablösen verpflichtet. Es sei denn, es geht um Marcel Sabitzer und man schwächt nebenbei die direkte Konkurrenz.

Das Problem ist aber: Wenn man nicht mehr als 8 Millionen in die Hand nehmen will, bekommt man "nur" Marc Roca und Bouna Sarr... also Spieler, dem dann doch nicht zugetraut wird, Pavard zu ersetzen. Oder einen Michael Cuisance, den man sich kurz anguckt und doch für zu leicht befunden hat.

Das führt dann zu einem strukturellen Problem: Die Top 15 im Kader sind gut genug für den Champions League Titel. Und selbst Choupo-Moting fällt da ja am Ende mit rein. Aber wenn dann 5 Leute ausfallen... oder einfach nur der eine falsche Spieler ausfällt... dann wird die Luft sehr schnell dünn. 

Das Problem ist doch aber: Mit halbherzigen Transfers behebt man dies nicht. Und 25 Millionen für Ergänzungsspieler auszugeben ist nicht die Philosophie der Bayern... also bedient man sich bei der Bundesligakonkurrenz, die ihre Spieler zu halbwegs vernünftigen Preisen an den Rekordmeister verscherbelt. Dabei könnte man für diese Spiele anscheinend auch auf die eigenen Talente setzen. Davor hat man aber panische Angst...

Und ja, man könnte vor jeder Saison ein Offensiv- und ein Defensivtalent einplanen und dem wettbewerbsübergreifend 15-20 Einsätze im Jahr in Aussicht stellen. Man müsste sich das nur trauen.

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