Freitag, 19. Januar 2024

Die seltsamste Karriere des Mario Götzes

Aus irgendwelchen Gründen kann ich gerade nicht auf Kommentare unter meinen eigenen Beiträgen antworten... ist nen Softwarefehler. Aber im Hinterkopf hatte ich diesen Beitrag eh schon angefangen, auch wenn er eigentlich noch ein halbes Jahr Zeit hat.

Mario Götzes Karriere bleibt eines der größten Rätsel der Gegenwart. Und deswegen muss man sich auch mal im Detail damit beschäftigen.

Denn dieser Mann hat jetzt schon eine Karriere hingelegt, für die 95 % aller deutschen Fußballer ihre Seele verkaufen würden. Also alle, die nicht Toni Kroos heißen. Und das ist nur ein wenig übertrieben. 5 Meisterschaften und 4 Pokalsiege sind einfach eine Ansage, wenn man bedenkt, dass er 4 dieser Titel eben nicht mit den Bayern geholt hat. Das ist eine Bilanz, mit der sich sonst noch ganz wenige andere Dortmunder vorweisen können. Und außerhalb von Dortmund kann das niemand vorweisen. Und klar, für einen Bayern-Profi sind 9 Titel "wenig". Das beweist aber auch nur, wie absurd eintönig die Bundesliga geworden ist. Für jemanden, der "nur" 3 Jahre bei den Bayern war, sind 9 Titel wiederum verdammt viel.

Dazu kommt, als Bonusfeature, das entscheidende Tor in einem WM-Finale. Und das war ja kein Stolpertor. Oder ein Torwartpatzer a la Petr Kouba, dem ein gewisser Oliver Bierhoff seinen Legenden-Status zu verdanken hat. Mittlerweile würden viele deutsche Fans auf diesen EM Titel verzichten, wenn es auch bedeutet, dass Bierhoff nie zum Markenmanager der MNSCHFT wird...

Aber Götze nimmt eine hohe Flanke mit der Brust an und schießt in aus spitzen Winkel mit seinem offiziell schwachen Fuß in die lange Ecke. Es gibt auf dem Platz 2 Spieler, die dieses Tor so erzielen könnten. Da fragt man sich schon, warum Götze nicht gerade zu Fifa's Best gewählt worden ist.

Dieses Tor alleine hebt ihn auf eine Stufe mit Andreas Brehme, Gerd Müller und Helmut Rahn. Den anderen Siegtorschützen bei den anderen Weltmeistertiteln. Alle 3 sind Gründungsmitglieder der Hall of Fame. Götze wird am Ende auch diesen Status erhalten.

Wenn er dort einzieht, dann nur wegen dieses einen Treffers an diesem einen Tag. Denn sonst ist seine Nationalmannschaftskarriere eher eine Enttäuschung. Der Fakt, dass er während des Turniers seinen Stammplatz an Lukas Podolski verloren hatte, ist da bezeichnend. Auch wenn das natürlich einer der verzweifelten Versuche von Jogi Löw war, den 4. Titel zu verhindern. Aber daran wird sich in den Geschichtsbüchern niemand erinnern. Die werden alle nur wahrnehmen, dass Götze im Finale "nur" von der Bank kam. Und dass er beim legendären 7:1 außen vor war.

Noch viel wichtiger: Es war ganz sachlich gesehen das letzte richtige Highlight seiner Karriere. Nicht nur seiner Nationalmannschaftskarriere, was aufgrund der beschissen verlaufenden letzten Turnieren ja allen Beteiligten so geht. Auch in den Vereinstrikots hat er wenig gerissen. Also gemessen an seinen Ansprüchen und Möglichkeiten.

13 Scorerpunkte im Bundesliga-Jahr nach der WM sehen nicht schlecht aus. Bis einem bewusst wird, dass Leroy Sané bisher in jeder seiner Bayern-Saisons mindestens 14 gesammelt hat... und der wurde häufig als Mitläufer kritisiert und schafft erst jetzt den endgültigen Durchbruch. Ein Thomas Müller hat gefühlt alleine in den Spielen gegen den Hamburger SV 13 Scorerpunkte gesammelt. Und wir reden hier von jemanden, der die Lionel Messi Rolle unter Guardiolas Bayern übernehmen sollte. Ich war nicht mal sauer auf Götze, als er diese Chance ergriffen hat. Dass dies nicht geklappt hat, ist bestimmt nicht nur seine Schuld. Dennoch muss man einfach festhalten, dass er die Erwartungen nicht erfüllt hat.

Götzes Bilanz bis auf das durch eine Verletzung ruinierte letzte Jahr war "ordentlich, aber nicht überragend". Und so kann man genaugenommen seine gesamte Karriere nach der Weltmeisterschaft 2014 zusammenfassen. Und klar: 80 % aller Deutschen Fußballer wären stolz darauf, eine ordentliche Bundesligakarriere hinzulegen...

Aber gerade die ersten Jahre haben so viel mehr angekündigt. Was der junge Götze in seinen ersten Dortmunder Jahren, die dann ja auch in 2 Meisterschaften mündeten, war so unfassbar gut. Wenn der Mann im Champions League Finale gegen die Bayern fit gewesen wäre... 

Am besten fasst das ja seine persönliche Kicker-Rangliste zusammen: Von Winter 2010/11 bis Sommer 2013 war er, wenn er denn fit war, immer mindestens "internationale Klasse" und unter den besten Dreien. Im Sommer vor dem Wechsel nach München war er definitiv "Weltklasse". Diese Konstanz mit Anfang 20 zu präsentieren...
Ich bekomme ja immer übelste Götze Flashbacks, wenn ich jetzt einen jungen Florian Wirtz sehe. Die Ranglisten-Einordnung sieht auf jeden Fall sehr ähnlich aus. Dennoch wird es hoffentlich in 10 Jahren Blasphemie sein, wenn man Wirtz einen FußballGÖTZEn nennt.

Es folgten noch 2 Halbjahre in der internationalen Klasse... und dann ganz lange nichts mehr. Der Siegtorschütze und damit angehende Hall of Famer verließ die Bundesliga mit Mitte 20 ablösefrei in Richtung Holland. Das sollte der Karriereweg eines "Marius Ebbers Angreifers" sein.

Natürlich wird da die nicht korrekt diagnostizierte Stoffwechselerkrankung seinen Teil beigetragen haben. Und die verdammt hohen Erwartungen an ihnen als Heiland bei seinem Jugendverein und als angehender Hall of Famer. Es gibt schon Gründe, warum Götze am Ende aus Deutschland beinahe geflohen ist. Ein Stück kann ja gleichzeitig tragisch und seltsam sein. 

Dann kam aber das retardierende Moment in dieser Karriere: Nach seiner Rückkehr in die Bundesliga zu Eintracht Frankfurt deutete er plötzlich wieder an, was alles in ihm stecken könnte. Der Kicker bescheinigte ihn "Internationale Klasse"... auch wenn seine Rolle auf dem Platz eine andere war, als wir es aus den jüngeren Jahren kannte. Er war mehr der Einfädler, als der Vollender.
Wobei ich an der Stelle auch mal einschieben muss: Er hat den "Beyoncé-Bump" eindrucksvoll ausgenutzt. Ja, natürlich kommt diese Geschichte auch mit Beyoncé Referenz. Aber er war halt ein Teil der Frankfurter Mannschaft, die sich überraschend gut durch die Champions League kämpfte. Die sich gegen die absolute Elite durchsetzte und ins Achtelfinale einzog. Gut, diese Elite bestand im Wesentlichen aus Tottenham Hotspurs, Olympique Marseille und Sporting Lissabon. Man ließ also nicht die gehobene internationale Klasse hinter sich, um das Achtelfinale zu erreichen, sondern hatte verdammt viel Losglück und den Vorteil, im Topf 1 zu landen. Aber das sind ja Details. Da diese Mannschaft aber überraschend erfolgreich war, wurden ihre Spieler auch entsprechend hoch eingestuft. In der Euphorie wurde Götze vielleicht ein wenig zu gut eingeordnet.
Ganz sachlich frage ich mich, wie ein offensiver Mittelfeldspieler, der wettbewerbsübergreifend auf 7 Scorerpunkte kam, "Internationale Klasse" sein soll. Ich dachte ja, dafür müsste man im nationalen Wettbewerb ein Unterschiedspieler sein. 

Aber hey, wenn das nur der Auftakt war, bekommen wir wenigstens halbwegs den Spieler, der uns vor 10 Jahren versprochen wurde. Und damit wären doch alle glücklich. Nur hielt er dieses Niveau nicht. Nach einem starken Auftakt ist er am Ende wieder "nur" ein Mitläufer. Im letzten Halbjahr war es ganz sachlich gesehen egal, ob Götze auf dem Platz stand oder nicht. Ein Unterschied wäre dem neutralen Beobachter nicht aufgefallen.

Und so ist Götze schon wieder in derselben Position wie im Frühjahr 2020... Nur, dass ihm das jetzt bei einem etwas weniger ambitionierten Bundesligisten passiert. Der Kicker führt ihn nicht mehr in der Rangliste, sondern in der "Diese Spieler müssen jetzt liefern, um nicht als Fehleinkauf abgestempelt zu werden" Liste. Er hat jetzt die Chance zu scheinen, weil die Konkurrenten zum Afrika Cup gereist sind. Dass ein Spieler mit Götzes Potenzial überhaupt auf solche Momente warten muss, ist auch schon wieder enttäuschend. Die traurige Wahrheit ist auch: Bisher konnte sich Götze in genau diesen Momenten nie durchbeißen.

Am Ende, und das steht jetzt ja schon fest, wird Götze als unvollendetes Talent in die Geschichte eingehen. Aber gleichzeitig war sein "Jugendwerk" so überragend, dass er als einer der wichtigeren Spieler in die Hall of Fame aufgenommen werden wird. Alleine schon, weil da aus Prinzip jeder Torschütze eines WM-Finales auftauchen muss... und das auch völlig zu Recht.

Auf der anderen Ebene würde Götze immer noch als guter Bundesligaspieler in die Geschichte eingehen, wenn man die ersten 5 Jahre streichen und durch normale Jahre ersetzen würde. Und für diesen Spieler wäre es viel leichter gewesen, Akzeptanz und Anerkennung zu finden, wenn er sich nicht ständig mit den ersten 5 Jahren messen lassen müsste. Eine Messlatte, die so verdammt hoch ist, dass nur eine Handvoll deutscher Spieler die nicht reißen würden.

In der logischen Konsequenz kann es keine faire und sachliche Beurteilung des Spielers Mario Götze geben, denn beide Ansätze werden der Person nicht gerecht.

1 Kommentar:

  1. Sorry, not sorry! :P ...eine mögliche Erklärung für die fehlende Performance diese Saison könnte sein, dass er zwar auf dem Papier 10er ist, aber unter Topmüller eigentlich wesentlich tiefer spielt. Aber klar, bei dem Potential ist das Wort "unvollendet" absolut angebracht.

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