Mittwoch, 8. Juni 2022

Warum läuft Thomas Müllers Nationalmannschaftskarriere so bescheiden?

Scheiße sagt man ja nicht... zumindest nicht in der Überschrift.

Aber vorher noch ein paar Gedanken zum Deutschland - England Spiel: ich fand es faszinierend, wie zufrieden alle mit einem Unentschieden in München war. In einem Heimspiel. Sowohl Hansi Flick, als auch Christoph Kramer, der explizit den tollen Spielaufbau anpries... weil der englische Torhüter den Ball nur lang nach vorne gedroschen hat. Und dann noch dieses toll heraus gespielte Tor.

Eine toll heraus gespielte Chance war es. Aber halten wir mal eines ganz kurz fest: Manuel Neuer hält diesen Ball, Jordan Pickford halt nicht. Und Neuer ist auch der Hauptverantwortliche für den Spielaufbau. Er erinnerte uns mal kurz daran, dass er halt mit einer gewissen Selbstverständlichkeit unhaltbare Bälle abwehrt. Das war früher die Norm, ist aber in den letzten 2 Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten.

Und ich will hier auch nicht von einem Torwartfehler sprechen. Aber auch während der WM wird man auf den einen oder anderen Torhüter treffen, der solche Bälle halt hält. Thibaut Courtois zum Beispiel, wie man gerade im Champions League Finale gesehen hat.

Halten wir mal ganz sachlich fest: Wenn wir die Torhüter austauschen, gewinnt England das Spiel mit 2:0. Neuer hält dann den Hofmann Schuss, Pickford vereitelt die Kane Großchance nicht... Aber wir strahlen gerade wieder diese arrogante Selbstgefälligkeit aus, die die letzten 3 Löw-Turniere geprägt haben. Und wie die ausgehen, werden wir uns gleich nochmal anschauen. Fakt ist halt auch, dass der immer noch ungeschlagene Flick keines seiner Spiele gegen die "Großen" gewonnen hat. "Groß" heißt hier auch die Niederlande und Italien, die 2022 nicht wirklich um den Titel mitspielen werden. Und wenn es nicht wieder so läuft, wie 2002, wird man derartige Mannschaften schlagen müssen, wenn man ins Halbfinale einziehen will. Aber hey, Thomas Müller wird dann schon in Form sein und uns den Arsch retten...

Das bringt uns dann... zu der Frage, warum der seit 2014 so Scheiße spielt. Denn dass der im Bayern-Dress immer noch wichtig ist, stelle ich ja gar nicht infrage. Aber auf der anderen Seite stehen halt diese 13 Turnierspiele mit einem Scorerpunkt...

Das ist halt ganz sachlich eine Bilanz, mit der jeder andere Offensivspieler wie die arme Sau durchs Dorf getrieben wird... glaubt ihr nicht? Dann fragt euch mal, wer seit 2014 bei Welt- und Europameisterschaften mehr Scorerpunkte gesammelt hat: Mesut Özil oder Müller? Einer der beiden hat mal ein Führungstor in einem Halbfinale gegen Italien erzielt, der andere ist Thomas Müller.

Aber einer der beiden hatte halt die Chance, seine Bilanz mit tollen Spielen in der EM-Qualifikation gegen Schottland aufzuwerten... deswegen sieht die Gesamtbilanz immer noch toll aus.

Nebenbei können wir mal an einem ganz sachlichen Diskurs festmachen, dass Müller einfach nicht mehr auf dem Niveau von 2014 ist. Ich hab mal gegenüber einem Bayern- und Deutschland-Fan vorgeschlagen, dass man Müller ja von mir aus auf die weniger wichtige Position Rechtsaußen stellen kann und dann (im aktuellen Fall) Jonas Hofmann oder Serge Gnabry auf die Bank setzt. Solange man Platz für İlkay Gündoğan oder Kai Havertz schafft, ist das immer noch besser. Dann sagt mir dieser Mensch dann: "Das ist ja nicht seine Rolle, das kann nicht funktionieren"... und dann erwähne ich sofort: Der ist als Rechtsaußen Weltmeister und Torschützenkönig geworden. Wenn er diese Rolle nicht mehr ausfüllen kann, dann ist er einfach nicht mehr so gut, wie er damals war. Dann sieht man es hinter den Augen rattern, weil er ja weiß, dass ich sachlich gesehen recht habe, aber das kann halt nicht als die Wahrheit akzeptiert werden, weil Müller halt immer noch Weltklasse sein muss... wenn er das wirklich noch wäre, könnte er problemlos nach rechts ausweichen und damit viele Probleme lösen.

Das führt halt zum ersten Punkt: Müller ist gar nicht schlechter, er spielt halt nur gegen schlechte Gegner extrem gut... und davon gibt es in der Bundesliga extrem viele. Wenn die Konkurrenz dann aber seriös wird, ist Müller nur ein viel erzählender Mitläufer. Also selbst beim Champions League Triumph waren die Schlüsselspieler halt Neuer, Alaba, Kimmich, Gnabry, und Lewandowski. Müller spielte nur gegen ein völlig überfordertes Barcelona überragend... In einem Spiel, in dem selbst Coutinho 2 Treffer erzielte... aber niemand wäre auf die Idee gekommen, die Bewertung des Brasilianers grundlegend zu überdenken, weil er da auch mal effektiv war. Dass es quasi das einzige wirklich gute Spiel auf diesem Niveau von Müller war, ist dagegen egal.

Auf der anderen Seite stehen dann aber doch gute Leistungen gegen Dortmund und Leipzig. Und die 10 Meisterschaften, bei denen er ja schon irgendwie eine Schlüsselrolle gespielt hat.

Also um das nochmal festzuhalten: Ich zweifle wirklich nicht daran, dass Müller den Bayern hilft. Dass der bei denen durchaus eine wichtige Rolle einnimmt, auch wenn er am Ende an seiner Grenzen stößt. Der hat schon einen Bärenanteil an dieser unfassbaren Serie. Einerseits natürlich, weil er dieses "Mia san Mia" und diese Gier nach dem nächsten Titel wie kein Zweiter lebt. Aber sollte sich genau diese Gier nicht auch bei den Nationalmannschaftsturnieren bemerkbar machen.

Vor allem aber auch, weil er seine Mitspieler wirklich besser macht. Vor allem einen: Robert Lewandowksi. Halten wir mal eines fest: Ohne Thomas hätte der Pole Gerd's Rekord nie geknackt. 43 direkte Assists für Lewandowski hat der mittlerweile auf dem Konto stehen. Und als der Raumdeuter dann in der Rückrunde den Dienst auf Teilzeit stellt, hatte der Rekordtorjäger auf einmal keine Chance mehr, die 40 Tore Marke wieder zu knacken. Und ja, Müller hat mit 6 Torvorlagen eine für ihn unterirdische Rückrunde gespielt. Auch Lewandowskis Quote fiel deswegen auf "nur 15 Rückrundentore"... Nachdem er im Winter noch auf Kurs lag... Es gibt schon einen direkten Zusammenhang zwischen Müllers Form und Lewandowskis Bilanz.
Nebenbei fand ich es faszinierend, dass selbst der sonst gerade bei seinen Lieblingsnationalspielern so unkritische Kicker in seiner Rangliste den Satz "in einigen Spielen war der Sieger der Winter-Rangliste derartig unsichtbar, dass Julian Nagelsmann eigentlich hätte durchgreifen müssen." schreibt. Das ist ein vernichtendes Urteil... welches natürlich keine Auswirkungen auf seine Rolle in der Nationalmannschaft hat.

Denn Müller ist die perfekte Inkarnation des "Martin Harnik Angreifers". Er ist die perfekte Ergänzung, die um einen klassischen Mittelstürmer herumspielt und auch arbeitet. Der die Räume, die so ein Stürmer kreiert, so eng sie im 16er auch sein mögen, findet und nutzt. Und der auch immer wieder Wege findet, diesen Mittelstürmer in Szene zu setzen. Damit ist er auch immer wieder der Spieler, der die engmaschigen Verteidigungen knackt. Und er ist halt auch der Spieler, der mit seinem Einsatz dafür sorgt, dass der Pole am wenigsten laufen muss... Und pro Spiel ungefähr so oft am Ball ist, wie Teilzeitarbeiter Marcel Sabitzer. Oder seltener als Sven Ulreich... Auch dank der Arbeit von Müller kann Lewandowski sich wirklich voll auf den Abschluss im Strafraum konzentrieren und muss am restlichen Spiel fast nicht teilnehmen.

Aber hier fängt auch das Problem an: Ein Martin Harnik Angreifer bekommt immer dann Probleme, wenn er selber zum sprichwörtlichen Fixpunkt der Offensive aufsteigt. Wenn er nicht um jemand anderes herum spielen kann. Und in der Nationalmannschaft... haben wir diesen Mittelstürmer, um den ein Müller herum agieren kann, einfach nicht mehr.

Wir hatten die früher mit Miroslav Klose und auch Mario Gomez. Allerdings entschied sich Löw dann im EM Halbfinale dafür, Müller ins Zentrum zustellen und Gomez auf die Bank zu setzen... der Mann findet halt immer wieder brillante Lösungen für nicht existierende Probleme... Oh und auch gegen Südkorea saß Gomez trotz Tor gegen die Schweden im Spiel davor anfangs nur auf der Bank... Immerhin neben Müller.

Das Problem in der Gegenwart ist aber: Die "Mittelstürmer" heißen Timo Werner und Kai Havertz. Zumindest, wenn man seine besten Spieler aufstellen würde. Und ja, für "Doppelspitze Havertz - Werner" würde ich meine "Gündoğan muss auf die 10" Haltung überdenken. Das Problem ist halt: Keiner der beiden ist dieser klassische Mittelstürmer, um den ein Müller herum arbeiten kann. Die sind individuell besser als es Klose und Gomez je waren, aber sie spielen halt eine andere Rolle. Und wenn das Spiel nicht um einen festen Mittelstürmer angelegt wird, findet Müller auch die Räume nicht mehr, die dieser Mittelstürmer kreiert. Deswegen sinkt dann auch sein Wert für diese Mannschaft.

Deutschland wird bis zur WM keinen herausragenden Mittelstürmer mehr zeugen. Ok, zeugen vielleicht schon, aber der braucht dann noch nen paar Monate bis zur Geburt. All die Mittelstürmer sind "nett"... Lukas Nmecha ist als offensichtlicher Name gut genug für die Bundesliga, aber halt auch nicht mehr. Der ist aber auch die einzige wirkliche Hoffnung auf jemanden, der vielleicht mal halbwegs gehobenes Niveau repräsentieren könnte. Die Bayern beschäftigen sich ja bewusst nur mit ausländischen Angreifern, wenn es um die Lewandowski Nachfolge geht. (Nebenbei wird es auch spannend, wie es sich auf Müllers Rolle auswirkt, falls Sadio Mané wirklich kommt, der, so weit ich weiß, auch nicht der klassische Mittelstürmer ist...)

Damit ist dann folgender individueller Verlauf für die WM zu erwarten: Müller wird genau so spielen, wie bei der letzten EM: Er wird engagiert auftreten. Hoch motiviert und mit vollem Einsatz das Pressing antreiben. Er wird sogar gegen Costa Rica oder Neuseeland und Japan 3 Tore und 2 Vorlagen sammeln. Dann werden alle die Auferstehung des Nationalhelden feiern und komplett ignorieren, dass er gegen Spanien unsichtbar war... und dann wird man ab dem Viertelfinale nichts mehr von ihm sehen. Das ist die ganz sachliche Analyse anhand der letzten 3 Turniere. Aber das wird uns vorher keiner erklären. Und dann sind alle wieder schockiert, wenn es gegen England nicht zum Sieg reicht... Obwohl man das vorher in nem Testspiel gut beobachten konnte...

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