Dienstag, 20. Oktober 2020

Der Unterschied zwischen Müller und Boateng

 Oder: Der Rattenschwanz an Problemen, die Jogi Löw sich gerade selber erschaffen hat... und wie sein eigener Stolz verhindert, dass diese gelöst werden.

Aber hey, immerhin gibt es mittlerweile einen gewissen Fortschritt. Den Experten ist aufgefallen, dass auch Jerome Boateng einen entscheidenden Anteil am Champions League Sieg der Bayern hatte. Und das auch der eigentlich zurück in die Nationalmannschaft muss. Was bei einem Thomas Müller ja schon lange gefordert wird.

Allerdings zeigen die letzten Länderspiele, dass die beiden Fälle eben nicht vergleichbar sind. Denn derzeit scheint Jogi Löw 2 Optionen zu haben: Defensiv stabil zu stehen und Offensivspieler zu opfern. Dann kommt ein uninspiriertes 2:1 gegen die Ukraine raus. Und ja, dass man gegen eine offensiv alles andere als berauschend aufgestellte Auswahl auf eine 5er-Kette setzt, weil man erst Mal Stabilität reinbekommen muss, ist Teil des Problems. Wenn man dann von der Kritik inspiriert einen Kai Havertz für den 5. Verteidiger aufstellt, kommt ein wesentlich abwechslungsreicheres Spiel dabei heraus. Dieses Spiel wird aber von der Erkenntnis geprägt, dass die Spieler derzeit nicht gut genug sind um eine Viererkette umzusetzen. Am deutlichsten zeigt sich das ja bei Antonio Rüdiger, der dann doch andeutet, dass es Gründe gibt, warum er bei Chelsea de facto ausgemustert wurde. Aber er ist halt sachlich gesehen immer noch die beste Option, weil... nun ja... Löw zu stolz ist zuzugeben, dass das Ausbooten von Mats Hummels und Boateng ein Fehler war.

Hier muss man nochmal zwingend auf die eigentliche Aufgabe von Löw als Nationaltrainer zu sprechen kommen: Einen unausgeglichenen Kader möglichst optimal aufzustellen. Also praktisch muss er ein System suchen, welches möglichst vielen Mittelfeldspielern platz gibt, denn genau dort ist Deutschland gerade am breitesten aufgestellt. 

Praktisch muss er Platz für Toni Kroos, Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich, Leroy Sané, Leon Goretzka, Kai Havertz, Marco Reus, Julian Brandt und Julian Draxler finden. Genau genommen muss man sogar Timo Werner dazu zählen, denn auch wenn er Dinge in einem anderen Tempo macht, als Müller, so ist er praktisch doch der neue Müller. Also ein Angreifer, der dann überragend funktioniert, wenn er einen klassischen Mittelstürmer, um den er herum wirbeln kann, an seiner Seite hat. Aber wahrscheinlich ist es am vernünftigsten auf ein 4-5-1 zu bauen und jetzt schon zu proben, wie Werner da als einziger Stürmer integriert werden kann. Weil man halt in diesem Land einfach keine brauchbaren Mittelstürmer ausbildet.

Nebenbei wäre es auch das vernünftigste, Kimmich davon zu überzeugen, dass er Rechtsverteidiger spielen sollte, wenn er mit der Nationalmannschaft Titel gewinnen will. Denn er ist der beste Rechtsverteidiger im Kader und Gorrtzka oder Gündogan könnten den Platz im Zentrum neben Kroos adäquat ausfüllen. 

Was mach Löw stattdessen? Er sucht nach Möglichkeiten, wie er Ginter, Süle, Rüdiger, Klostermann und Halstenberg aufstellen kann. Und kürzt die sowieso schon engen 5 1/2 Plätze für 9 Spieler auf 4. Was halt echt das Dümmste ist, was man machen kann.

Und das ist halt der entscheidende Unterschied zwischen Hummels + Boateng und Müller. Wenn man Müller wieder einlädt, hat man dann 10 Spieler, die sich für die 5 Mittelfeldplätze bewerben, aber immer noch keine Lösung gefunden, wie man die defensive Grundlage für die 5 eher offensiv ausgerichteten Mittelfeldplätze schafft. Wenn man Boateng und Hummels ins Zentrum stellt, hat man ein Duo, welches bereits nachgewiesen hat, dass sie auf höchstem Niveau eine Viererkette sichern können. Und klar, gerade Boateng hatte zwischenzeitlich ein Leistungstief, welches auch die Nichtnominierungen rechtfertigte. Aber im Herbst 2020 gibt es halt keinen deutschen Verteidiger, der stabiler steht. 

Nebenbei wird ja an der Stelle immer darauf verwiesen, dass Deutschland auch einfach nicht die Außenverteidiger hat um mit einer Viererkette zu spielen. Den Leuten sei gesagt: Benedikt Höwedes ist als Linksverteidiger Weltmeister geworden. Und als Rechtsverteidiger wurde bezeichnender Weise das "Wir ziehen Philipp Lahm ins Zentrum" Projekt zwangsweise beendet. Sprich: Jemanden, der da grundsolide steht und den einen, der eigentlich lieber im Zentrum steht dort aufzustellen, reicht vollkommen aus... solange man dadurch dann dafür sorgt, dass man die Positionen, auf denen man breit aufgestellt ist, stärkt. 

Das ist ja das faszinierende an Löw: Der sollte eigentlich wissen, wie es geht. Das "Shokdran Mustafi Experiment" am Ende nur die Titel gefährden und man die einfachen und pragmatischen Lösungen nutzen muss, hätte er ja echt 2014 lernen können. Aber wie immer hält er seinen Lösungsansatz für wesentlich cleverer.

Eigentlich sollte die Nationalmannschaft jede Gelegenheit nutzen um durchzukauen, wie man mit Werner vor einer offensiven Dreierreihe agiert. Und dann nen Plan B mit Luca Waldschmidt als wuchtigen Joker mit einbauen. Stattdessen führt Löw vollkommen sinnlose Experimente durch, die keinem was bringen. Also außer die Erkenntnis, dass man so nicht Europameister wird.

Aber gut, mir soll es recht sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen