Mittwoch, 27. November 2019

Passives Abseits vs Tradition: Teil 4: Was macht einen Traditionsverein eigentlich aus?

Um nochmal ein theoretisches Schema zu erschaffen, an dem man sich an praktischen Beispielen voran arbeiten kann.

Eigentlich sollte es doch verdammt einfach sein. Aber wenn man die Suche dann bei Google eingibt... findet man nur Fragen und keine Antworten...
Am besten ist der Satz "Ein Traditionsverein ist ein Verein, der auf eine Lange Tradition zurückblicken kann." Wenn man sich bei der grundlegenden Definition schon im Kreis drehen muss, hat man irgendwie ein Problem.

Als erstes landet man natürlich bei:
Ein Traditionsverein muss alt sein!

Da kommt aber auch sofort das erste Gegenbeispiel: Der 3. älteste Bundesligist ist die TSG 1899 Hoffenheim. Also ein Verein über den sich (bevorzugt die Dortmunder) Ultras gerne aufregen, obwohl ihr Verein 10 Jahre jünger ist. Und den sie wohl nie in ihren eigenen Reihen aufnehmen werden.  

Ein weiteres praktisches Beispiel ist Lipsia Eutritzsch 93 e.V..  Von den habt ihr wahrscheinlich noch nie was gehört, aber ich sag das mal so: die fehlende Zahl vor dem 93 ist keine 19... Somit taucht er dann teilweise in den Listen der 5 ältesten Fußballvereinen Deutschlands auf. Diese sind nicht immer ganz eindeutig, weil einige nur reine Fußballvereine zählen, andere auch Fußballabteilungen.
Das wirklich relevante ist: Wenn es um die Leipziger Traditionsvereine geht, nennt man immer erst Mal Lok Leipzig und Chemie. Selbst in der Stadt kommt kaum jemand auf die Idee, Lipsia zu nennen. Und ja, ich habe 8 Jahre Fußball in Leipzig gespielt, herausgefunden, dass dieser Verein so verdammt alt ist, habe ich trotzdem gerade bei der Recherche für diese Serie.

Nebenbei ist keiner der Vereine von der Fussball.de Liste heute wirklich relevant. Am ehesten ist es der Kieler FV, aus dem dann Holstein Kiel hervorgegangen ist. Aber wenn man heute an Holstein Kiel denkt, denkt man doch zuerst an den aufstrebenden Verein aus dem Norden, der plötzlich an die Tür der Bundesliga klopfte und nicht an eine Mannschaft mit ellenlanger Geschichte.

Letztes Beispiel: In der letzten Socrates wurde der 2. Vorstand des ältesten immer noch existierenden Sportverein Deutschlands interviewt. Ihr kommt garantiert nie darauf, wie der heißt. Wobei natürlich auch dieser Verein ein 50 jähriges Loch in seiner Geschichte hat, weil er nach der Wende neu gegründet werden musste...

2. Ein Traditionsverein muss erfolgreich sein!
Natürlich nicht. Die klassische Tradition des FC Bayern Münchens ist überschaubar (also verglichen mit sagen wir 1860 München), aber sie sind halt verdammt erfolgreich und haben deswegen weltweit verdammt viele Fans. Das soll auch kein Vorwurf an die Fans sein, manche wollen halt hauptsächlich guten und erfolgreichen Fußball sehen.
Eigentlich sollte dieser Beitrag natürlich auch heißen: Ein Traditionsverein funktioniert ohne Erfolg. Eher im Gegenteil: Solange einem nie so richtig das Herz gebrochen wurde, ist man kein Traditionsfan.
Traditionsvereine zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie unabhängig von von kurzfristigen Erfolgen funktionieren. Am praktischsten lässt sich das gerade am 1.FC Kaiserslautern zu verdeutlichen: Praktisch ist dieser Verein das reinste Chaos. Er stolpert von einer Katastrophe in die Nächste. Und er ist mittlerweile dichter an der 4. als an der 1. Liga. Trotzdem bewegen sich zu jeden Heimspiel 20.000 Menschen ins Stadion... Um derzeit einen Abstiegskandidaten zu sehen.
Selbst wenn der Konkurs nicht mehr aufzuhalten ist und der Verein in der Kreisklasse wieder anfangen muss, wird er immer noch die Leute in der Pfalz bewegen.
Ähnliches ist ja damals bei Lok Leipzig passiert, die buchstäblich von der Kreisklasse bis in die Regionalliga marschiert sind. Die dabei aber auch einen erstaunlichen Rückhalt in der Stadt hatten.

Genau das hat mich ja so an den Aussagen von Dirk Zingler in der Saisonvorschau für Union Berlin so schockiert: Da macht sich ein Präsident sich Sorgen darum, dass sein Verein von der Landkarte verschwindet, wenn man sich nicht für Investoren öffnet. Dabei sollte man doch einer dieser Vereine sein, die, solange man seriös wirtschaftet, auch in der Regionalliga funktionieren können. Also die wahren Union Fans werden dann immer noch ins Stadion gehen und ihren Verein unterstützen. Eine derartige Institution kann gar nicht von der Landkarte verschwinden.

3. Ein Traditionsverein braucht eine eigene Identität. Auch jenseits des Platzes.
Wo wir schon bei Union sind: Der Verein bezieht seine Tradition halt als "Arbeiterverein". Als Gegenpol zu den etablierten Bonzen von BFC Dynamo und Hertha BSC. Diese Position macht den Mythos Union am Ende doch aus.
Das Klischee behaftete Beispiel ist da doch Schalke 04 als der ultimative "Kumpel-Klub". Mittlerweile wird praktisch keine Steinkohle mehr in Deutschland gefördert, aber das Image wird von den Schalkern weiter gepflegt. Was ich auch gar nicht kritisieren will, es fasziniert mich nur. Also das ein Verein, der am russischen Gashahn hängt, die Deutsche Kohleförderung glorifiziert... es führt aber zu:

4. Ein Traditionsverein muss tief in seiner Heimat verwurzelt sein.
Das ist ja etwas, was RB Leipzig auch in 100 Jahren noch nicht erreicht haben wird. Selbst wenn die dann Rekordmeister sein sollten. Dann wird es immer noch heißen: Ist schön, aber die Vereine, die das Stadtbild immer geprägt haben, waren andere. Ihr seid immer noch die Österreicher...

Das ist natürlich etwas, was sich sehr schwer fassen lässt. Anders ausgedrückt: Gibt es eigentlich irgendwo eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen erfolgreichen Traditionsvereinen und den Jugendmannschaften in der Stadt des Traditionsvereines untersucht? Meine persönliche, aber sehr subjektive (und eventuell etwas veraltete) Erfahrung ist ja, dass in Rostock und Umgebung jeder 15-jährige den Traum gehabt hat, dass er beim jährlichen Schützenfest der Hansa Jugend gegen den eigenen Verein von einem Scout entdeckt wird. Was natürlich nie passierte. Wie will man bei einem 0:18 gegen den jüngeren Jahrgang auch glänzen? Aber es führte halt dazu, dass jeder Verein bis zum hintersten Dorf von der D-Jugend hoch eine Jugendmannschaft für jeden Jahrgang gestellt hat.
Als es dann fürs Studium nach Leipzig ging, gab es regelmäßig Mannschaften ohne A-Jugend/U19 Mannschaft. Was suboptimal ist, wenn man in einer 2. Mannschaft spielt, die eigentlich davon lebt, dass jedes Jahr 3-4 Spieler nachrücken.
Und trotz des theoretischen Boom-Faktors Weltmeisterschaft im eigenen Land. Aber das war halt auch zu Hochzeiten des Traditionskrieges, als man als Fan des einen Vereins Angst haben musste, dass man auf seiner Weihnachtsfeier vom anderen Lager überfallen wird. Es fehlte halt dieser Lokale Magnet, zu dem sich jeder Fußballer der Stadt hingezogen fühlte und wegen dem man mit dem Kicken begann.
Um das zu verdeutlichen: Die A-Jugend Kreisklasse in Leipzig besteht nur noch aus 6 Mannschaften, weil eine bereits aufgegeben hat.
Andererseits... gibt es in Rostock anscheinend keine Kreisklasse mehr, sondern nur noch die "OSPA Landesklasse Staffel I"... Ich sag das mal so: Dass jetzt meine beiden Jugendvereine und der Verein meines Großvaters und Vaters in derselben niedrigsten Staffel spielen, obwohl letzterer eigentlich ziemlich weit weg liegt, beunruhigt mich etwas... wo war ich?
Oh ja, wenn ihr euch fragt, warum hier gerade so wenig veröffentlicht wird: Weil ich irgendwie zu viel Zeit mit solchen erst Mal sinnlosen Recherchen verbringe und dann hoffe, dass sie irgendwo reinpassen.

Jedenfalls sollte sich Strahlkraft eines Traditionsvereines auch in der Breite der Gesellschaft auffallen. Einerseits im Breitensport. Andererseits aber halt auch im Stadtbild. Einerseits natürlich durch ein Stadion und ein Vereinsgeländer, welches seit Ewigkeiten da ist, aber halt auch ausschließlich mit diesem Verein in Verbindung gebracht wird. Dazu kommen halt so Kleinigkeiten wie "Graffiti". Ich bin ja Freund von der absurden These, dass man in Rostock 80 Km in jede Richtung fahren kann und wenn es dort irgendwo ein Fußball-Graffiti gibt, ist es in 90% der Fälle eines von Hansa.
Und wenn ein Traditionsmannschaft ein Heimspiel austrägt, prägt es halt auch das ganze Stadtbild. Weil die Fans im gesamten Stadtbild präsent sind, was einem auch irgendwie das Gefühl vermittelt, dass die gesamte Stadt mitfiebert. Das zeigt halt, wie eng die Verbindung zwischen Traditionsverein und Stadt sind.

5. Traditionsvereine dürfen keinen Investor/ Mäzen haben.
Ist natürlich nur ein Scherz. Investoren haben so gar keinen Einfluss auf den Traditionsstatus eines Vereins. Ein 1860 München verliert ihn nicht, weil man am Tropf von Hasan Ismaik hängt.
Aber das wirklich faszinierende ist ja, wie viele abgestürzte Traditionsvereine in der letzten Kicker Serie (die kommt ja mittlerweile gefühlt ein Mal im Jahr) die klassische "Solange der Mäzen Geld hatte, ging es dem Verein gut, seit dem geht es bergab" Geschichte sind. Nehmen wir mal das aktuell dramatischste Beispiel: SG Wattenscheid 09: Klaus Steilmann führte diesen Verein als Quasi Vorbild von Dietmar Hopp in die Bundesliga. Und jetzt gingen dort endgültig die Lichter aus und der Spielbetrieb im Männerbereich wurde eingestellt. Was dann überregionale Wellen geschlagen hat, nachdem man vorher Wattenscheid einfach vergessen hatte. Und diese Wellen waren nicht im "Mäzenklub endgültig pleite gegangen" Duktus... sondern im "Hier stirbt ein Stück Fußballtradition". Und all die Leute, die Hopp kritisieren, haben Wattenscheid dann ihr Beileid ausgesprochen...

Warum? Nun ja, finden wir es gemeinsam im Verlauf der nächsten Ewigkeit raus. In dem wir uns mehrere Beispiele von Traditionsvereinen genauer angucken.

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