Dienstag, 18. Juni 2019

Was die Frauen-WM uns nebenbei noch beweist,

ist ganz sachlich betrachtet... dass dieses System mit den besten Gruppen-Dritten im Achtelfinale einfach Scheiße ist. Und das ist die diplomatische Formulierung.

Eine Gruppenphase nimmt normalerweise ab dem 2. Spieltag fahrt auf, weil immer mindestens eine Mannschaft gewinnen muss und entsprechend das Spiel angeht. Und am 3. Spieltag gibt es dann regelmäßig alles oder nichts Spiele, in dem im Idealfall beide Mannschaften gewinnen wollen.

Also um ein Paradebeispiel zu nennen (und nicht nur um in Wunden zu pieksen, aber auch): Wenn ihr euch das Südkorea - Deutschland Spiel vom letzten Jahr anguckt... Wo es den Koreanern den Deutschen eben nicht gereicht hat das 0:0 zu verteidigen, sondern wo sie vollen Risiko gehen mussten und die Koreaner dann tatsächlich ein glückliches Tor erzielen. Und wie sich die Koreaner dann nach dem Abpfiff kurz freuen, weil sie denken, sie hätten das Achtelfinale erreicht, nur um kurze Zeit später auch zusammenzubrechen, weil es eben nicht gereicht hat. Genau das macht eine Weltmeisterschaft aus. Und auch eine EM... aber da haben wir es ja abgeschafft.

Jetzt, bei der Frauen-WM erkämpft sich China ein 0:0 mit 1 eigenen Torschüssen. Und kommt damit so gut wie sicher ins Viertelfinale. Also wird nach dem Spiel ausgiebig gefeiert.
Auch wenn der Kommentator das natürlich nicht durchrechnen kann. Da herrscht halt wirklich Gleichberechtigung, wir schicken auch zur Frauen-WM Kommentatoren, die sich nicht so wirklich mit Fußball beschäftigen.

Aber die Konstrukte, wie man mit 4 Punkten nicht in die K.O. Phase kommt, wenn nur die 2 schlechtesten Gruppendritten ausscheiden, sind eher theoretischer noch nicht mal theoretischer Natur. Denn es gibt bereits 2 Gruppen, in denen der Gruppendritte nur noch auf 3 Punkte kommen kann. Damit erreicht China mit einem erzielten Tor garantiert das Achtelfinale... Das kann doch nicht der Plan sein.

Noch absurder wurde es im Abendspiel. Also nicht nur, weil ein Elfmeter wiederholt werden musste, weil sich die Torhüterin 5 cm von der Linie entfernt hat. Die hat dafür Gelb gesehen... wenn diese Regel konsequent angewendet wird, endet demnächst jedes Elfmeterschießen in einem Spielabbruch. Gute Idee.
Aber 10 Nigerianerinnen hatten dann die schwierige Entscheidung zu treffen: Gehen wir aufs Unentschieden, oder verteidigen wir das 0:1? Und wenn man sich anguckt, wie langsam die bei Auswechslungen vom Platz gekrochen sind (hier hast du meine Kapitäninenbinde die ist wichtig), haben sie sich fürs Verteidigen des knappen Rückstandes entschieden. Und das ist ja auch vernünftig so. Denn solange Chile nicht 3:0 UND Kamerun gegen Neuseeland unentschieden spielen, reicht ihnen die knappe Niederlage um weiterzukommen. Bei einem 0:2 oder 0:3 wären diese Varianten praktisch unmöglich, so hat man zumindest eine Chance.

Nebenbei: Wenn der Frauenfußball wirklich so viel fairer und umgänglicher ist, wie alle immer gerne behaupten, hätte Wendie Renard nach dem ersten verschossenen Elfmeter mit Absicht daneben geschossen, weil es eigentlich albern war, dass sie nach ihrem Pfostenschuss wegen 5 Zentimeter nochmal antreten durfte. Aber sie bewies, wie auch die Norwegerinnern (Moneyquote aus dem Kicker-Ticker: "Schön ist es nicht, was Norwegen hier zeigt. Nach einem Eckstoß bleiben zwei Spielerinnen mit dem Ball an der Eckfahne stehen, nur um den nächsten Freistoß rauszuholen."), dass der Mythos vom schöneren und faireren Spiel nicht mehr ist als ein Mythos. Wenn es am Ende um die Wurst geht, werden die Frauen genau so Zeit schinden wie ihre männlichen Gegenparts. Und wenn man dann nicht mehr den längst möglichen Weg zur Auswechslung nehmen kann, dann muss man halt noch dringend seine Kapitänsbinde bei der Torhüterin abgeben. Den wird schon was einfallen. Denn taktisch haben die Frauen echt viel aufgeholt. 

Aber natürlich kann man 10 ausgepumpten Nigerianerinnen schlecht einen Vorwurf machen, dass sie gegen einen der Turnierfavoriten nach einem Platzverweis nicht in der Lage ist, den Gegner unter Druck zu setzen. Aber das man es noch nicht mal versuchen musste, liegt halt am System.

Und das ist ja nur die letzte Fortsetzung dieses Systems. Das Problem beginnt ja eigentlich viel früher. Das "Wir verteidigen nur und spielen rein destruktiv" wird schon an den ersten Spieltagen noch weiter gefördert. Denn ein 0:1 gegen einen "Großen" ist fast so viel Wert, wie ein Unentschieden. Solange man nicht hoch abgeschossen wird, liegt man voll im Soll. Die Argentinierinnen setzten das ja gerade (wie halt auch die Chinesinnen) in Perfektion um: Ein unansehnliches Unentschieden gegen Japan, eine knappe Niederlage gegen England... jetzt braucht man nur noch einen Sieg gegen den Turnierneuling aus Schottland mit einem Tor und ist garantiert im Achtelfinale. Hurra! Genau das brauchen wir doch.

Und das sind ja alles keine Neuigkeiten. Oder Erkenntnisse, die man beim Frauenfußball "gewinnt". Bereits bei der letzten EM hatten wir eine Portugiesische Mannschaft, die ohne einen einzigen Sieg die Vorrunde überstanden hat und hinterher Europameister wurde. Warum auch nicht. Eigentlich sollte es unmöglich sein ohne Sieg die Vorrunde zu überstehen. Natürlich geht es theoretisch, aber eben auch nur theoretisch. Die einzige Mannschaft, die es bei einer WM geschafft hat mit 3 Unentschieden weiterzukommen war 1998 Chile. Da muss schon alles andere perfekt laufen, damit das funktionieren kann. 2010 ist Neuseeland als einzige Mannschaft bei der WM ungeschlagen geblieben und trotzdem nach der Vorrunde ausgeschieden. Was einfach eine lustige Geschichte ist.
Im System mit 24 Mannschaften ist man da so gut wie sicher weiter. Was halt auch dazu führen wird, dass Mannschaften im 3. Gruppenspiel lieber weiter das Unentschieden verteidigen als auf Angriff zu gehen, wozu man früher im Endeffekt immer gezwungen war

Die Gruppenphasen so eines Turniers sind ja eh schon eine eher zähe Sache. Qualitativ Hochwertigen Fußball bekommt man da eher selten zu sehen. Und das "die Kleinen" erst Mal mauern und auf das Beste hoffen, kann ihnen ja keiner vorwerfen. Aber normalerweise kommt so eine Gruppenphase in Gang, wenn am 2. Spieltag die "Wir müssen gewinnen oder werden sehr wahrscheinlich Heim fahren" Dynamik einsetzt. Man siehe auch hier Toni Kroos Knaller aus der 95. Minute.

Die einzige Chance, was dagegen zu tun, ist ja... die Gruppenphase kollektiv mit Nicht-Beachtung abstrafen. So sehr, dass die Werbeanbieter merken, dass niemand ihre Anzeigen sieht und es die Refinanzierungsangebote erst ab dem Achtelfinale gibt. Vielleicht mache ich das ja nächstes Jahr zur EM... Mal schauen.

Wenn euch jedenfalls nächstes Jahr auffällt, dass die Gruppenphase bei der EM absolut grausam ist, dann erinnert euch daran, dass euch das hier bereits ein Jahr im voraus erzählt worden ist. Denn das Problem sind nicht die 22 Geschöpfe auf dem Platz, sondern das System dahinter, welches eine destruktive Spielweise fördert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen