Muss eigentlich mal gründlich analysiert werden. Aber es regen sich halt alle lieber über die Rote Karte von Dominik Kohr auf.
Auch wenn das ein heftiger Tritt war: Ich habe ja nichts als Respekt für Kohr. Der gehört vom Talentlevel eher in die dritte, als in die erste Liga. Aber er spielt sehr konstant in der Bundesliga. So konstant, dass er jetzt die meisten Platzverweise aller Zeiten gesammelt hat. Jens Nowotny, der kein brutaler, sondern nur ein langsamer Spieler war, ist diesen Titel endlich los.
Der Kohr Diskurs ist für mich sowieso faszinierend. Denn einerseits jammern alle immer über mangelnde Typen und prangern die fortschreitende Verweichlichung des Fußballs an. Früher hat man zurückgetreten, heute wird sich kaum noch gewehrt.
Und dann kommt ein Kohr um die Ecke und alle so "Naja, so richtig wehren man sich ja auch nicht." Man kann es den Fans einfach nicht recht machen.
Kohr ist ein Spieler, der in jedem Spiel alles reinwirft. Der weder sich noch den Gegner schont. Der deswegen auf 102 Verwarnungen kommt. Und ja, der kompensiert seine fußballerischen Defizite mit einer extremen Aggressivität. Aber sobald er diese auf ein normales oder gesundes Maß zurückschraubt, ist er arbeitslos.
Aber weil wir uns alle auf den Kohr stürzen, verpassen wir eine mindestens genauso wichtige Debatte: das nicht gegebene 2:1für die Hoffenheimer in der Nachspielzeit. Die Szene in der Sportschau beginnt bei 11:03. Das Tor fällt 10 Sekunden später. Sascha Stegemann zeigt sofort an: Handspiel. Das Handspiel wird dann auch aufgelöst. Der Täter war Robin Hranac. Hier ist das grundlegende Problem: in den 10 Sekunden, die die Sportschau zeigt, ist Hranac nicht mal im Bild. Das Handspiel passierte irgendwo im Mittelkreis bei der Balleroberung.
Wenn der VAR da eingreift, fragen hinter alle, ob der wirklich so weit zurückspulen sollte, oder ob er nicht nur Fehlentscheidungen, die direkt zur Torerzielung führen, überprüfen sollte.
Aber es gab noch nicht mal einen VAR Eingriff. Stegemann hat das Handspiel ja sofort erkannt. Er hat das Spiel trotzdem weiterlaufen lassen, obwohl er genau wusste, dass er einem möglichen Treffer die Anerkennung verweigern wird. Warum pfeift er dann nicht gleich
Die wahrscheinlichste Antwort: Stegemann war sich nicht ganz sicher, ob dieser Pfiff auch einer Überprüfung des VARs standhalten wird. Und es könnte ja was passieren, da kann man ja nicht einfach abpfeifen. Und wenn die Balleroberung tief in der gegnerischen Hälfte passiert und Coufall zufällig genau dort steht, wo er die Flanke schlagen kann, sehe ich das sogar ein... Aber wenn mindestens 12, eher 15 Sekunden, vergehen?
Vor allem: Wenn der Schiedsrichter gleich pfeift, wird irgendeine belanglose Szene im Mittelkreis abgepfiffen. Da regt sich dann niemand auf. Also außer die Spieler der betroffenen Mannschaft, die sich immer aufregen, wenn irgendwer was gegen sie pfeift. Selbst Dominik Kohr wollte ja über seinen Platzverweis diskutieren. Nur weil der Schiedsrichter anscheinend Angst davor hatte, gleich eine konsequente Entscheidung zu treffen, kommt es überhaupt zum Angriff der Hoffenheimer.
Da drängt sich mir wieder ein Gedanke auf, den ich jedes Mal habe, wenn es zu derartigen Szenen kommt: Wenn für die angreifende Mannschaft jegliches Handspiel, das über kurz oder lang zu einem Tor führt, strafbar ist, warum pfeift man dann nicht sofort ab, sobald der Ball an die Hand eines Angreifers springt. Aber selbst das trifft hier noch nicht mal zu, denn Hranac springt der Ball ja bei einer Verteidigungsaktion an den Arm.
Ich habe ja schon häufiger die These gelesen, dass die Schiedsrichter zaghafter entscheiden, weil sie ja am Ende nochmal mit dem VAR reden können, falls sie doch richtig lagen und der Elfmeter, den sie eigentlich geben wollten, doch berechtigt war. Ich hielt das für eine absurde These, da solche Entscheidungen ja in Sekunden getroffen werden müssen. Aber diese Szene von Stegemann lässt mich an dieser Haltung zweifeln.
Denn hier haben wir ein klare "Ich lasse das lieber erstmal weiterlaufen, anstatt gleich zu pfeifen" Szene. Und das ist richtig schlecht. Deswegen müsste man eigentlich viel mehr darüber reden.
Mich würde ja auch interessieren, wie die DFL das selbst sieht. Ob die jetzt Stegemann dafür loben, dass er das Spiel hat laufen lassen? Ich würde es ihnen zutrauen. Da entscheiden halt auch Leute, die selber nie Fußball gespielt haben. Oder bei denen es so lange her ist, dass sie vergessen, wie es ist. Aber eigentlich ist es essenziell, dass die Schiedsrichter auf dem Platz als an sich höchste Instanz schnelle und konsequente Entscheidungen treffen.
Wenn das jetzt Schule macht, sind wir nicht mehr weit davon entfernt, dass wir das Spiel einfach so lange laufen lassen, bis es eine Unterbrechung gibt und erst dann "zurückspulen und Entscheidungen treffen" Das war ja eine schöne Ballstafette vor dem Tor, aber eigentlich hätte es 90 Sekunden vorher Freistoß auf der anderen Seite geben müssen...
Nebenbei stellt sich mir auch die Frage: Hätte Stegemann auch das Handspiel gepfiffen, wenn der Angriff nur zu einem Eckball für Hoffenheim geführt hätte? Ist das Handspiel wirklich nur strafbar, wenn daraus ein Tor entsteht? Wäre das nicht eine total bescheuerte Regelauslegung?
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