Dienstag, 27. Juli 2021

Muss man Trainer zu ihrem Glück zwingen?

 Seit den letzten 3 Spielen der EM frage ich mich wirklich, ob wir nicht eine Regeländerung brauchen, um die Verlängerungen erträglicher zu machen. Und zwar nicht nur, um Spieler wie Jadon Sancho und Marcus Rashford zu schützen, sondern hauptsächlich um sicherzustellen, dass man sich diese Spiele überhaupt angucken kann.

Für ein bisschen Kontext: Die großen Turniere im Sommer sind ja DIE Werbeveranstaltungen für den Fußball. Und die gibt es für die Vereine quasi gratis. Natürlich ignorieren Hoeneß und Perez das gerne und glauben wirklich, dass sich die Vereine ihre herausragende Stellung ganz alleine erarbeitet haben. Aber deren Horizont reicht halt nicht mal bis zur eigenen U-Bahnhaltestelle, die eben doch mit Steuergeldern finanziert worden ist. Also um das nochmal zu wiederholen: Die Weltmeisterschaft im eigenen Land war nebenbei ein 3,7 Milliardenschweres Infrastrukturprogramm von dem die Vereine teilweise bis heute profitieren.

Vor allem kann man sich aber auch nur die aktuellen Zahlen angucken: 20 Millionen Menschen sahen das EM Finale, obwohl Jogi Löw sichergestellt hat, dass Deutschland da nicht mal mitspielt. Das entspricht einem Marktanteil von 64%. Dagegen kommt die Bundesliga am Samstag um 18:30 auf 4,7 Millionen Zuschauer. Dazu kommen 2,8 Millionen Sky-Abonenten. Selbst wenn alle Sky-Abonenten die Sportschau boykottieren, sind das immer noch lächerlich wenige Menschen, die da vor den Fernsehgeräten hängen. 

Die herausragende Stellung der Turniere im Sommer sorgen dafür, dass der Fußball in Europa quasi alles andere an den Rand drückt. Und eine EM ist die Gelegenheit um neue Fans zu generieren. Was nebenbei nach all den Skandalen und Skandälchen rund um Corona Löws komplettes Versagen noch verantwortungsloser macht. Also wenn jetzt in 4 oder 5 Jahren die Jugendspieler ausbleiben, könnte das durchaus mit der Vorstellung der letzten 2 Turniere zusammenhängen.

Und hier kommt der Bogen: Ich habe ja die letzten 3 Spiele mit 2 Freunden geguckt, die sich sonst überhaupt nicht für Fußball interessieren. Also genau die Zielgruppe, die durch begeisternde Vorstellungen zu Fans werden könnten. Und die sagten in der Verlängerung völlig zurecht: "Können die nicht mal Landschaftsbilder zeigen?"

Die allgemeine Reaktion war ein "Bis zur 90. Minute war es ja halbwegs spannend, aber die Verlängerungen hätten wir uns echt sparen können." Und da setzt halt wieder das bereits erörterte Problem ein, dass die Trainer viel zu spät und viel zu zaghaft wechseln. 

Nebenbei sollte man als Nächstes auch darüber nachdenken, ob man die zusätzlichen Wechsel nicht so schnell wie möglich wieder abschafft. Denn bei einer Verlängerung kann man mittlerweile 6 frische Leute bringen. Also jede Mannschaft. Das Problem, über das keiner redet: Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen wie Nils Petersen, brauchen Einwechselspieler immer ihre 3-4 Minuten um im Spiel anzukommen. Deswegen geht ja bei Freundschaftsspielen auch so oft ab der 60. Minute jeglicher Spielfluss verloren. Und genau das passierte jetzt auch immer wieder bei der EM, wenn praktisch eine zusätzliche 3. Mannschaft aufs Spielfeld kam.

Neben dem Fakt, dass müde Beine halt auch hauptsächlich im Rückwärtsgang auffallen und deswegen die angreifenden Mannschaften mehr Räume bekommen. Durch die 6 Wechselmöglichkeiten zerstört man den Spielfluss und stärkt die Defensivarbeit. Das passiert selbst dann, wenn man frische Angreifer bringt, die dann hauptsächlich wieder Druck auf den Spielaufbau ausüben und die Räume zustellen können.

Wie ändern wir das und machen die Verlängerungen erträglicher? Ganz einfach: Die letzte Möglichkeit für einen Trainer einen Wechsel vorzunehmen ist die 105. Minute. Also die letzte Pause der Verlängerung. In der letzten Pause muss ich dann als Trainer meinen Spielern in die Augen gucken und entscheiden, wer die nächsten 15 Minuten am ehesten durchsteht. Und dann bringe ich nochmal frische Impulse, gebe aber diesen Spielern auch genügend Gelegenheiten, um das Spiel auch zu beeinflussen. Als Ergebnis bekommen wir als Fans spannendere Spielverläufe.

Wo ich schon dabei bin, sollte auch in regulären Spielverläufen die letzte Wechselmöglichkeit auf die 80. Minute festgelegt werden. Also konkret auf die erste Unterbrechung nach der 80. Minute. Dadurch würde auch diese unsägliche Angewohnheit Einwechslungen als reines Zeitspiel zu benutzen, abgeschafft werden.

Denkt mal drüber nach: Fußball ist der einzige Sport auf der Welt, bei denen Trainer ihre wenigen Wechsel nutzen, um Zeitspiel zu betreiben, anstatt Einfluss auf das Spiel zu nehmen. Und das sind dann in jedem Spiel so 3-4 Minuten, die einfach mal sinnlos verschwinden. Die Wechsel werden nicht genutzt, um das Spiel zu verändern, sondern um den Spielfluss zu unterbrechen. Wir haben uns aber so sehr dran gewöhnt, dass wir uns einen anderen Fußball gar nicht mehr vorstellen können. Und das uns nicht mal auffällt wie unerträglich und asozial das eigentlich ist. Aber dann regen wir uns darüber auf, dass die Spieler ihre Behandlungsunterbrechungen in die Länge ziehen und bei einem eingerissenen Fingernagel das Ärzteteam aufs Feld kommen muss. Dass diese Kultur aber auch durchs Regelwerk etabliert wird und die Trainer es mit solchen Wechseln fördern, interessiert niemanden. Aber als Spieler wirst du halt auch durch so etwas zum Zeitspieler sozialisiert.

Aber Regeländerungen sind ja eh nicht so "unser Ding"... es ist schon faszinierend, wie asozial und unansehnlich Fußball genau genommen ist und wie wenig dagegen unternommen wird, weil man das Monopol des Marktführers bereits hat. Alle anderen Sportarten machen sich da wesentlich mehr Gedanken. Das ist aber auch ein Gedanke, der gerade im Rahmen der Olympiade etwas ausführlicher erörtert werden müsste... Na gut, bei nächster Gelegenheit.

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