Montag, 8. Juli 2024

Der Sport muss unpolitisch bleiben!

 Das geht ja gar nicht, wenn die sich irgendwie äußern. Oder es zu irgendwelchen politischen Statements kommt.

Ok... dann schaffen wir die Welt- und Europameisterschaften halt ab. Denn das sind immer automatisch politische Statements, weil die Sache so verdammt groß ist.

Wenn ich jetzt hier, und ich nutze ganz bewusst lieber den Konjunktiv, schreiben würde, wie froh ich bin, dass die Türkei mit ihren rechtsradikalen Grüßen endlich ausgeschieden sind. Allein schon, weil das die einzigen sind, die die Nationalhymnen der anderen Länder konsequent auspfeifen... dann wäre das auch schon wieder eine politische Botschaft. Weil die Menschen im Stadion halt auch ein Stück weit das gesamte Land repräsentieren und drücken wir es mal diplomatisch aus... da haben die Türken keinen sympathischen Eindruck hinterlassen.

Gleichzeitig ist es auch ein politisches Statement, wenn eine Nationalmannschaft, die von der AfD verachtet werden muss, das gesamte Land emotional eint. Auch wenn das ganz ohne spezifische Ansagen und Regenbogenfahnen passiert ist. Denn der Fakt, dass der DFB die Integration endlich als wichtige Aufgabe betrachtet und die Nationalmannschaft damit ein realistisches und buntes Abbild unserer Gesellschaft ist, ist auch per se schon politisch.

Oder wenn Toni Kroos dann bei (natürlich) Lanz und Precht Aussagen raushaut, für die er aus dem Kontext gezogen doch wieder Respekt von Rechts bekommt: Denn die reden sich ja seit Jahren ein, dass die deutschen Städte viel unsicherer geworden sind... wegen die Ausländer. Das sagt Kroos natürlich nicht. Aber es kann so ausgelegt werden, dass er das gemeint haben könnte.

Dass ein Kroos, der Deutschland vor ziemlich genau 10 Jahren verlassen hat, gar nicht abschätzen kann, ob die Straßen in Berlin sicherer sind als nach seinem letzten Besuch, ist dabei völlig egal. Gerade das letzte Beispiel finde ich extrem faszinierend. Denn es entlarvt in diesem Fall die Rechten, dass sie gar kein Problem mit politischen Statements haben. Sie haben nur mit Statements Probleme, die ihrem recht kleinen Weltbild widersprechen. Sobald man sich das irgendwie so hindrehen kann, dass man das für sich beansprucht, sagt keiner mehr, dass sich der Kroos auf den Fußball konzentrieren sollte, anstatt über Dinge zu labern, von denen er keine Ahnung hat. Und wenn Kroos irgendwas zum Thema "Gleichberechtigung" und "Auch unsere Frauennationalmannschaft sollte ordentliche Prämien bekommen" gesagt hätte, wäre das genau die Reaktion, die er hervorgerufen hätte. Obwohl er formell gesehen genau dasselbe gemacht hätte: Sich zu einem Thema geäußert, von dem er wenig Ahnung hat.

Nebenbei... hat Kroos dieses Interview vor dem Viertelfinale gegeben. Eigentlich hätte der Aufschrei der Rechten da genauso groß sein müssen, wie bei der "20 % hätten gerne eine deutschere Nationalmannschaft" Doku vor der EM. Und Kroos hat gegen Spanien ja nicht so wirklich überragend gespielt...

Wenn ein Jude Bellingham sich an die eigenen Kronjuwelen fasst, macht er das in dem Moment auch im Namen der englischen Krone... was, wenn man bedenkt, wie die sich Jahrhunderte lang aufgeführt haben und wie wenig Schuldbewusstsein dort vorherrscht und was in England sonst so zur Schau gestellt wird, ein wunderbares Statement ist. 

Wenn Kylian Mbappé eine Marine Le Pen ans Bein pisst und damit eventuell Einfluss auf die Wahl nimmt... ist das auch ganz offensichtlich politisch. Aber er kann das in der Form und mit der Auswirkung am Ende auch nur machen, weil er gerade diese extreme Reichweite und Position in der französischen Gesellschaft hat, die er auf dem Platz präsentiert. Nebenbei hat der sich den EM Titel jetzt wirklich verdient. Nicht auf dem Platz, aber mit seinen Aussagen daneben.

Aber eine EM ist halt so verdammt groß, dass alles, was in diesem Rahmen passiert, am Ende politisch ist. Dass so viele Deutsche öffentlich zeigen, dass sie ihre Daten gerne hergeben, um in einem hässlichen Trikot für irgendeine Firma Werbung zu machen, ist ein bedenkliches Thema. Und da kamen die Kinder in China ja kaum mit dem Nähen hinterher, so erfolgreich lief das. Da wird man aber garantiert irgendwo den Haken gesetzt haben, dass die Daten jetzt verwendet werden dürfen.

Was einem wirklich Sorgen macht, wenn man als Nächstes bedenkt, dass Alipay Hauptsponsor der EM ist... Denn bei Check24 könnten die Daten zumindest in Deutschland weiterverwertet werden. Jetzt treffen aber die Deutschen mit ihrem offensichtlich entspannten Umgang mit ihren persönlichen Daten auf eine Krake aus einem autoritären System.

Überhaupt kamen ja 7 der 12 Großsponsoren aus autoritär geführten Ländern... Dass uns diese EM von Visit Qatar präsentiert wurde, obwohl wir doch genau dies das letzte Mal boykottieren wollten, beweist doch nur, wie gut dieses ominöse "Sportswashing" am Ende funktioniert. Genauso wie das kleine Mädchen im neusten Cristiano Ronaldo T-Shirt, welches mir letztens über den Weg gelaufen ist. Ich dachte da nur: Die dürfte dieses Trikot in Saudi-Arabien nie tragen, macht hier aber indirekt Werbung dafür. Und fühlt sich verdammt groß dabei.

Nebenbei hat das Heute Journal während der EM Übertragung einen durchaus kritischen Beitrag zu den Großsponsoren gebracht. Sollten die nicht eigentlich darüber berichten, wie die Deutsche Mannschaft unfallfrei in ein Flugzeug steigt? 

Da kommen auch die 7 von 12 her. China stellt 5 Hauptsponsoren. Qatar 2... Dazu kommt dann Coca-Cola als auch nur bedingt humanitäres Unternehmen... Wenn jetzt noch Nestlé einsteigt, würden die Cthulhu beschwören. Der dann aber zum Glück mit der Deutschen Bahn anreisen müsste und irgendwo in Brandenburg versacken würde.

Events von dieser Größe und emotionalen Reichweite sind einfach immer politisch. Um das zu verhindern, müsste man sie abschaffen. Was schon wieder in sich ein politisches Statement wäre. Kein Sinnvolles, weil ich ja nach wie vor die Europameisterschaft als nicht zu unterschätzenden Kriegsersatz sehe. 

Dass das ganze definitiv auch eine politische Veranstaltung ist, sollte man immer im Hinterkopf haben. Da sollte man vorher auch so ein paar Erwartungen haben, die man hinterher abgleichen kann.
Deutschland hat sich bisher während des Turniers als Land präsentiert, in dem man gerne zu Gast ist, was so kurz nach den letzten Wahlergebnissen nicht unbedingt zu erwarten war. Das sagen zumindest die Rumänier... Die Schotten haben sich als Menschen präsentiert, die man gerne zu Besuch hat. Die Türken haben dagegen nachgewiesen, dass sie derzeit eher in eine unangenehme Richtung unterwegs sind.

Auf den Fanmeilen wart die Stimmung ja so gut und optimistisch, dass die rechten Trolle sich buchstäblich Fake News ausdenken mussten, weil sie mit diesem ganzen Fahnengeschwenke irgendwie nichts anfangen konnten. Das zeigt nebenbei, dass die hier auch schon angesprochene Doku von Phillip Awounou im Schlusswort durchaus richtig lag: Die Ränder werden immer lauter, das bedeutet aber nicht, dass sie die Mehrheit darstellen. 

Jetzt müssen wir als der aufgeschlossene Teil der Gesellschaft nur aufpassen, dass wir nicht nur während der EM lauter sind als die rechten Trolle, sondern dass wir auch danach noch nachweisen, dass die Mehrheit in diesem Land eigentlich Bock auf eine bunte Nation hat.

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