Montag, 3. Juni 2024

Das war ja eine riesige Überraschung

 Also nicht, dass Real Madrid das Ding humorlos mit 2:0 gewinnt. Das war irgendwie abzusehen. Natürlich war Dortmund 60 Minuten lang die bessere Mannschaft... aber so spielt Real halt. Und das nicht erst seit gestern.

Aber die eigentliche Überraschung ist ja, dass in einem Land, in dem zu Gigi d'Agostino rassistische Parolen gesungen werden, 21 % der Menschen eine "arischere Nationalmannschaft" sehen wollen. 

Was nebenbei auch bezeichnend für die Diskussionskultur in diesem Land ist: Das Lied steigt auf Platz 1 in den Charts ein, worüber sich in sozialen Netzwerken unter anderem die AfD freut, während die Doku niemand sieht. Aber trotzdem äußert sich jeder zu dieser einen Statistik. Dabei sollte jeder, der sich dazu jetzt irgendwie äußert, erstmal die Doku sehen.

Nebenbei ist das ja auch nur ein Teil der Vorberichtserstattung zur EM im eigenen Land. Also es ist nicht nur so, dass die beim WDR diese eine Doku zum Thema Rassismus gemacht haben, sondern dass sie gerade dabei sind, die Nationalmannschaft, ihre Rolle und die hoffentlich großartige Heim-EM aus mehreren Perspektiven zu beleuchten.

Und Phillip Awounou hat sich halt mit der integrativen Kraft beschäftigt. Die Doku beginnt deswegen mit der Berufung von Gerald Asamoah und dessen ersten Tor. Und wie der als erster in Afrika geborene deutsche Nationalspieler auch ein Türöffner für eine buntere Generation war. Das, was in Frankreich, England oder den Niederlanden seit Jahrzehnten völlig normal war, kam tatsächlich auch in Deutschland an. Und es wird die wunderschöne Geschichte erzählt, was für Auswirkungen diese Nominierung für Menschen mit Migrationshintergrund hat. Und dann wird erzählt, wie sich diese Geschichte mit Nicole Anyomi bei der EM 2022 wiederholt wurde. Nur dieses Mal halt für junge Mädchen mit Migrationshintergrund. Das ist diese integrative Kraft des Fußballs, von der immer alle schwärmen. Einer der Schlüsselsätze ist "Da sieht man mal, wie wichtig Repräsentation ist."

Die Generation danach hatte einen wesentlich stärkeren Migrationshintergrund, wurde aber trotzdem oder gerade deswegen Weltmeister. Und sie stand damals auch für ein "neues Deutschland". Weil die Integrationsbemühungen, die laut Doku erst in den 90ern ernsthaft angegangen wurden, Früchte trug. Und jetzt haben wir eine Nationalmannschaft, der man das nicht unbedingt ansieht, weil es halt noch ungewohnt ist, die aber komplett aus Deutschland kommt. Die wurden allesamt in Deutschland geboren.

Die 2014er und die jetzige Generation bildet die aktuelle deutsche Gesellschaft wesentlich besser ab, als die 2006er-Generation. Auch wenn gerade die 2014er-Generation um Mesut Özil nachweist, dass Integration auch keine lineare Entwicklung ist. Und ja, es wird in der Doku auch über Özil geredet. Und darüber, dass İlkay Gündoğan auch auf dem ominösen Foto drauf war, damit aber einfach wesentlich besser umgegangen ist.

Nebenbei muss an der Stelle noch ein wichtiger Einschub dazukommen: 2006 wurden 9 der 13 Tore von Spielern erzielt, die nicht in Deutschland geboren wurden: Miroslav Klose, Lukas Podolski und Olivier Neuville. Nur sind das eben Menschen, bei denen man es am Namen raushört und nicht am Gesicht erkennt, dass die nicht in diesem Land geboren worden sind. Da kann man das wesentlich leichter ignorieren. Aber es gibt nach wie vor die Legende, dass Klose und Podolski auf dem Platz auf Polnisch kommuniziert haben. Trotzdem gilt das für einige als die letzte richtige Nationalmannschaft.

Und damit sind wir dann bei der ominösen Umfrage, auf die diese Doku jetzt reduziert wird. Da wurden halt in Thüringen, wo die Deutsche Mannschaft ihr Trainingslager bezieht, Menschen interviewt. Und dabei kamen dann auch die "Du bist ja kein richtiger Deutscher, dazu gehört eine helle Haut" Aussage. Und die "mehr weiße Spieler" Aussage. Wobei hier auch wichtig ist, dass dies nicht die einzige Aussage der Thüringer ist, es gibt auch viele positive Stimmen in der Doku. Der WDR wollte dann halt wissen, ob das ein verwirrter Einzeltäter war, oder ob diese Meinung weiter verbreitet ist, als wir uns eingestehen wollen. Deswegen mussten sie die Umfrage in Auftrag geben. Jetzt kann halt keiner mehr behaupten, dass das ein dummer Ossi war... Ist unangenehm, ist aber auch wichtig.

Nebenbei wird am Ende festgestellt, dass die Gesellschaft viel liberaler geworden ist, aber dass die Ränder dieser Gesellschaft auch dank des Megaphons namens Internet viel lauter geworden ist. Die entlassen uns also mit einem "Es hat sich einiges getan und auch verbessert" Gefühl.

Was ich jetzt ja faszinierend finde: Dass sich Joshua Kimmich und Julian Nagelsmann zur Doku äußern, obwohl sie die offensichtlich nicht gesehen haben. Denn dann hätten sie ja ein kompletteres Bild zur Doku zeichnen können. Das ist vor allem faszinierend, weil sie da einen echten Experten zur Hand hätten. Jemanden, der die Doku nicht nur gesehen hat, sondern der selber für die Doku interviewt worden ist. Denn Jonathan Tah spielt eine nicht ganz unwichtige Rolle. Der hätte also das komplette Bild besser nachzeichnen können. Und anstatt irgendwas von "Spaltung vor der EM" zu labern, hätte er erklären können, wie wichtig die Doku ist, aber dass sie auch eindeutige Fortschritte darstellt. Und spätestens am 2. Tag hätte man ja ahnen können, dass da nochmal nachgehakt wird.

Dabei ist das Kimmich Statement an vielen Stellen sogar gut. Aber gerade das "Wenn man überlegt, dass wir kurz vor einer Heim-EM stehen, dann finde ich es absurd, überhaupt so eine Frage zu stellen." muss man halt sehr kritisch sehen. Und Nagelsmann stößt ja ins selbe Horn. Als Reporter kannst du die rassistischen Aussagen halt nicht aus deiner Doku streichen, auch wenn das für alle bequemer wäre. Und natürlich sind 21 % schockierend viele. Aber diese Zahl verdeutlicht auch nur, wie wichtig es ist, dass wir darüber diskutieren. Sich da jetzt wegducken und das Problem ignorieren, ist keine Option. Und auch wenn sich in diesem Land einiges getan hat, verdeutlicht die Doku, dass es auch noch einiges zu tun gibt.

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