Jetzt, wo der Spaß endlich vorbei ist, ohne dass jemand das Spielfeld zu einem echten Schlachtfeld umgebaut hat... kann man das ja mal sagen.
Man kommt ja in diesen Tagen nicht darum herum sich Gedanken über Europa zu machen. Den Briten sei Dank muss man sich dabei auch gleich um die EU kümmern...
Und bei der Gelegenheit... kann man die Integrative Kraft des Fußballs ja auch mal anders ausleben.
Wisst ihr, was ich den Brexit Gegnern am aller ehesten Vorwerfe: Dass sie es nicht geschafft haben, die EU als Friedensnobelpreis in den Vordergrund zu stellen. Und ja, ich weiß, die verkaufen eigentlich zu viele Waffen... aber sie haben sich das Ding trotzdem verdient.
Nehmt einfach mal die 7 Gründerstaaten der EWG. Und rechnet, weil es da dann lustiger wird, nochmal England mit drauf, auch wenn die erst 1973 offiziell mit eingetreten sind. Und jetzt sucht mal in der Geschichte 30 Jahre, in denen sich Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Italien und England nicht aufs Maul gegeben haben... oder deren Vorgängerinstitutionen... und ja, da kann man entspannt bis zum römischen Reich zurückverfolgen... man wird kaum 30 Jahre finden.
Durchschnittlich haben sich unsere Vorfahren 2 Mal pro Lebensspanne gegenseitig bekämpft. Krass oder? Wir Europäer brauchen das anscheinend. Das wir uns ein Mal alle 30 Jahre prügeln, liegt in unserer DNA...
Mein Mitbewohner studiert ja Geschichte und von dem kommt der Satz, dass die Nationalmannschaftsspiele unsere Version des Krieges sind. Und der konnte mir ohne nachzuschlagen zu jeder Ansetzung der EM mindestens einen Krieg aufzählen...
Und ich so: Erzähl doch nicht, England gegen die Schweiz... die letzteren waren doch immer neutral... Und tatsächlich findet man die Guglerkriege... Und ja, wenn ich euch die Liste an Schlachten, die selbst das kleine und angeblich immer neutrale Schweiz geführt hat, wird euch schlecht...
England hat dagegen... gegen 22 Nationen auf der Welt keinen Krieg geführt. Und das auch nur, weil wir Andorra und Monaco als Nationen zählen...
Um mal 2 Beispiele zu nennen, wie absurd wir das mit dem Kriegstreiben übertrieben haben... In den Genfer Konventionen wurde irgendwann extra festgeschrieben, was man auf europäischen Boden alles im Krieg nicht machen darf... Und jetzt kommt der lustige Teil: Als sich alle schon einig waren, dass diese Regeln eingeführt werden müssen, wurden sie trotzdem noch ein paar Jahre aufgeschoben... weil man vorher nochmal ordentlich und gewissenlos Krieg führen wollte...
Das 2. genau so absurde Beispiel ist das Ende des ersten Weltkrieges. Danach waren sich eigentlich alle einig, dass man ein derart industrialisiertes Morden nie wieder erleben will. Und dann dauerte es unfassbare 21 Jahre bis ein noch viel schlimmerer Krieg angefangen wurde...
Man muss sich echt mal bewusst werden, wie Blutdürstig wir vor der Gründung der EWG waren. Und da muss auch kein europäischer Staat mit dem Finger auf andere zeigen, die nehmen sich da alle nicht viel. Ich selber bin 85er Jahrgang. Ich kenne also zumindest die letzten Auswirkungen des Kalten Krieges als letzter Konflikt im Herzen Europas. Wenn auch hauptsächlich aus Geschichten, aber diese haben bei mir wenigstens einen Realen Bezugspunkt. Ich kenne halt noch Menschen, die an der Deutsch-Deutschen Grenze ihren Militärdienst abgedient haben. Da kriegt das gute alte "Alle Soldaten wollen nach Haus" eine ganz neuen Bezug... Oder Menschen, die eine absurd lange Stasi-Akte haben. Oder Menschen, die sich vor der Wende Richtung Westdeutschland abgesetzt haben...
Die Generation die jetzt 16 ist, wird die erste europäische sein, die keinen Krieg im eigenen Land kennt. Und keine geschlossenen Grenzen. Also aufs Herz Europas bezogen, dass das ganze in Jugoslawien und der Ukraine anders aussieht, ist mir bewusst. Aber das ist eine riesige Leistung der EU... Man sollte auch niemals vergessen, wo wir als Europäer herkommen.
Aber, und da kommt jetzt endlich der Bogen: Auch des Fußballs. Denn 3 Jahre, nach dem allen bewusst wurde, das untereinander jetzt Krieg führen verdammt kompliziert wird... gab es das erste Kontinentale Kräftemessen in unserem allseits geliebten Volkssport. Natürlich war das nicht der ursprüngliche Plan... aber wir hatten damit wieder einen König von Europa. Und dieser Titel, auch wenn er gerade fest in der Hand der iberischen Halbinsel ist, wird seit dem munter herumgereicht.
Und ja, wir nehmen den Fußball viel zu wichtig. Man muss sich nur mal anschauen, welchen Einfluss das "Wunder von Bern" auf das Deutsche Selbstbewusstsein hatte... als "Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland". Ja, wir übertreiben es da sehr gerne.
Und ja, bei so einem großen Turnier geht es auch immer darum, etwas fürs Nationale Bewusstsein zu machen.
Wenn ihr jetzt behauptet: Der übertreibt doch vollkommen... darum geht es doch gar nicht... wir haben doch die Jubelarien der Isländer und Waliser viel zu sehr genossen, als dass du uns da jetzt einen Vorwurf machen kannst... Dann haben halt die dieses Mal mehr für ihr Selbstbewusstsein getan als wir. Man kann ja nicht jedes Mal selber dran sein, manchmal muss man halt zugucken, wie andere ihren Moment haben...
Geht aber mal ehrlich in euch: Wie oft ist um den 9.7. in eurem Umfeld das Wort "Diese Drecksfranzosen" gefallen? Vielleicht auch in abgeschwächter vorm... aber auf jeden Fall mit dem "WIR müssen DIE unbedingt schlagen"... oder dem "Es ist unfassbar, dass WIR gegen DIE verloren haben"... Und ja, Frankreich war die eine Nation, die wir seit 1939 immer erst Mal platt gemacht haben, wenn es denn los ging... Wie konnte uns DAS denn jetzt passieren?
Und ja, das ist auch alles ziemlich Harmlos. Ich will euch gar kein schlechtes Gewissen einreden. Früher hatte ich ja gerade mit dem während der Turniere aufkommenden "Party-Patriotismus" echte Probleme. Mittlerweile habe ich erkannt, dass es uns gut tut diese Ventil zu haben, in dem man das alles noch mal rauslassen kann...
Denn wenn man da nicht mal den Druck runter lässt, staut sich der in 30 Jahren ganz gewaltig auf...
Eine Europameisterschaft ist für mich ein riesiges Volksfest. In dem aber auch ganz deutlich die Unterschiede gefeiert werden.
Zum Glück haben wir nach den ersten furchtbaren Tagen mit Reichsflaggen und Straßenschlachten auch noch die Kurve bekommen und das ganze friedlich und harmonisch gestaltet. Und ja, da gab es mehr als genug großartige Videos.
Trotzdem... wird niemand auf die Idee kommen zu sagen "Das waren europäische Fans." Sondern es werden immer die Iren bleiben, die am großartigsten sind... Die sich gleichzeitig schon von den Nordiren abheben.
Denn so sehr ich die Idee eines friedlichen und einheitlichen Europas schätze (die ja nicht nur wegen des Brexits auf der Kippe stehen könnte... es brennt an ganz vielen Stellen, guckt euch einfach nur die Wahlergebnisse der AfD an...). Es wird für mich die ein kulturell einheitliches Europa geben. Weil das bedeuten würde, dass wir alle unsere kulturellen Eigenheiten aufgegeben hätten...
Um diesen Beitrag mit ganz viel Pathos zu beenden: Der Fußball hat das geschafft, woran die religiöse Grundordnung des Katholizismus, die befreienden Gedanken der Aufklärung und das industrialisierte Morden des 1. Weltkrieges gescheitert sind: Dass wir endlich einen ordentlichen und angemessenen Rahmen haben, in dem wir uns alle 4 Jahre aufs Maul geben können...
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