Thomas Tuchel ist nicht Jupp Heynckes. Wer hätte das gedacht, dabei ist der doch immer so sympathisch und gelassen auf den Pressekonferenzen...
Falls ihr jetzt verwirrt seid: Jupp Heynckes war der letzte Trainer, der eine titellose Saison beim FC Bayern überstand und danach weitermachen durfte. Also in Heynckes erster Amtszeit. Wir reden von der Saison 1987/88.
Seit dem wurde jeder Trainer, der keinen Titel holte, konsequent ersetzt. Inklusive Heynckes, der die Saison 1990/91 nicht überstand.
EDIT: Jupp Heynckes hat natürlich auch die 2012er-Saison "titellos" überstanden. Mein Fehler. Aber der trinkt a) Rotwein und hat b) das Elfmeterschießen in der Champions League erreicht.
Dass Tuchel zum Saisonende gehen muss, ist also keine Überraschung, sondern nur eine logische Konsequenz aus dem "Mia san Mia". Viel spannender ist ja das, was die Bayern mit dieser Nachricht nicht sagen. Ich werfe da mal ein paar dreiste Thesen in den Raum:
1. Die Bayern gehen davon aus, dass 10 Punkte Vorsprung reichen.
Also 10 Punkte Vorsprung auf RB Leipzig und Platz 5. Sobald es auch nur die leisesten Zweifel gibt, dass die Champions League Qualifikation in Gefahr geraten könnte, ist Tuchel sofort weg. Selbst wenn der Geist von Franz Beckenbauer beschworen werden muss, weil es sonst keiner übernehmen will. Das ist auch komplett vernünftig so, eine Saison ohne die Millionen aus der Champions League wäre zu dramatisch.
2. Die Bayern haben eine Vision für den Sommer.
Und
diese Vision ist jetzt nicht verfügbar. Sie heißt also nicht José
Mourinho oder Jogi Löw. Schade eigentlich, beide könnten faszinierende Wracks erschaffen. Anscheinend haben die Bayern auch keinen Bock auf den nächsten
Hansi Flick. Also dass ein erfolgreicher "Dead Coach Bounce"
dazu führt, dass man die Interimslösung im Sommer behalten muss und der
eigentliche Plan deswegen abgesagt werden muss. Franz Beckenbauer ist
halt verstorben und Jupp Heynckes hat anscheinend kein Interesse daran,
die Mannschaft ohne realistische Chance auf einen Titel für ein halbes
Jahr zu übernehmen. Zsolt Löw ist wahrscheinlich schon zu lange mit
Tuchel unterwegs und würde wahrscheinlich auch keinen Bock auf eine
offensichtlich zeitlich befristete Aufgabe haben. Hermann Gerland durfte
noch nie die Profis übernehmen, sondern immer nur den Co geben. Wobei
Beckenbauer/Gerland als Doppelspitze ein absurder Ausweg wäre. Oh und
Gerland wurde zum DFB vergrault.
Das heißt nebenbei nicht, dass man schon mit Xabi Alonso verhandelt hat, sondern nur, dass man von Xabi Alonso träumt.
3. Die Bayern glauben nicht, dass dieser Kader die Champions League holen könnten.
Wenn es aus deren Perspektive auch nur eine 5-prozentige Chance geben würde, dass man mit einem anderen Trainer das Finale in Wembley erreichen könnte, würde man einen anderen Trainer finden, auch wenn man den Dead Coach Bounce Kandidaten dann weiter verpflichten muss. Was insofern spannend ist, als das ja doch die Ambition dieses Vereins ist. Das führt zu einem wirklich spannenden 4. Punkt:
4. Die Bayern haben Bock auf einen absurden Charaktertest.
Die spannende Frage ist ja: Was passiert, wenn die Stars jetzt der "Lame Duck" die Gefolgschaft verweigern. Und meine dreiste These dazu ist: Solange sie nicht Jamal Musiala heißen, sind sie im Sommer dann weg. Aber gerade die Erkenntnis von Punkt 3 ist dabei extrem interessant. Denn die Bayern-Bosse werden genau jetzt damit anfangen, den nächsten Kader für den nächsten Angriff auf den Henkelpott zu planen. Und wenn dann im Charakterbogen "sucht nach Ausreden und kommt mit persönlichen Widrigkeiten nicht zurecht" steht, dürfte man verdammt schnell aussortiert werden.
Gerade wenn man bedenkt, dass die Bayern ja nach 10 extrem erfolgreichen Jahren auch die Führungsspieler neu aufstellen müssen. Da muss sich ein Joshua Kimmich auf einmal doch am Riemen reißen, damit man ihm im Sommer noch diese Aufgabe zutraut. Es ist plötzlich durchaus möglich, dass man Kimmich abgibt, um Platz für eine neue Hierarchie zu schaffen und dann im Sommer bewusst Leute holt, die diese Rolle ausfüllen können. Es sei denn, er präsentiert sich den Rest der Saison als vorbildlicher Führungsspieler, der in extrem schwierigen Momenten vorausgeht und die Mannschaft mitreißt.
Vielleicht ist das sogar der Moment, in dem die Bayern erkennen, dass ein Thomas Müller den nächsten Angriff auf den Henkelpott nicht mehr mitgestalten wird. Das ist natürlich absurd, weil sich die Bayern an der Stelle doch von den Emotionen leiten lassen werden. Was bei einem derart verdienten Spieler auch verständlich ist.
Tuchel ist nicht der erste Trainer, der abgesägt wird, nachdem Müller nicht mehr die Rolle spielen durfte, die er erwartet hat. Wenn Müller jetzt aber die nächste Palastrevolte anzettelt und Platz 4 deswegen in Gefahr gerät, könnten die Bayern erkennen, dass der bei der anstehenden Neuausrichtung nur Probleme macht. Und er wäre nicht die erste Bayern-Legende, die ihren Vorruhestand im Exil verbringen muss.
Und dass Müller in der Champions League nicht mehr den Unterschied ausmachen kann, sollte ein anerkannter Fakt sein. Eine der ersten Amtshandlungen von Tuchel war schließlich Müller mit der Ansage, dass dies kein Spiel für ihn sei, auf die Bank zu setzen. Und die Bayern müssen, so unmöglich das erscheint, einen Kader zusammenstellen, der sich mit genau diesem Manchester City messen kann. Mittlerweile reicht es aber nicht mal für United...
Leroy Sané, um noch einen dritten Namen zu nennen, wird jetzt endlich mal beweisen müssen, dass er sich in genau solchen Momenten durchbeißen kann und nicht immer dann abtaucht, wenn es schwieriger wird. Die Hinrunde, als alles noch nach Plan lief, war großartig, in der Rückrunde ging er wieder auf Tauchstation.
Ich bin wirklich gespannt, wie groß der nötige Umbruch im Sommer ausfallen wird. Und wie bewusst sich die Bayern-Stars sind, dass es in den nächsten Monaten ausschließlich um ihre eigene Zukunft in dem Verein gehen wird.
Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass 2011/2012 die letzte titellose Saison der Bayern war, nach der nicht der Trainer gewechselt wurde. Lustigerweise war es auch Heynckes.
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