Ernsthaft, am Ende werde ich Facebook nicht wegen Querdenkern und Neonazis abschaffen, sondern wegen den 11 Freunden.
An der Stelle muss direkt erstmal ein ganz dicker Disclaimer rein: Ich habe nicht das Probeabo abgeschlossen, welches die mir verkaufen wollen. Ich weiß also nicht, ob die 11 Freunde das reißerisch zusammengeschnitten haben, oder ob der Sportforscher Simon Chadwick das wirklich so gesagt hat... Und ich weiß auch nicht, ob die 11 Freunde Redaktion ihn danach darauf hingewiesen hat, was für ein Blödsinn das ist. Aber hier kommt das, was vor der Paywall erreichbar ist. (Und ja, Link geht zu Facebook, aber ich zitiere das auch hier, ihr könnt mir also ruhig glauben.):
"Schalke ist als traditioneller Arbeiterklub emblematisch. Es war eine strategische Verführung, dass Gazprom dazugehörte. Das war ein trojanisches Pferd. Warum sollte man Gazprom auch in Frage stellen: Das sind doch die Sponsoren der Champions League."
Also nehmen wir das mal in der Reihenfolge auseinander, in der es da steht:
1.) Schalke war 2008 ein ziemlich heruntergewirtschaftetes Millionenunternehmen. Es wurde von einem Clemens Tönnies geführt, der von einer Arbeiterbewegung ungefähr so weit entfernt ist, wie Putin von einem lupenreinen Demokraten. Man leistete sich Spieler wie Kevin Kuranyi, der mit 6,9 Millionen Ablöse mehr Geld in einem Sommer bewegt hat, als ein gemeiner Arbeiter in seinem Leben sehen wird. Oh und Mike Büskens musste für 4 Spiele als Trainer übernehmen. Also sowohl 2007/08, als auch das Jahr darauf. Manche Dinge ändern sich nie. Oh und man spielte in einem wunderschönen, zur WM neu errichteten Stadion, welches das Wachstum extrem beschleunigte. Dieses Stadion hieß überraschender Weise nie "Arbeiterkampfbahn"...
Aber mit Arbeitern hatte dieser Verein allgemein nichts zu tun. Also außer vielleicht die paar Fans, die sich das Ticket gerade so noch leisten konnten.
Aber dann... wurde man ja verführt. Die wollten ja gar nicht. Und die konnten ja gar nichts dafür. Schalke ist das Opfer hier. Wisst ihr, was das wirklich schlimme an dieser Aussage ist: Es ist genau die Ausrede, die unsere Großeltern auch genutzt haben. Also falls eure Großeltern auch alt genug waren, um Nazideutschland live miterlebt zu haben.
Da hieß es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges plötzlich: Der Hitler war das alles alleine. Der hat uns verführt. Wir waren gar keine Nazis! Wir waren dagegen! Innerlich! Wir waren alle Sophie Scholl!!!Wir hätten nie die 3000 Reichsmark genommen, und uns an dem System bereichert!
Ganz ehrlich: Gebt Schalke nicht die Möglichkeit, jetzt in die Opferrolle zu fliehen. Weist sie darauf hin, dass Gazprom schon 2008 ein eher dubioser Sponsor war. Und dass man spätestens 2021 dies nicht mehr ignorieren konnte. Schalke hat es aber trotzdem ignoriert und der Vertrag einfach mal langfristig verlängert. Diesen Vorwurf müssen sie sich gefallen lassen. Da können sie sich nicht einfach herausreden. Und wenn sie dies versuchen, dann harkt nach.
Dann kommen wir zu dem einzigen richtigen Teil: Die Gazprom Sponsorenverträge waren ein trojanisches Pferd. Stimmt vollkommen. Aber hier ist das entscheidende: Schalke waren die Vollpfosten von der Stadtmauer, die dieses vergiftete Geschenk gesehen haben und sich dann dachten: Boah, glitzert voll geil, das holen wir erstmal rein... und was das dann erstmal ist, gucken wir später. Beziehungsweise wir gucken gar nicht nach und tun einfach konsequent weiter, als ob das schön glitzert, auch wenn um uns herum schon alles brennt. Schalke hat Gazprom die Tore nach Europa geöffnet. Das muss man bei jeder Debatte über diese Situation immer wieder festhalten.
Vor allem, weil der angeblich so gute Arbeiterklub richtig beschissen geführt worden ist. Man war trotz der regelmäßig reinkommenden Champions League Millionen und den Umsatzsteigerungen durch die neue Arena so pleite, dass man jedes Geld unabhängig von moralischen Bedenken annehmen musste. Und es gab damals mehr als genug moralische Bedenken. Alle anderen Champions League Teilnehmer sagten zu Gazprom ab. Nur mit Schalke konnte man verhandeln.
Das bringt mich ja zu dem größten Aussetzer vom Chadwick. Also ich habe mal nen Kalender aufgeschlagen. Wofür hat man sonst so ein Handy? Und in diesem Kalender kriegt man etwas absurd revolutionäres raus: 2008 war vor 2012! Ja, wirklich. Hat mir die CIA geschrieben, und die finden alles raus. Zu behaupten, dass Schalke den Sponsorenvertrag mit Gazprom nicht hinterfragen konnte, weil das ja auch der Großsponsor der Champions League war, ist einfach... also... selbst Querdenker sind nicht so doof, dass sie behaupten, 2012 wäre vor 2008.
Abgesehen davon sind doch UEFA und Fifa seit Jahren, drücken wir es diplomatisch aus, nicht unbedingt als Institutionen höchster moralischer Integrität bekannt. Wenn jemand Sponsorenverträge mit diesen Verbänden abschließen, sollte das doch sofort ein riesiges, nicht zu übersehendes Warnschild sein. Wenn man wirklich den Anspruch eines Arbeiterklubs hätte, sollte man sich doch so weit wie möglich von allem, was irgendwie bei der Fifa oder UEFA mit drin hängt, distanzieren. Also schonmal vorsorglich. Nur wenn man selber einen ähnlichen moralischen Anspruch hat, denkt man sich, dass das doch alles integre Verhandlungspartner sind.
Nebenbei gibt es etwas, was bei dieser Debatte vollkommen untergeht. Wisst ihr, wer in diesen Gazprom Deals immer tief mit drinsteckte? Peter Peters. Also der war offiziell seit 1993 Geschäftsführer. Er war von 1994 bis 2020 für die Finanzen verantwortlich. Er hat also erst dabei geholfen, dass Schalke in die Position gewirtschaftet wurde, dass sie das dreckige Geld brauchten... und dann hat er geholfen, die Verträge mit Gazprom einzutüten. Aber man ist ja nur getäuscht worden, da kann man ja nichts dafür. Und was soll Peters als erste richtig große Sportpointe des Jahres jetzt laut den DFL-Vereinen werden?
DFB-Präsident! Lasst es mich mal so fragen: Was ist gerade das wichtigste, was ein neuer DFB-Präsident braucht, um wenigstens das Image dieses Verbandes ein wenig zu retten? Vom "Aufräumen" wollen wir mal gar nicht träumen, solange Dr. Rainer Koch da noch im Topf rumrührt. Also auf meiner Liste wären "Seriöses, langfristiges Wirtschaften" und "Eine möglichst große Distanz zu Despoten und moralisch fragwürdigen Geldgebern" ziemlich weit oben auf der Liste. Und "Wir wurden getäuscht" und "das konnten wir ja nicht wissen" ziemlich weit unten. Aber ja, das wird jetzt der Mann, der beim DFB alles besser macht.
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