Also der Kicker gönnte sich ja als Nachfolgeartikel zu den Jugendsünden diesen Montag einen Beitrag, in dem man anhand eines Einzelbeispieles Namens Kai Havertz feststellt, dass doch nicht alles verkehrt läuft... oder dass Havertz so überragend ist, dass er trotz bescheidenem System und bescheidenem Trainer nicht aufzuhalten ist. Vielleicht ist das der Wahre Grund ihn mit Michael Ballack zu vergleichen.
Faszinierend finde ich aber eigentlich den "Es fließt nicht mehr, es tröpfelt" Artikel als Anhang. Wo erklärt wird, das damals, 2009, viel mehr Talente sehr schnell den Durchbruch in der A-Elf schafften. Was ohne Kontext sogar stimmt.
Aber die erste Ebene Kontext ist halt, dass mit eben Havertz, Julian Brandt, und Timo Werner 3 Spieler der U21 bereits entwachsen sind, die dort Leistungsträger wären. Bei denen vergisst man es ja gerne, dass die eigentlich noch für die "Nachwuchsabteilung" spiel berechtigt sind. Anders ausgedrückt: dass 3 Talente bereits fest als Kaderspieler eingeplant warne, konnte die 2009er U21 Version nicht von sich behaupten. Deswegen waren ja, man kann sich kaum noch daran erinnern, die Erwartungen im Sommer 2017 so groß. Deswegen war Jogi Löws Leistung so episch und einmalig: Selbst die U21 B-Elf, deren einige Leistungsträger wegen des Confed Cups fehlten, war unschlagbar. Und die B-Elf beim Confed-Cup ebenfalls. Also eigentlich müsste auch Niklas Süle, Leroy Sané und Leon Goretzka zu der 2017er Europameister Generation zählen und auch die sind mittlerweile fest für die A-Mannschaft eingeplant.
Zu behaupten, dass es keine Durchlässigkeit mehr gibt, ist also schlicht falsch, denn 6 Spieler, aus der letzten U21 Generation, sind bereits feste Größen in der A-Elf. Nur die besonderen Umstände des Sommers 2017 mit 2 Turnieren und der geplanten Sommerpause für die verdienten Nationalspieler sorgte dafür, dass sich von den U21 Europameistern kaum jemand bei der A-Elf durchsetzen konnte. Weil die Besten daran eben nicht teilnehmen konnten, wollten oder durften. Und nur diese "Besten" setzen sich dann traditionell in der A-Elf durch.
Ein weiteres Problem kehrt der Kicker dann auch noch unter den Teppich: Die Nationalmannschaft im Jahr 2018 ist halt wesentlich weiter als die von 2010. Damals kam man als Überraschungseuropameister. Aber die Mannschaft war weit weg von designierter Weltklasse. Am deutlichsten wird dies in der Position des Torwartes: Ein Jens Lehmann ging damals als Platzhirsch in den Ruhestand. Und sein designierter Nachfolger war "nur" Rene Adler und hatte regelmäßig mit Verletzungsproblemen zu tun. Dementsprechend "leicht" musste es einen Manuel Neuer fallen sich den Stammplatz im Tor zu ergattern, den er seit dem nicht mehr hergibt. Aber selbst hier bleibt festzuhalten: Ohne das Verletzungspech von Adler wäre Neuer nur als Nummer 2 zur WM gefahren und hätte seinen Durchbruch erst später erlebt.
Wenn wir jetzt ein überragendes Talent im Tor haben sollten... muss der erst an Neuer und dann an Marc Andre ter Stegen vorbei um eine Chance zu bekommen. Man muss halt wesentlich bessere Spieler verdrängen.
Und das kann man auf die ganze Mannschaft übertragen: Hinten rechts spielte immer noch ein Arne Friedrich... seinerseits solider Bundesligaspieler, aber eben nicht mehr. In der Innenverteidigung spielte, wenn er denn fit war, was eine Seltenheit darstellte, Christoph Metzelder. Thorsten Frings und Thomas Hitzlesperger waren auch nicht wirklich für die ganz großen Aufgaben berufen. Deswegen spielten sie ja in Bremen und Stuttgart... Linksaußen stürmte ein gewisser Lukas Podolski, an dem man eigentlich leicht vorbei kommen sollte, wenn es nach Leistung gehen würde. Bastian Schweinsteiger war damals genau genommen schon zu langsam um auf den Flügel zu spielen, eingesetzt wurde er dort trotzdem. Und Miroslav Klose ist menschlich überragend, aber er war fußballerisch immer limitiert.
Wenn man sich das reine fußballerische Potenzial dieser Mannschaft anguckt, waren nur Philipp Lahm und Michael Ballack über jeden Zweifel erhaben. Lustiger Weise bootete Löw ausgerechnet einen von denen aus. Und bei Per Mertesacker und Schweini war zumindest zu erkennen, dass aus denen mal Leistungsträger auf Champions League Niveau werden könnten. Der Rest des Kaders war eher Durchschnitt.
Wenn man das jetzt mit den Möglichkeiten von 2018 vergleicht. Allein schon, dass man da halt amtierende Weltmeister verdrängen musste um eine Chance zu bekommen. Und ja, jede Nation hat die Angewohnheit zu lange an ihren Weltmeistern festzuhalten. Die emotionale Bindung zu solchen Persönlichkeiten ist halt eine andere. Was auch verständlich ist. Man muss halt mittlerweile einen Thomas Müller verdrängen, weil alle auf Grund seiner Verdienste ignorieren, dass der seit Jahren bei den Turnieren einen größeren "Mist" gespielt hat als Mesut Özil. An dem auch kein Vorbeikommen war. Oder an einem Toni Kroos, der als einer der Vergleichsparameter für einen aktuellen Zentralen Mittelfeldspieler gilt. Oder einem Sami Khedira, dessen Titelsammlung erstaunlich lang ist, gerade wenn man bedenkt, dass er nie für den FC Bayern gespielt hat. Oder, oder, oder.
Anders ausgedrückt: Die Talente von damals hätten heute auch größere Probleme sich in der A-Mannschaft durchzusetzen und die Talente von heute wären damals genau so schnell Stammspieler geworden. Und das ist keine Frage von "Durchlässigkeit" oder dem aktuellen Niveau der U21 (welches man im Endeffekt eh erst in 5 Jahren beurteilen kann), sondern eine Frage des gestiegenen Anspruchs an die Nationalspieler.
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