Die angeblich am besten funktionierende Beruhigungspillen für alle anderen Nationen und die gemeinen Deutschen, die in diesem Sommer keinen Titel für die Nationalmannschaft sehen wollen, ist ja folgender Myhos:
Julian Nagelsmann ist ein Vereinstrainer. Der braucht einen speziell zusammengestellten Kader und verdammt viel Zeit, um seine komplexen Ideen einzustudieren. Da wird ein Flug in die USA und ein kurzes Trainingslager nicht reichen. We are doooooooooomed!
Das ist aber das faszinierende an Fußballfans und Experten: Die haben halt ein verdammt schlechtes Langzeitgedächtnis. Kaum noch jemand erinnert sich daran, wie Nagelsmann Trainerkarriere begann. Das ist aber auch schon verdammt lang her. 8 Jahre!
Für diejenigen, die es vergessen haben: Nagelsmann übernahm als 28-jähriger die TSG Hoffenheim. Die waren damals richtig am Arsch. Also nach einer Niederlage gegen Darmstadt hatten sie nach 20 Spieltagen 7 Punkte Rückstand auf das sicher rettende Ufer. Man war auf Augenhöhe mit den von Martin Kind in den sicheren Abstieg geführten Hannoveranern.
Nagelsmann holte souveräne 2,0 Punkte im Schnitt. Er führte seine Mannschaft zwischenzeitlich auf Platz 13 und sicherte den Klassenerhalt am 33. Spieltag. Ganz souverän mit einer Niederlage beim abgeschlagenen Tabellenletzten.
Und ja, am Ende lag man nur ein Punkt vor dem Relegationsrang, da Bremen und Frankfurt aber gegeneinander spielten, konnte einem am letzten Spieltag schon nichts mehr passieren. Die späteren Absteiger aus Stuttgart und der Relegationsteilnehmer aus Frankfurt lagen nach 20 Spieltagen 10 und 7 Punkte vor den Hoffenheimern.
Wie Nagelsmann damals eine überforderte und verunsicherte Mannschaft aufbaute, war einfach beeindruckend. Also ja, Nagelsmann kann einen komplexen Spielstil entwickeln, er kann sich aber auch einfach einen vorhandenen Kader angucken und dann das Optimum aus diesem Kader rausholen. Ermin Bicakcic, als jemand, der damals dabei war, traut ihm auch deswegen den Job zu. Der Spiegel packt seinen Kommentar dazu leider hinter eine Paywall, könnte es aber auch ansprechen. Und Nagelsmann selber hat es auch auf seiner ersten Pressekonferenz angesprochen.
Die Hoffnung, dass Nagelsmann seine Mannschaft mit zu komplexen Ideen überfordern wird, ist also absolut naiv. Der Mann hat bereits nachgewiesen, dass er mit einem wesentlich schlechteren Kader, auf den er wesentlich weniger Einfluss nehmen konnte, in kürzester Zeit eine funktionierende Mannschaft basteln kann. Er wird das auch bei der EM hinbekommen. Und dass er trotzdem mit konkreter Vorstellung, wie man Angreifen und Verteidigen soll, kommt, macht es nur noch gefährlicher. Was mich als Nächstes zu dem Paul Breitner Interview bringt...
Das mache ich dann morgen.
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