Und ich lese zu viele Kicker-Leserbriefe. Denn es ist natürlich genau das passiert, was passieren musste, als der Kicker anfing die Torquote von Lewandowski mit der von Gerd Müller aus der Saison 1971/72. Natürlich gibt es da nur 2 Meinungen: "Lewandowksi hätte damals 60 Tore geschossen" und "Müller musste gegen Vorstopper und Liberos antreten, das war viel schwerer."
Beide Argumente sind genau genommen albern. Zu glauben, dass "Tore schießen" damals gegen einfacher strukturierte Defensiven leichter war, ist extrem naiv. Also klar, Lewandowski wird nicht mehr stumpf in Manndeckung genommen... dafür stehen bei ihm teilweise 8 Gegner in Strafraumnähe und machen die Räume eng.
Genauso unsinnig ist es sich zu fragen, wie viele Tore ein Lewandowksi mit moderner Trainingswissenschaft in den 70ern geschossen hätte. Klar, allein schon seine physische Überlegenheit würde ihn zahllose Treffer bescheren. Aber wie viele Tore würde Gerd Müller machen, wenn man ihn genau so hochzüchten würde, wie es heute bei Profisportlern der Fall ist? Wenn er schon mit 16 Nahrungsergänzungsmittel anstatt Bier bekommt? Genau solche Fragen machen Vergleiche über Generationen hinweg sinnlos.
Was allerdings spannend wäre, ist: den Fokus etwas weiterzustellen. Aber das wird der Kicker nicht machen, denn, Spoiler, dann wird ihm die Sinnlosigkeit seines eigenen Tuns bewusst. Und das man in furchtbar langweiligen Zeiten Storys generieren muss.
Gucken wir uns erstmal die Torquote an. Also Lewandowski hat, Stand Jetzt, 31 von 71 Bayern Tore erzielt. Das ist eine Quote von 43 %. Bei Gerd Müller waren es 40 von 101, was eine Quote von 39 % sind. Das sieht direkt erstmal gut aus für den Polen. Und eine deutliche Steigerung gegenüber den 31 % aus der Vorsaison. Wenn die Bayern ihre Spiele weiterhin so knapp und spannend gestalten, könnte er sogar eine bessere Quote als Müller erreichen. Das wäre wirklich beeindruckend: Trotz des überragenden Offensivpotenzials der Bayern an der Hälfte aller Tore direkt beteiligt zu sein (er kommt ja auch auf 8 Assists) ist schon etwas Besonderes. Ober er dieses Tempo allerdings beibehält...
Wirklich spannend ist aber eine historische Einordnung der 40 Tore Saison. Denn sie kam halt zu Zeiten, in denen die Bundesliga relativ gesehen besser war. Das zeigt sich einerseits daran, dass der Uefa Cup, in dem sich deutsche Mannschaften mittlerweile ja regelmäßig blamieren, als "deutscher Wettbewerb" bezeichnet wurde. Steht zumindest so im Kicker. Und vor allem war die Meisterschaft damals...
Also vor der 40 Tore Saison wurden die Bayern nur 1932 und 1969 Deutscher Meister. Rekordmeister war damals noch der 1.FC Nürnberg. Rekord-Bundesligameister war Borussia Mönchengladbach, die es als erste Mannschaft der Bundesligageschichte geschafft haben diesen Titel zu verteidigen.
Das ist etwas elementar wichtiges, was man bei diesem Vergleich immer bedenken muss: Die selbsternannte 2. Macht im Land, Borussia Dortmund, hat seit ihrem letzten Sieg in der Allianz Arena 2014 im Schnitt 4,7 Tore kassiert. IM SCHNITT! Selbst der größte Herausforderer macht sich ständig in die Hose, wenn er in München antreten muss. Die einzige Mannschaft, die die Bayern wirklich vor Probleme stellen kann, ist RB Leipzig.
Vor 7 Jahren verglich Sebastian Prödl die Duelle mit den Bayern mit einem Zahnarztbesuch: Muss man 2-mal im Jahr durch und ist oftmals schmerzhaft. Seit dieser erschreckend ehrlichen Aussage wurden die Bayern ununterbrochen Deutscher Meister. Meistens mit fast unzähligen Punkten Vorsprung. Spannend war es nur ein einziges Mal. Das ist das Umfeld, in dem Lewandowski den Torrekord jagt: Die Gegner erstarren vor Ehrfurcht. Kaum jemand traut sich wirklich zu wehren.
In den 70ern wird das definitiv anders ausgesehen haben. Und es war das Zeitalter vor VAR und 100 Kameras im Stadion. Die Verteidiger damals dürften mit allen legalen und illegalen Mitteln versucht haben Gerd Müller zu stoppen.
Und klar, die Bayern begannen mit dieser 40 Tore Saison ihre erste richtig dominante Phase. Müller profitierte auch von einer absoluten Ausnahmemannschaft. Aber die 40 Tore waren nicht das Ergebnis einer jahrelangen Dominanz auf nationaler und internationaler Ebene, sondern der Ausgangspunkt dieses legendären Laufs.
Wo wir schon dabei sind: Das waren auch noch die Zeiten, in denen die Bayern wirklich auf hausgemachte Talente setzen musste. Die Startelf am letzten Spieltag bestand aus 10 Deutschen und einem Dänen... Nur Rainer Zobel, Franz Krauthausen und Johnny Hansen spielten vor ihrem Durchbruch bei den Bayern für andere Bundesligisten. Wie viele Tore ein Müller also erzielen würde, wenn er als Speerspitze einer quasi Allstar Mannschaft die Vorlagen von Günther Netzer verwertet... Damals konnten sich die Bayern halt nicht einfach alle Stars zusammenkaufen, sondern sie legten das Fundament dafür, dass dies heute selbstverständlich ist.
Der Fußball hat sich halt drastisch verändert. Was halt dazu führt, dass ein Lewandowksi in den 70er Jahren nie zu den Bayern gewechselt wäre, sondern irgendwo in Polen seine Torrekorde aufgestellt hätte. Das ist aber nur ein weiterer Grund unterschiedliche Generationen nicht zu vergleichen.
Das soll Lewandowskis Leistung nicht schmälern. Es soll nur verdeutlichen, dass er nicht die Bedeutung eines Gerd Müllers erreichen wird. Er hat auch gar keine Chance sie zu erreichen, weil Lewandowksi halt nur an den Balkonverzierungen des 31. Stocks arbeitet, während Müller und Co. damals das Fundament angerührt haben.
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