Auch wenn das am Ende dazu führt, dass ich meine Meinung revidieren muss.
Also für Kontext: Ich war ja jahrelang der Meinung, dass "wir" "unseren Spitzentalenten" die U21 Turniere ersparen sollten. Wer in der Bundesliga schon Stammspieler ist, dem sollte man eher eine Pause gönnen. Das ist ein Standpunkt, den ich unter anderem 2015 recht deutlich vertreten habe. Lustigerweise dachte ich damals noch, dass aus Max Meyer ein Stammspieler in der deutschen Nationalmannschaft wird.
Etwas Entscheidendes habe ich aber damals nicht bedacht. Dies wird mir genau jetzt bewusst, wo es fehlt: Nationalmannschafts-Turniere sind etwas Einzigartiges im Fußball.
Also alle 2 Jahre kommen da 22 "wildfremde" Menschen zusammen und müssen innerhalb von 6 Wochen zu einem Team mit einer gemeinsamen Taktik werden. Diese kann sich gravierend von dem unterscheiden, was man aus dem Verein kennt. Es sei denn, man spielt schon bei den Bayern und ist nicht erst auf dem Weg dahin oder von dort schon weg...
Dazu kommt der Fakt, dass niemand weiß, wann der Spaß endet. Ab dem 3. Gruppenspieltag (wie Jogi Löw ja eindrucksvoll nachgewiesen hat, trifft das sogar für Deutschland zu) kann plötzlich alles vorbei sein. Oder halt erst 19 Tage später. Eine "Sieg oder Sommerpause" Drucksituation kann halt im Verein niemand inszenieren, weil halt nach dem Ausscheiden in der Champions League 3 Tage später das nächste Bundesligaspiel ansteht.
Diese Konstellation ist nicht nur etwas extrem Außergewöhnliches, sondern auch wirklich rar. Denn die meisten Spieler sammeln ihre ersten Turniererfahrungen im Herrenbereich nicht vor ihrem 23. Geburtstag... Und die wenigsten halten wirklich bis 34 Jahre durch, sondern müssen ihre Nationalmannschaftskarriere frühzeitig beenden.
Also selbst eine absolute Ausnahmeerscheinung wie Philipp Lahm kommt in seiner Karriere auf 6 Turniere. Wenn er gewollt hätte, wären es 7 geworden. Mehr ist aber auf keinen Fall drin. Die meisten Fußballer sind schon zufrieden, wenn sie 3 Turniere spielen dürfen.
Nehmen wir da mal, weil es so naheliegend ist, Amin Younes als Beispiel. Ja, der hat den Confed Cup
gespielt, aber das als großes Turnier zu bezeichnen, ist doch
übertrieben. Und jetzt ist er mit 27 Jahren plötzlich ein Kandidat für
die Europameisterschaft. Da ist es bestimmt hilfreich, dass er 2015
schonmal an der U 21 EM in Tschechien teilgenommen und deswegen eine grobe Vorstellung hat, wie so ein Turnier abläuft. Das dürfte ihm in diesem Sommer helfen.
Was man sich da ganz schlecht leisten kann, sind Turniere als "Lehrzeit" zu verbuchen. Also vielleicht für deinen 20. Feldspieler, aber alle anderen müssen während des Turniers funktionieren. Und da hilft es dann wahrscheinlich, wenn man diese Situation schon aus den U-Turnieren kennt.
Aber genau das fällt halt auch gerade weg. Die U21 EM ist praktisch eher eine normale Länderspielpause mit etwas hochwertigeren Testspielen und einem etwas höherem Einsatz. Aber das Stefan Kuntz jetzt wirklich zielgerichtet fürs Turnier etwas einstudiert, ist praktisch ausgeschlossen. Aber genau diese Erfahrung wird der derzeitigen Generation dann fehlen, wenn sie 2024 das Zepter übernehmen soll. Dafür kann sie wenig, aber es wird interessant werden, wie sich diese fehlende Erfahrung auf die nächsten Turniere auswirkt. Und vielleicht überschätze ich das ja auch.
Bleibt aber die Frage: Warum muss ein Turnier, dass das, wofür es eigentlich geschaffen worden ist, nicht liefern kann, wirklich stattfinden?
Das ist ja eine Frage, die sich in Zeiten wie diesen immer stellt. Während in der Politik gerade wieder über härtere Maßnahmen geredet wird, fliegt der DFB weiter munter seine Jugendmannschaft durch die Welt. Sind die TV-Verträge an der Stelle wirklich sooo wichtig, dass man das trotzdem durchprügeln muss? Und ja, ich sag seit einem Jahr, dass man alles nicht essenziell wichtige dringend absagen sollte. Also dass eine WM-Qualifikation für die Herren organisiert werden muss, ist ja noch nachvollziehbar, aber die U-Turniere sind doch nicht wirklich systemrelevant...
Immerhin wurde die U-19 Turniere abgesagt. Das ist ja wenigstens etwas. Richtig frustrierend wird es halt, wenn man sich den Kicker-Beitrag über die Kinder und Jugendliche und deren Sportmöglichkeiten in der Pandemie anguckt. Da ruht der Ball seit mindestens November. Aber für die jungen Männer, die es am wenigsten nötig haben, weil sie ja alle über die Profi-Sonderregelung fallen, veranstalten wir ein Turnier. Anstatt dass der DFB mal als gemeinnützig treibende Kraft auftritt, dass die weniger privilegierten Kinder zumindest wieder trainieren dürfen. Aber der DFB ist wie gerade immer mit internen Streitigkeiten und Kompetenzgerangel beschäftigt, da interessieren diese Kinder einfach nicht.
Um diesen Beitrag mit etwas erheiternden zu beenden: Florian Krüger wurde für die U21 EM nominiert. Damit hat Erzgebirge Aue mehr deutsche U-Nationalspieler als... Werder Bremen. Sportdirektor Clemens Fritz schiebt das auf die Regularien, an die man sich halten musste... Das ist einfacher als sich einzugestehen, dass Spieler wie Johannes Eggestein unter Florian Kohfeldt nicht so entwickelt haben, dass sie zum Stamm der U21 gehören müssten. Wenn man dann noch bedenkt, dass Bremen zuletzt 2016 mit Serge Gnabry einen A-Nationalspieler abstellen durfte, versteht man auf einmal, was in Bremen derzeit alles falsch läuft.
Denn Werder Bremen lebte ja regelrecht davon A-Nationalspieler aus- oder weiterzubilden. Mittlerweile wird dieser Job aber in Freiburg oder Hoffenheim gemacht. Selbst ein Chaosverein wie Hertha hat da aktuell mit Niklas Stark eine bessere Bilanz. Aber in Bremen sind sie nach wie vor davon überzeugt, dass Kohfeldt ein richtig guter Übungsleiter ist... Wenn sie Glück haben, glaubt Gladbach ihnen das und bezahlt eine Ablöse für ihn...
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