Donnerstag, 30. Januar 2020

Jürgen Klinsmann - Genie oder Schaumschläger?

Jürgen Klinsmann dürfte eine der faszinierendsten Persönlichkeiten im deutschen Fußball sein. Und er ist jemand, der die Lager spaltet.

Die einen sehen in ihm einen Visionär, der seiner Zeit voraus ist, die anderen wollen Leuten solchen Visionen lieber zum Arzt schicken.

Was auf jeden Fall nicht in Frage gestellt werden kann: Der Mann setzt Dinge in Bewegung. Ob die Richtung jetzt die Richtige ist, kann man halt schwer abschätzen. Aber allein schon was sich bei der Hertha tut, seit dem dort Trainer ist, ist genau genommen Wahnsinn.

Also wenn man sich mal damit auseinander setzt, wer im Winter alles zur Hertha kommen sollte... da vielen auf ein Mal Namen wie Granit Xhaka oder Dani Olmo. Wenn jemand im Juni gesagt hätte, dass Hertha um solche Spieler mitbietet...
Und klar, bekommen hat man sie nicht, aber allein schon, dass man sich mit solchen Spielern beschäftigt, beweist doch ein neues Selbstvertrauen und eine andere Wahrnehmung. Dazu wurde für Krzysztof Piatek und Lucas Tousart 2 neue Transferrekorde aufgestellt. Da tut sich definitiv was in Berlin.

Auch die Selbstverständlichkeit mit der Klinsmann vom Internationalen Geschäft redet, ist faszinierend. Der will in 2 Jahren mit der Hertha in die Champions League. Das ist mal ambitioniert. Und natürlich liegt das alles nicht nur an Klinsmann, sondern auch am Investor Lars Windhorst. Aber Klinsmann füllt die Absichten vom Investor mit Leben.

Die Kritiker kommen natürlich mit einem "Das kann doch alles gar nicht funktionieren!" um die Ecke. Und einem "Der Klinsmann war doch schon immer ein Spinner und hat nie was geleistet.

Nun ja. Also es stimmt schon. "Zuerst haben alle gedacht dieser Klinsmann spinnt, gesagt hat wir wollen das Turnier gewinnen." Aber am Ende war man nur einen simplen Pirlo Pass von einem erneuten Elfmeterschießen, welches man als Deutschland eh immer gewinnt, vom Finaleinzug entfernt.

Klinsmann, dass kann niemand leugnen, hat den Deutschen Fußball aus seiner finstersten Epoche geführt. Er hat die Nation schneller als erwartet wach geküßt. Denn 2006 hatte man noch nicht all die überragend Talente zur Verfügung, die einen wirklich brillanten Trainer brauchen, damit verhindert werden kann, dass man mehrere Titel holt.

Und natürlich hat die Deutsche Mannschaft damals ziemlich grausamen Fußball gespielt. Aber die wären halt für Klinsmann auch durchs Fegefeuer gegangen. Und sie sind weit über ihr eigentliches Leistungsvermögen gegangen.
Klinsmann lebte genau diese Überzeugung vor, aus der dann eine Euphoriewelle wurde. Das Charisma dafür hat er auf jeden Fall.

Dazu kommt halt, dass einige Dinge, die Klinsmann damals eingeführt hat, mittlerweile Standard sind. Also Athletiktrainer. Oder der Fakt, dass der Torwarttrainer nicht gleichzeitig in einem Verein angestellt sein sollte. Klinsi wurde für die Trainingsmethoden seiner Athletik-Experten zunächst ausgelacht, heute machen das alle so. Ganz so wahnsinnig sind die Visionen alle gar nicht.

Wenn man dann noch seine Arbeit als amerikanischer Nationaltrainer hinzuzieht. Und ja, Klinsi setzte den Auftakt in die WM Qualifikation 2017 in den Sand. Aber dass sich die Amis nicht für das Turnier qualifiziert haben, lag nur sehr bedingt an ihm. Denn am Ende fehlte gegen Trinidad und Tobago definitiv die nötige Überzeugung

Vor allem leitete er davor eine recht erfolgreiche Phase der US Soccer Boys. Er führte die Mannschaft 2 Mal in die K.O. Phase der WM, was halt auch keine Selbstverständlichkeit ist. Dazu kommt eine Halbfinal-Teilnahme als Gast bei der Copa Libertadores  gewann er den Gold Cup. Natürlich war 2017 ein deutlicher Abwärtstrend zu erkennen, aber seine Amtszeit war halt schon grundlegend erfolgreich.

Das ganz große Aber ist dann natürlich die Vereinsarbeit: Seine eine Station als Bundesliga-Trainer beim FC Bayern endete enttäuschend. Und sehr, sehr schnell. Am besten lässt sich das Chaos Klinsi bei den Bayern nicht mit den legendären Buddah Statuen erklären, sondern mit der Personalie Landon Donovan. Der hatte bei den Bayern nichts verloren, Klinsi wollte ihn aber trotzdem unbedingt haben.

Aber hier ist das ganz große Problem: Wir haben nur die Amtszeit bei den Bayern um seine Arbeit zu bewerten. Und nur weil man dort nicht funktioniert hat, muss man nicht zwingend ein schlechter Trainer sein. Carlo Ancelotti und Niko Kovac sind zum Beispiel bestimmt auch keine schlechten Trainer, obwohl auch sie bei den Bayern letztendlich gescheitert sind. Nur weil man nicht gut genug für die Bayern ist, muss man nicht grundlegend schlecht sein. Ein Kovac ist immer noch einer der interessantesten jungen Trainer im Geschäft.

Da ist natürlich auch Klinsmann selber Schuld dran, denn ihn reizen halt nur gewisse, ausgewählte Projekte. Sein Ansprüche um sich überhaupt mit Anfragen zu beschäftigen sind verdammt hoch. Und seine Forderungen an die Vereine sind dann auch beachtlich. Da steht er sich auch ein Stück weit selbst im Weg.

Aber wenn man jetzt die neuen Möglichkeiten der Hertha unter Windhorts sieht, könnte Klinsmann genau der Mann sein, den die Hertha jetzt braucht. Als Emotionaler Entwicklungshelfer. Als Gesicht des neuen Aufbruchs. Und mit genügend Fachkompetenz im Trainerteam um seine taktischen Schwächen zu kaschieren. Denn die sind definitiv vorhanden.

Um mal einen ganz krassen Vergleich zu bringen: Vielleicht ist Klinsmann einfach die emotionale Version von Lucien Favre: Also ein Trainer, der deinen Verein aufs nächste Level hebt und zu einer Spitzenmannschaft formen kann, der aber als Trainer echter Spitzenmannschaften an seine Grenzen stößt.

Genau das macht die Konstellation in Berlin ja so spannend: Wenn Klinsmann hier genau so euphorisierend wirkt, wie damals im Sommer 2006, werden die extrem hohen Ziele vielleicht verfehlt werden, aber es wird eine deutliche Entwicklung wahrnehmbar sein. Dass man weg von dem "Graue Maus mit gelegentlichem Abstiegsängsten" Status kommt. Dass man wirklich mit einer gewissen Regelmäßigkeit ins Internationale Geschäft einzieht.

Oder aber Klinsmann ist wirklich nur wie eine Harte Droge, die am besten für kurze Rauschtrips und Festivals geeignet ist, aber bei ständiger Nutzung zu völlig abgewrackten Opfern führt.
Aber genau genommen sind das die einzigen beiden Varianten, dazwischen gibt es wenig Spielraum. Und es ist praktisch unmöglich vorherzusagen, wie die Entwicklung ausgehen wird.

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