Und jetzt sogar meine Lieblings-Zeitung Socrates auf diesen Zug aufspringt. (Was nebenbei nicht bedeuten soll, dass man die sich nicht trotzdem zulegen kann... die sind schon gut und geben sich meistens echt viel Mühe...)
Aber dieses "Es gibt keine Typen mehr" stimmt so einfach nicht.
Also in der Socrates geht es um Günther Netzer, der ja damals ach so toll und ach so individuell war. Und der heute als Profi nicht mehr überleben könnte. Weil... nun ja, warum eigentlich?
Das erste, was da bei Netzer natürlich immer angesprochen wird, ist das rebellische Äußere. Wo ich mir denke: Das würde heutzutage halt einfach nicht mehr auffallen. Heute kann sich doch jeder die Namen seiner 25 Töchter, die man mit 26 Frauen gezeugt hat, auf die Brust tätowieren lassen, ohne dass jemand was sagt. Die äußerlichen Ausdrucksformen waren nie individueller und freier. Jeder kann machen, worauf er Bock hat, ohne dass es große Reaktionen gibt. Und Fußballer machen das auch. Wenn sich dann jemand den Starfriseur ins WM Quatier ein fliegen lässt, wird kurz die Nase gerümpft, aber sobald derjenige dann das entscheidende Tor schießt, darf er den Treffer auch seinem Friseur widmen. Oder Jesus. Oder beiden...
Das zweite ist dann: Günther Netzer hat eine Diskothek betrieben. Wo ich mich halt auch Frage: Was ist daran jetzt so besonders? Also klar, es geht ums Nachtleben... aber Netzer wird ja nicht selber bis morgens um 6 hinterm Zapfhahn gestanden haben. Er hat in die Diskothek investiert. Also so wie Lukas Podolski in seinen Döner-Laden.
Dass Fußballer ihre beachtliches Kapital über Investitionen vermehren und sich da dann mehr oder weniger auch reinhängen, ist halt einfach nichts besonderes mehr. Die haben mittlerweile ein riesiges Vermögen und entsprechende Vermögensberater.
Ich meine ernsthaft: Wie viele Nebenprojekte hat Jerome Boateng am Laufen? Hat da noch irgendjemand einen Überblick? Interessiert es irgendjemanden? Der hat halt Bock drauf nen Lifestyle Magazin rauszubringen... und wir lassen ihn.
Oh und politisch äußert er sich nebenbei auch hin und wieder. Aber nen Typ wie Netzer ist das auf keinen Fall...
Netzer kann halt nur für sich behaupten, dass er seiner Zeit voraus war... und so gut investiert hat, dass er sich dann die Bundesliga-Übertragungsrechte leisten konnte. Das wird er nicht mit dem Geld, welches er fürs Kicken bekommen hat, bezahlt haben.
Aber das, was mich am meisten stört, sind ja die Skandale auf und neben dem Platz. Die Freiheiten, die sich ein Netzer damals so genommen hat, die aber keinen gestört haben... weil er überragenden Fußball gespielt hat. Das ging damals angeblich noch. Mittlerweile wird man ja von der DFL jahrelang gesperrt, wenn man ohne Führerschein jahrelang Auto fährt... oh warte, das hat Marco Reus ja gemacht, ohne dass es ihm irgendwie geschadet hat. Er ist weiterhin eine Stil-Ikone auf und neben dem Platz. Ein Vorbild für die Kids bei der Kleiderauswahl und beim Dribbling. Die kommt sogar mit eigener Kollektion. Aber nen Typ ist das natürlich auch nicht.
Der Höhepunkt des Socrates Artikels ist dann ein "Fußball-Deutschland hat wochenlang über ein Goldsteak gesprochen."
Aber ganz ehrlich: Franck Ribery ist doch der lebende Beweis, dass man sich auf und neben dem Platz alles erlauben darf, solange man Leistungen zeigt. Also beim gefühlt 7 ausgebliebenen Platzverweis ist dann auch dem Kicker aufgefallen, dass der nicht unbedingt ein Filou, sonder ein ganz schöner Rüpel ist, der sich immer wieder zu Überreaktionen provozieren lässt... und bei dem die Schiedsrichter doch immer noch ein Auge zudrücken.
Dazu kommt noch die unangenehme Geschichte mit der Minderjährigen Prostituierten. Also klar, die Franzosen haben sich daran gestört, aber in der französischen Nationalmannschaft war Ribery halt doch auch eher Durchschnitt. Dass Ribery sich als verheirateter Mann mit einer fragwürdigen Kurtisane umgeben hat, hat in Deutschland niemanden interessiert... nicht mal seine Frau... Genau genommen auch zurecht niemanden interessiert. (Also außer seine Frau...)
Und unehelicher Beischlaf, gegebenenfalls mit Groupies, ist halt nichts ungewöhnliches. Hin und wieder tauchen Geschichten aus dem Privatleben der Profis auf, meistens weil sich irgendeine Ex irgendwie revanchieren will. Oder weil ein noch eher unbekanntes oder angehendes Model ihr Profil schärfen will. Und solange es dabei nicht um Minderjährige oder Vergewaltigungsvorwürfe geht, zucken wir (völlig zurecht, es hat uns ja auch nicht zu interessieren) mit den Schultern, wenn Cristiano Ronaldo über die Jahre mit endlos vielen Models geschlafen haben soll.
Oh und Steuerhinterziehungen und Straftaten... Also es gab ja dieses legendäre Bild, wo die jetzt plötzlich ehemalige Präsidentin Kroatiens ihren Kapitän Luka Modric herzlich umarmt. Eigentlich hätte sie diese Umarmung nie lösen dürfen... also zumindest so lange nicht, bis Modric wegen den Verbindungen zu Zdravko Mamic vor Gericht ausgesagt hat. Hat sich während der WM irgendjemand dafür interessiert, dass der Volksheld da eigentlich vor eine Haftstrafe stehen könnte? Natürlich nicht. Er hat ja Leistung gebracht.
Wäre Modric in der Vorrunde ausgeschieden, hätte er den Heimweg so organisieren sollen, dass er nicht auf Kroatischen Boden landet... aber so... kein Problem.
Zur Sprache kommt das alles erst, wenn die Leistung nicht mehr stimmt. Dann wird darüber philosophiert, ob so ein Lebenswandel nicht schadet... Ob man nicht mal seine Steuern nachzahlen könnte... Ob man die ganzen Fehltritte auf dem Platz nicht mal ahnden sollte...
Und wenn es dann mal Typen gibt... regen wir uns darüber auf, dass die nicht mehr so sind, wie in den 70er Jahren...
Also Neymar ist doch genau das, was man unter einem Typen versteht: Ein Spieler, den man entweder verehrt oder hasst. Eine Diva auf und neben dem Platz. Und ein Spieler, der praktisch in jedem Sommer einen Wechsel erzwingen will. Trotzdem lieben sie ihn in Paris immer noch und Barcelona würde ihn auch mit Kusshand zurück nehmen. Der sich auf und neben dem Platz alles raus nehmen darf, es aber halt auch mit Leistung auf dem Platz zurückzahlt... bis ihm wieder jemand das Bein bricht, aber der Junge simuliert halt zu viel...
Aber unsere neutrale Sicht ist: Der ist zu exzentrisch! Das wollen wir nicht, wir wollen sympathischere Typen. Also halt so "Typ Schwiegersohn"... Aber auch nicht so ganz, denn so nen paar Kanten soll der ja schon haben.
Oder nehmen wir mal das nächste Beispiel: Pique: Politisch für die Unabhängigkeit Kataloniens aktiv, wirtschaftlich durchs Konsortium Kosmos in die Reformation des Davis Cups involviert und privat mit Shakira liiert... mehr Günter Netzer geht eigentlich gar nicht. Und trotzdem ist der heimlich auch ein spanischer Nationalheld, weil er teil der überragenden Nationalmannschaft war. Zur Sprache kommen all die Aktivitäten nur, wenn die Leistung nicht mehr stimmt.
Dass ist ja (neben dem Fakt, dass halt auch Winterpause, also in der sauren Gurkenzeit, war) das eigentliche Problem an dem Goldsteak: es kam zu einer Zeit, wo Ribery seine Exzentrizität nicht mehr mit herausragenden Leistungen überdecken konnte. Und deswegen sind uns all die Dinge, die wir vorher sympathisch fanden, hinterher negativ aufgefallen.
Nebenbei würde ich auch mal ganz dreist behaupten, dass die Person Netzer auch ganz schön verklärt wird. Also damals wird die alte Generation auch schon gesagt haben "Ich wünsche mir wieder die guten alten Spieler wie Uwe Seeler." So wie die alte Generation heute nach den Netzern schreit. Und ich sag das mal so: Aus irgendwelchen Gründen hat ein Wolfgang Overath mehr als doppelt so viele Länderspiele absolviert. Und dazu kommt, dass er seinen Vorruhestand auch schon in der Schweiz genossen hat. Also wenn der mit 34 Jahren Bundesliga gespielt hätte, wäre uns auch allen aufgefallen, wie viel der sich eigentlich heraus nimmt und dass das eigentlich nicht geht.
Die ganze Debatte erscheint mir nebenbei übelst Deutsch. Also wir dürften das einzige Volk auf der Welt sein, welches sich einerseits mehr "Typen" wünscht, sich aber anderseits über exotische Haarschnitte aufregt.
Vor allem fällt uns drum herum gar nicht auf, wie viel wir Fußballern eigentlich durchgehen lassen. Und denen selber fällt das auch nicht auf, weshalb sie auch unnötig vorsichtig sind. Trotzdem gibt es genügend auffällige Charaktere auf den deutschen Fußballplätzen...
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