Was für eine großartige Samstags-Konferenz! Genau dafür schalten wir doch ein! Da kann ständig alles passieren und jeder kann jeden schlagen!
Und dann macht ausgerechnet DIE Legende Yussuf Poulsen Bayern München zum 4 Minuten Meister! Wie... irrelevant. Selbst wenn Bayer die "Einladung" ausgeschlagen und gegen Freiburg gewonnen hätte, wäre Thomas Müller's "Kann auch rechnen" Aussage völlig korrekt gewesen. Trotzdem wollten die mir bei Sky einreden, dass das jetzt unfassbar wichtig und relevant wäre.
Aber gut, dass die Meisterschaft irgendwie durch ist, hatten wir ja alle eingesehen. Viel schlimmer ist ja, dass die das auch im Abstiegskampf machen. Da wollten die mir die ganze Zeit einreden, wie wichtig dieser Ausgleich für 1899 Hoffenheim ist. Und wie dramatisch die Niederlage für St. Pauli. Denn wenn Heidenheim jetzt beide Spiele gewinnt, könnten die noch auf den Relegationsrang rutschen!!! Wenn Heidenheim beide Spiele gewinnt und Holstein Kiel beide Spiele deutlich gewinnt, könnten die sogar noch direkt absteigen!! Wie soll man diese Spannung nur aushalten!
Hier muss ich wieder mein grundlegendes Problem mit Kommentatoren darlegen. Denn Kommentatoren müssen uns eigentlich das realistischste Szenario darlegen, damit wir mit dem Gezeigten umgehen können. Die Experten dürfen dann gerne erklären, wie ihrer Meinung nach diesem Szenario aus dem Weg gegangen werden kann, damit wir Zuschauer dann wissen, worauf wir achten müssen, wenn wir es mit dem Außenseiter halten.
An diesem Wochenende wurde aber dann wieder aus den Kommentatoren bei Sky die Verkäufer des Abos.
Denn hier muss man nochmal festhalten: Der Klassenerhalt von St. Pauli und Hoffenheim ist zu 95 % gesichert. Mindestens. Und als Pseudoexperte erkläre ich euch auch warum:
Wisst ihr, wann dieses für die beiden ach so bedrohliche Szenario, dass der Tabellensechszehnte 2 Siege an den letzten beiden Spieltagen holt, eingetreten ist?
2002/03 rettete sich Bayer Leverkusen mit Siegen gegen 1860 München und den 1. FC Nürnberg die Klasse. Diese Rettungsaktion muss eigentlich mit einem Sternchen versehen werden, denn Leverkusen stand 12 Monate zuvor noch um Champions League Finale. Die hatten mit Lucio, Bernd Schneider und Olivier Neuville 3 Spieler im Kader, die auch im WM-Finale 2002 zum Einsatz kamen. Und sie hatten Carsten Ramelow... das werden wir unseren Kindern erklären müssen. Also wie diese an sich richtig gute Mannschaft überhaupt in den Abstiegskampf rutschte, nachdem einige ihrer Spieler im Vorjahr 4 Vize-Titel in einer Saison geholt hatten. Von dieser Leistung kann man also nichts ableiten.
2 Jahre davor konnte Energie Cottbus dann mit Siegen gegen den Hamburger SV (wieder) 1860 München die Abstiegsränge verlassen. Damit kann man doch schon eher arbeiten, denn Cottbus war ja einer dieser Vereine, die aufgrund ihrer eingeschränkten Möglichkeiten immer der Topfavorit auf den Abstieg waren. Da muss man also als Erstes festhalten, dass dies schon über 20 Jahre her ist. Um die allgemeine Wahrscheinlichkeit richtig einzuordnen. Denn im Allgemeinen gilt ja: Man ist nach 32 Spieltagen 16., weil man eben nicht gut genug ist, um 2 Spiele infolge zugewinnen. Dass dies dann plötzlich gelingt, wäre völlig gegen den Trend. Dennoch kann man daraus was lernen.
Denn es ergibt sogar Sinn, dass 1860 2 Mal in dieser Aufzählung auftaucht: Im ersten Beispiel waren sie 10., im zweiten "nur" auf Platz 11. Vor dem Duell mit Cottbus lagen sie 6 Punkte hinter der Hertha und 5 Punkte hinter Werder. Sie hatten also nur theoretische Chancen auf einen Platz im europäischen Geschäft. Und sie lagen 9 Punkte vor den Abstiegsrängen. Es ging für sie also um nichts, für Cottbus um alles. Selbes Prinzip gilt für den quasi geretteten HSV und den bereits abgestiegenen Nürnbergern. In beiden Fällen traf eine Mannschaft, für die es um alles ging, auf eine Mannschaft, für die es um nichts mehr ging.
Das ist natürlich immer so ein Joker, den man ganz schlecht einordnen kann. Also als zeitnäheres Beispiel: Dass Borussia Mönchengladbach, wo es für sie praktisch um nichts mehr geht, das Verteidigen komplett eingestellt haben, war so nicht abzusehen. Die haben jetzt 3 Spiele infolge mindestens 3 Gegentore kassiert. Und gegen 2 Mannschaften aus dem unteren Drittel jeweils 4 Tore kassiert. Das ist, da Gladbach bis zum 30. Spieltag nur 1,5 Gegentore pro Spiel kassiert hat, sachlich kaum zu erklären... Außer man gibt doch zu, dass es nach den 3 Spielen ohne Sieg einen Spannungsabfall gab, weil man erkannt hat, dass man die Chance aufs europäische Geschäft verspielt hat.
Genau diesen Spannungsabfall könnte es jetzt auch bei beiden Gegnern der Heidenheimer geben. Da Union Berlin und Werder Bremen sich unentschieden getrennt haben, ist die Saison für beide auch durch. Wenn die gedanklich schon im Sommerurlaub sind, könnte es echt nochmal eng werden. Und bei Union sah es ja zumindest in der ersten Halbzeit stark danach aus, als hätten die mit der Saison schon abgeschlossen.
Aber es ist auch das letzte Heimspiel der Unioner für die Saison. Die werden da schon ein ordentliches Abschiedsfest mit ihren Fans feiern wollen. Wenn Heidenheim ein Heimspiel hätte, würde ich das durchaus als realistisches Szenario einschätzen. Augsburg hat ja gerade in Kiel vorgemacht, wie so was läuft. Und Union ist auch eine dieser Mannschaften, die nur dann wettbewerbsfähig ist, wenn sie 100 % auf den Platz bringt.
Aber ja: Möglich ist es. Denn das Szenario, welches uns jetzt bevorsteht, gab es vor über 20 Jahren schonmal. Aber die Frage, ob Heidenheim noch eine Chance auf den Klassenerhalt hat, wird eher in den Köpfen der Gegner als in den eigenen Beinen beantwortet.
Nebenbei müssen da noch 2 andere Dinge beachtet werden: Bayer Leverkusen hatte damals nach 32 Spieltagen 34 Punkte auf dem Konto und nur 2 Punkte Rückstand aufzuholen. Bei Energie waren es "nur" 33 Punkte, aber auch sie sprangen bereits nach dem ersten Sieg über den Stich. Heidenheim kann maximal 31 holen. Also nur um rein mathematisch zu verdeutlichen, dass die Kellerkinder heutzutage einfach deutlich schwächer sind, als vor über 20 Jahren. Was diese 2 Siege infolge nochmal unwahrscheinlicher macht. Und: Beide Mannschaften hätten sich auch gerettet, wenn sie am letzten Spieltag verloren hätten. Die konnten zwar beide Spiele gewinnen, mussten es aber gar nicht.
Die letzte Mannschaft, die wirklich 5 Punkte Vorsprung erfolgreich verspielten und überraschend absteigen mussten, war der 1. FC Nürnberg. In der Saison 1998/99. Und wer keine Gänsehaut bekommt, wenn er "Bundesliga Pur" hört, ist kein Fußballfan... oder zu jung. Aber natürlich, weil die DFL was Internetvermarktung absolute Kacknoobs sind, gibt es nur die Radiokonferenz online zu finden. Und eine Zusammenfassung der Zusammenfassung von Kicker.de.
Wir reden hier aber von dem LEGENDÄRSTEN Abstiegskampf aller Zeiten. Wenn Heidenheim das noch dreht und sich den direkten Klassenerhalt sichert, wird das sofort auf Platz 2 der "spektakulärsten Aufholjagden" einsortiert. Es wäre ebenfalls ein historisches Verkacken von St. Pauli oder Hoffenheim.
Kann das passieren? Bestimmt. Aber es sollte auch jedem bewusst sein, dass wir etwas Historisches erleben würden, wenn das passiert, weil es eben verdammt unwahrscheinlich ist. Und das sollte man auch vorher den Leuten erklären.
Und dann... ist es am Ende egal, weil sich die Mannschaften in der 2. Liga ja so absurd schwach sind, dass eine Niederlage in der Relegation eigentlich ausgeschlossen werden muss. Die stellen sich kollektiv noch dümmer an, als der HSV!! Das ist eigentlich physikalisch unmöglich. Nüchtern betrachtet geht es nur noch darum, ob Heidenheim oder Kiel über die Relegation die Klasse hält. Wer euch was anderes erzählt, will euch nur Abos verkaufen, betreibt aber keinen seriösen Journalismus.