Montag, 12. Dezember 2022

War das Brasiliens letzte Chance den Titel zu holen?

 Und wo wir schon dabei sind: Wird es Argentiniens letzte Chance sein? Und Marokkos, also Afrikas einzige?

Klingt übertrieben? Vielleicht, den Afrikanern gebe ich zukünftig noch Chancen. Lasst mich das erklären:

Es gibt ja zwei durchaus entscheidende Faktoren, die einen WM Titel eigentlich entscheiden. Der erste ist die taktische Disziplin. Klar, es gibt immer diese Mannschaften, die buchstäblich bis ins Viertelfinale tanzen. Das werden, wie wir auch gerade wieder gesehen, meistens die Brasilianer sein. Aber diese Mannschaft trifft dann immer früher oder später auf eine Mannschaft, die humorlos und konsequent verteidigt. Kroatien als Bösewicht halt. Oder als nicht-Bösewicht, weil das ja eine sympathische, kleine, europäische Nation ist. 

2018 war es Belgien, die mit 43 % und 3:9 Toren eiskalt gewannen. Das 2014er-Spiel will ich nicht wirklich verlinken, das passt halt nicht in mein Konzept. 2010 waren die Niederländer dran. Also die Bert van Marwijk, Mark van Bommel, Nigel Jong Holländer. 2006 verlor man 0:1 gegen Frankreich. Das sind dann schon 20 Jahre seit dem letzten Titel und jedes Mal scheiterte man, sobald man auf eine große europäische Nation trifft. Für Ghana, Mexiko (2-mal), Kolumbien und Südkorea reicht es noch, für mehr halt nicht. Aber seit 2002 hat man halt keine europäische Mannschaft in einem K.O. Spiel besiegen können. Wenn man Weltmeister werden will, muss man so eine Mannschaft irgendwann mal schlagen. Jetzt ist man aber bei, um es auf Englisch auszudrücken, 20 years of hurt. Wo die Briten natürlich sagen: nur 20? Eure Sorgen möchte ich haben. Bei uns sind es 26 Jahre, seit dem wir das erste Mal darüber gesungen haben, wie wir immer verkacken. Hey, England, wenn es auch aufbaut: Wir Deutschen haben dafür keinen annähernd so geilen Turniersong... Nicht nur wir, niemand hat den.

Aber zurück zu den Brasilianern: Wenn man immer wieder auf dieselbe Art und Weise scheitert, ist das irgendwann ein strukturelles Problem. Und das andere Problem ist: Die Brasilianer sind selber hinten nur selten annähernd so gut besetzt. Die werden immer Angreifer haben, aber werden sie auch die dringend benötigten Verteidiger ausbilden? Klar, dieses Mal kamen sie mit Thiago Silva, Marquinhos uns Casemiro. Aber 2 von denen sind auf der falschen Seite der 30. Silva ist dichter an der 40 als an der 30. Ob die jemals wieder eine derartige Defensive stellen werden?


Aber das 2. Problem ist ja noch viel schlimmer: Denn der andere entscheidende Faktor der WM ist ja die Tiefe im Kader. Also früher hat es halt gereicht, 15 richtig gute Spiele zu haben, um Weltmeister zu werden. Dann füllt man den Kader mit Talenten und Bankdrückern auf und lässt diese richtig guten Spieler zocken. Mittlerweile ist die Bank während eines Turniers wesentlich wichtiger. 

Noch viel wichtiger: Man muss mittlerweile leider davon ausgehen, dass dir wichtige Leistungsträger wegbrechen, weil der internationale Rahmenspielplan für Superstars halt so extrem brutal ist. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Lazarett-Mannschaft locker Weltmeister werden könnte. Allein den Franzosen fehlen mittlerweile Kimpembe, Hernandez, Pogba, Kanté, Benzema und Nkunku. Das wäre eine Grundlage für eine richtig geile Elf. Also wenn Paul Pogba gerade Bock hat, was er im Nationalmannschaftstrikot immer hatte. Und wenn es menschlich mit Benzema funktioniert, der ja anscheinend das exakte Gegenteil ist: Im Verein ein großartiger Mannschaftsspieler, im Nationalmannschaftstrikot eine Diva.
Brasilien fehlten dagegen nur Arthur Melo und Coutinho. Letzterer spielt mittlerweile bei Aston Villa, weil es für ihn auf allerhöchstem Niveau nicht reicht.

In dem Sinne war diese WM eigentlich ein perfekter Sturm für die Brasilianer: Sie waren fast komplett fit und kamen sogar relativ gut durch das Turnier. Die Konkurrenz war völlig überspielt und musste haufenweise Ausfälle kompensieren. Trotzdem reichte es wieder nicht, um auch nur eine europäische Mannschaft zu schlagen.


Hier kommt jetzt die eigentlich spannende These: Sie haben ein strukturelles Problem in der Ausbildung. Und man hat praktisch keine Chance, dieses Problem zu lösen. Denn die Europäer haben halt seit 2002 nochmal entscheidende Fortschritte in der Jugendausbildung gemacht. Zum Beispiel mit der Einführung der UEFA Youth League in der Saison 2013/14. Man qualifiziert sich mittlerweile nicht mehr nur für die Champions League, man sorgt auch dafür, dass seine Jugendabteilung Spiele auf höchstem Niveau bekommt. Und halt nicht nur für die Bayern und Barca, sondern auch für Zagreb, Glasgow, Donezk, Kopenhagen und Pilsen. Die Meister der kleineren Ligen halt. Die fast schon logische Konsequenz: Josko Gvardiol gibt den unfassbar souveränen Innenverteidiger. Der verteidigt mit 20 schon technisch und taktisch unfassbar sauber. Der wurde aber auch in Zagreb auf höchstem Niveau gefordert und gefördert.

Die Brasilianer kommen dagegen vielleicht mit 18 erste nach Europa. Also Marqhuinhos kam in diesem Alter. Danilo kam erst mit 21. Eder Militao mit 20. Aber selbst wenn sie in diesem jungen Alter nach Europa gehen, so haben sie doch schon einen Nachteil mit der gleichaltrigen Konkurrenz.

Die europäischen Talente werden halt immer besser ausgebildet. Sie werden immer früher gefordert und logischerweise auch immer früher Stammspieler. Und so kann Spanien dann auf Pedri und Gavi im zentralen Mittelfeld setzen. Der eine ist 18 und der andere 20. Und bei allen Problemen der Spanier: Das taktische Verhalten im Zentrum war nicht das Problem.

Nur um da ganz konkret den Fortschritt zu belegen: Früher hat man solche Talente durchaus auch spielen lassen, aber nicht im Zentralen Mittelfeld. Ich nenne mal demonstrativ Bastian Schweinsteiger als Beispiel für eine ganz normale Fußballbiografie der Jahrtausendwende: In jungen Jahren Flügelflitzer, obwohl er dafür eigentlich immer zu langsam war, erarbeitete er sich über die Jahre die taktische Disziplin und den nötigen Respekt, um als Führungsspieler in die Mitte zu ziehen. Heutzutage würde man ihn, wie man bei Jamal Musiala sieht, direkt ins Zentrum stellen.

Das sieht man ja absurderweise am deutlichsten an Neymar. Das bisschen, was ich von Brasilien gesehen hat, hat mich gerade bei ihm echt überrascht: Der spielt mittlerweile im zentralen Mittelfeld. Und seine Aktionen waren technisch perfekt, aber auch schnörkellos. Keine ziellosen Übersteiger, sondern ein schneller Harken und dann der Antritt. Gefolgt von einem Doppelpass oder zwei. Und dann lässt er sich im Strafraum nicht fallen, sondern sucht den Abschluss. Oder anders ausgedrückt: Er macht jetzt das, was Lionel Messi seit über 10 Jahren macht. Nur musste Neymar dafür erst 30 werden. Den Ruf als schauspielernde Diva wird er auch nie wieder loswerden.

Dass er diesen Entwicklungsschritt genommen hat, ist großartig. Aber vielleicht hat er ihn einfach ein wenig zu spät genommen und Weltmeister zu werden. Oder die jungen Spieler um ihn herum haben ein wenig zu lange gebraucht, um ihn auch zu nehmen. Und dieses Problem wird Brasilien in der Breite immer haben.

Denn sie haben ja auch keine Chance eine vergleichbare Institution wie die Youth League zu installieren. Der Weg nach Europa ist gerade für Teenager richtig weit. Also werden sie in der taktischen Jugendausbildung immer weiter zurückfallen. Damit wird es immer schwerer, den Titel zu holen.

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