Also dass es auch so gar keine Fortschritte gibt, ist schon faszinierend. Dass jetzt selbst die englischen Schiedsrichter auf internationaler Bühne für Lächerlichkeiten Platzverweise erteilen, obwohl sie sich die Szene nochmal angucken. Das ist einfach alles nicht mehr nachvollziehbar. Also vielleicht sind die Schiedsrichter ja selber Teil einer groß angelegten Verschwörung, die den VAR wieder abschaffen will. Eine bessere Erklärung habe ich jedenfalls nicht.
Die Anziehungskraft des Fußballs besteht ja daraus, dass er eigentlich so einfach zu erklären ist: 10 Spieler versuchen den Ball mit dem Fuß in ein markiertes Rechteck zu schießen. Ein Spieler in jeder Mannschaft darf die Hände nutzen, um dies zu verhindern. Das kann man an jedem Strand und auf jeder Wiese reproduzieren. Das komplizierteste ist das Abseits.
Und trotzdem hat man immer wieder Entscheidungen, bei denen man sich einfach nur fragt: warum? Wie kann das passieren? Also Michael Oliver ist ja ein professioneller Schiedsrichter. Und der ist seit 2012 auf der Fifa Liste. Dessen Vater ihm das Pfeifen beigebracht hat. Das ist kein Neuling, der mit der Situation überfordert ist. Das ist ein erfahrener Veteran, der seit 15 Jahren nichts anderes macht als Spiele zu leiten und solche Zweikämpfe zu bewerten.
Dass ihm dann in Realgeschwindigkeit ein Fehler unterläuft, ist kein Problem. Dass er (Achtung, Ferndiagnose und ohne jemals mit dem Mann gesprochen zu haben...) anscheinend zu Stolz ist diesen Fehler einzusehen und zu revidieren. DAS könnte am Ende das Grundproblem des VARs sein.
Nebenbei... passiert das Oliver schon das 2. Mal. Also nicht in seiner Karriere, sondern in diesem Jahr. Also schon beim EM Viertelfinale Spanien - Schweiz war nach dieser Szene der allgemeine Konsens: Sieht in Originalgeschwindigkeit schlimmer aus, als es ist und Rot ist zu hart... sollte er sich nochmal angucken. Tat er aber nicht. Frei nach der Querdenker Logik: Verwirren sie mich nicht mit ihren Fakten und Bildern, mein Bauchgefühl sagt mir, dass Rot richtig ist. Und obwohl mir die Bilder gerade im Fall Mats Hummels etwas anderes sagen, bleibe ich bei meinem Bauchgefühl. Das hat mich noch nie getäuscht.
Das wirklich enttäuschende am VAR ist ja, dass sich die eigentliche Hoffnung nicht erfüllt. Also weil die Schiedsrichter anscheinend zu stolz sind dieses Hilfsmittel zu nutzen, bleiben all die Krankheiten, die eigentlich keiner sehen will, bestehen.
Meine ganz große Hoffnung war ja sogar, dass Stürmer, wenn sie gefoult werden, trotzdem den Abschluss suchen, weil der VAR ja auch eingreift, wenn man getreten wird, aber nicht theatralisch fällt. DAS ist das Ziel, welches wir eigentlich erreichen müssen: Dass der Spieler, der trotzdem den Abschluss sucht, nicht der Dumme ist. Aber das wird nie passieren, deswegen fällt man halt lieber.
Aber wenigstens das Aufhalten der "Neymar"-irsierung des Fußballs... Also selbst die Fans dieses an sich großartigen Fußballers werden nach dem 4. Bier zugeben, dass dessen übertriebenen und patentierten Einlagen übertrieben sind und dass die keiner sehen will. Und selbst diejenigen, die darauf verweisen, dass ihm regelmäßig die Beine gebrochen werden, müssen zugeben, dass man deswegen die Schauspieleinlagen nicht ins Lächerliche ziehen muss.
Jetzt muss sich Neymar-Schüler Antony vorwerfen lassen, dass er zwar ein großartiger Fußballer, aber kein richtiger Sportler ist. Dabei ist der halt Vollprofi und versucht alles, um seiner Mannschaft einen Vorteil zu erarbeiten. Das macht man als Profi so. Und natürlich nutzt man dann als Sportler die vorhandenen Regeln zu seinem Vorteil aus. Das macht Hummels ja auch nicht anders. Also klar, schon anders, er nutzt die Grenzen des "Ist eigentlich verboten, wird aber selten gepfiffen" Prinzips aus. Antony kommt dagegen von der "Wird nur gepfiffen, wenn ich da mehr draus mache" Schule. Die Idee ist jeweils dieselbe: Man nutzt die Lücken des Regelwerkes für sich aus.
Und Antony hatte damit ja Erfolg. Er hat also alles richtig gemacht. Nur von der hohen moralischen Position her nicht. Aber wenn es um die Millionenprämien in der Champions League geht, sind diese Ansprüche doch egal. Wir müssen also nicht auf Antony rumhacken und dessen Handeln hinterfragen.
Wir müssen uns fragen, warum wir diese hässliche Kultur so gepflegt und gehegt haben. Und ob man das Regelwerk nicht ändern könnte, um dies zu ändern. Also in einer idealen Welt geht Oliver als Schiedsrichter zu Antony und macht ihm eindeutig klar, dass solche Schauspieleinlagen Scheiße sind. Idealerweise schreibt man noch ins Regelwerk explizit, dass solche Aktionen auch mit Verwarnung zu ahnden sind. Dann kann Oliver ihm direkt den gelben Karton für seine Unsportlichkeit unter die Nase reiben. Und nur wenn das regelmäßig passiert, wird sich was auf dem Feld ändern. Denn nur dann hat auch der Trainer einen Anreiz den Spielern diese Angewohnheiten auszutreiben.
Aber da setzt ja der nächste Instinkt ein: Wir wollen das nicht. Wir wollen, dass die Starspieler sich diese Einlagen abgewöhnen, ohne dass es Konsequenzen für sie gibt. Denn vor nichts haben wir ja so viel Angst, wie eine Sperre von Neymar in einem Champions League Halbfinale oder im Endspiel. Auf gar keinen Fall wollen wir, dass diese Superstars das Highlight des Jahres verpassen könnten... egal wie unsportlich sie sich auf dem Weg dahin präsentiert haben.
Da akzeptieren wir es eher, dass die Spiele davor durch Unsportlichkeiten und provozierte Platzverweise entschieden werden. Und selbst, wenn es das gewünschte Ziel nicht gibt, hat man ja nichts verloren. Man spielt dieses Spiel ja als Angreifer ohne jeglichen Einsatz. Das einzige Risiko trägt der Verteidiger.
Von mir aus können wir da auch eine extra Kategorie für einrichten. Also wir lassen erfahrene Veteranen nach dem Spieltag die entsprechenden Szenen analysieren. Nehmen wir Jürgen Kohler und Ulf Kirsten, um wirkliche Instanzen zu nennen. Und dann sagen die beiden "Das war eine völlig übertriebene Einlage, das muss sanktioniert werden!" Wenn ein Spieler das dabei zum dritten Mal in einer Saison erwischt wird, wird er für ein Spiel gesperrt.
Und nur um mal den Blick über den großen Teich zu werfen: In der NBA wurde gerade eine der beschissenen Regeln abgeschafft. Eine Regel, die dazu geführt hat, dass einzelne Spieler 10 Mal pro Spiel an die Freiwurflinie gegangen sind. Die Fans wollten dies aber einfach nicht mehr sehen und haben sich so lange beschwert, bis es bei den Regelhütern ankam. Jetzt beschweren sich die Spieler ein wenig, werden sich aber umstellen. Und die Fans reagieren mit einem kollektiven "endlich!".
Aber still und heimlich wollen wir ja genau den Fußball sehen. Deswegen regen wir uns nicht auf. Oder wir wollen unbedingt Sport sehen, der uns aufregt, eines von beidem. Am Ende kriegen wir das Spiel, das wir verdienen...
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