Wird er jetzt einfach Nationaltrainer, bevor es auffällt, dass er als Coach eigentlich gar nicht so gut ist? Und wie Jogi Löw eindrucksvoll bewiesen hat, muss man kein guter Trainer sein, um das Halbfinale bei einer WM zu erreichen. Oder Rudi Völler, nur um zu belegen, dass Löw da gar keine Ausnahmeerscheinung ist. Es ist halt die Norm, dass wir schlechte Trainer verpflichten.
Nur um das nochmal zu verdeutlichen: Hansi Flick hat in seinen 1 1/2 Jahren bei den Bayern mehr Titel gewonnen, als alle Nationaltrainer vorher zusammen. Das hält sogar, wenn man die Titel, die Franz Beckenbauer als Interimstrainer geholt hat, dazu zählt.
Aber ist Hansi Flick wirklich ein guter Trainer? Oder profitiert er nur davon, dass die Mannschaft keinen Bock mehr auf Niko Kovac hatte? Also das Phänomen "Dead Coach Bounce": Ein neuer Trainer muss nicht zwingend gut sein, um einen kurzfristigen positiven Effekt auszulösen. Er braucht nur eine Qualifikation: Dass er nicht mehr der Alte ist.
Wenn man Flicks Leistungen mal sachlich betrachtet... bleibt eine starke Leistung hängen: Er hat es geschafft, die Mannschaft perfekt auf das Top 8 Turnier in Lissabon einzustellen. Und gerade beim Viertelfinalgegner Barcelona zeigte sich ja, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Die Mannschaft auf genau diesen Punkt fit gemacht und richtig eingestellt zu haben, kann sich Flick ins Portfolio schreiben. Dass er dann auch davon profitiert hat, dass die Franzosen ihre Saison abgebrochen haben, sollte er lieber verschweigen.
Vor allem ist das eine super spezifische Leistung... die sich am ehesten als Nationaltrainer reproduzieren lässt. Aber es sagt halt wenig über seine tägliche Arbeit als Vereinstrainer aus. Und ja, als Bewerbung für den Posten als Löw-Nachfolger liest sich das super gut. Spontane These: Seine Arbeit als Nationaltrainer hat ihm bei den Finalturnier in der Champions League einen entscheidenden Vorteil gegenüber Thomas Tuchel gegeben, der diese Situation eben noch nie erlebt hat.
Aber was hat er in der täglichen Arbeit so geleistet? Nun ja, er hat die vorher aussortierten Thomas Müller und Jerome Boateng zu Stammspielern gemacht. Und genau genommen war es das schon. Es ist halt Müllers dunkles Geheimnis, dass jeder Trainer, der ihn aussortieren wollte, weil er vielleicht nicht mehr gut genug ist, hinterher postwendend die Kabine verloren hat. Also es ist schon faszinierend, dass sowohl Carlo Ancelotti als auch Kovac an derselben Personalie gescheitert sind: Sie wollten Müller zum Ergänzungsspieler machen. Und Pep Guardiola ist freiwillig gegangen, bevor das zum Problem wurde.
Auf die in der Kabine etablierten und vorher aussortierten Veteranen zu setzen ist jetzt aber kein brillanter Geniestreich... sondern DIE Standardzutat eines Dead Coach Bounce. Oder anders ausgedrückt: Niko Kovac hat erstmal genau dasselbe gemacht...
Und ja, Flick ist souverän Meister und Pokalsieger geworden. Und wird wieder Meister werden. Das sind halt Dinge, die man als Bayern Trainer kaum verhindern kann. Selbst Jogi Löw könnte das gelingen. Oder anders ausgedrückt: Niko Kovac hat das auch geschafft.
Aber, wenn man sich jetzt die Leistungen in dieser Saison kritisch hinterfragt... zeichnet sich ein dunkleres Bild. Klar, für die Meisterschaft in einer überforderten Liga wird es weiterhin reichen. Aber warum wird Flick nicht mal für das historische Aus gegen Holstein Kiel kritisiert? Dem ersten Ausscheiden gegen eine Unterklassige Mannschaft seit 2004. Und das Spiel gegen Kiel zeigt ja das eigentliche Problem der Bayern in dieser Saison sehr deutlich:
Selbst gegen einen Zweitligisten kassierte man 2 Gegentore. Nicht mal gegen unterklassige Gegner schaffte man es, souverän zu verteidigen. Und Flick hat es bis zu diesem Wochenende nicht geschafft, dieses strukturelle Problem zu lösen. Einfach mal ein stabileres, souveräneres System zu etablieren, welches dann vielleicht auch gegen Paris St. Germain mit Spielpraxis greift.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie mit Manuel Neuer den besten Torhüter der Welt in seinem Kasten hat. Der laut Kicker trotz (oder wegen?) der vielen Gegentore in der Hinrunde Weltklasse war. Man kann nur darüber spekulieren, wie viele Gegentore es gegeben hätte, wenn Alexander Nübel wirklich seine 10 versprochenen Spiele gemacht hätte.
Und das Spiel gegen Wolfsburg zeigt ja, dass es keinerlei Fortschritte gibt. Man ist immer noch an dem Punkt, dass ein 2:0 Vorsprung kein sicheres Ruhekissen ist. Auch wenn der Sportschau Kommentator mit seinem "Wirklich spannend wird es nach dem Spiel" Ansage die Zusammenfassung mal direkt ruiniert hat.
Dazu kommt, dass Robert Lewandowski eine selbst für ihn überragende Saison spielt. Also im Wesentlichen verlässt Flick sich auf seine 2 überragenden Akteure und hofft, dass die schon alles regeln... gönnt diesen Akteuren aber trotz deutlichen Vorsprüngen keine Verschnaufpausen. Und das, obwohl der Körper vom 3. überragenden Akteur Joshua Kimmich schon seine Ruhepause eingefordert hat.
Natürlich kann man jetzt behaupten, dass Lewandowski sich ja bei der Nationalmannschaft verletzt hat. Aber er hat sich halt auch direkt nach dem "Die 40 Tore knackt er auf jeden Fall" Statcurse von Serge Gnabry verletzt. Und es war bei dem Pensum auch eher die Frage ob als wann ihm was passiert. Es wäre eher eine Überraschung gewesen, wenn ein 32-jähriger dieses Pensum durchsteht, ohne auszufallen.
Vor allem wird Flick ja an jeder Stelle für seine Empathie gelobt. Aber anscheinend reichte diese Empathie nicht aus um Lewandowski so regelmäßige Pausen zu gönnen, dass Joshua Zirkzee bleiben will. Im Wesentlichen hat Flick seine Stars machen lassen, was sie wollen. Und so oft spielen lassen, wie sie wollten. Ein wirklich überragende Trainer hätte die Lewandowski-Zirkzee Situation so verwaltet, dass beide zufrieden sind. Und bei den endlosen Kantersiegen und 5 Wechseln hätte es ja genügend Möglichkeiten gegeben Lewandowski nach 70 Minuten vom Platz zu nehmen um ihn zu schonen und Zirkzee Spielpraxis zu geben. Als Empath sollte man das hinkriegen...
Aber das Entwickeln von Spielern stand nie auf Flicks Agenda. Es ist halt leichter sich über die Neuzugänge zu beschweren und sie links liegenzulassen, als sie zu fördern und zu integrieren. Aber als Vereinstrainer muss man halt auch das mal liefern.
Und die Bilanz bei der Spielerentwicklung... also nehmen wir hier mal den Spieler, der den größten Schritt nach vorne gemacht hat: Leon Goretzka. Der hat seinen entscheidenden körperlichen Entwicklungsschritt im Lockdown gemacht..., weil er selbstständig in dieser Zeit an seinem Körper gearbeitet hat. Aber mit Flick hatte das überraschend wenig zu tun. Eher im Gegenteil: Über einen Monat von Flick getrennt zu sein hat ihm sehr geholfen...
Auf der anderen Seite ist Alphonso Davies immer noch schnell. Aber auf Fortschritte beim Stellungsspiel wartet man seit einem Jahr vergebens. Sollte der von einem überragenden Trainer nicht mehr Hilfe bekommen?
Vielleicht ist es für Jamal Musiala eine richtig gute Nachricht, dass er einen besseren Trainer bekommt... Und natürlich ist Musiala das eine Talent, welches unter Flick eine Entwicklung zeigt. Vielleicht ist der aber auch einfach so gut, dass ihm das selbst unter einem mäßigen Trainer gelingt.
Ich verweise hier auf Julian Brandt unter Heiko Herrlich bei Bayer Leverkusen: Nur weil sich eines deiner Talente halbwegs entwickelt, sollte man nicht ignorieren, dass all die anderen nicht vorankommen.
Und Zirkzee oder Jan-Fiete Arp haben halt nicht von Flick profitiert. Genauso wenig wie die Drittligameister aus der 2. Mannschaft, die man ja zumindest für die Kantersiege als Ergänzungsspieler einbauen könnte. Nennen wir mal demonstrativ Cuisance oder Richards als Beispiele für Junge Spieler, die schon vor Flick geflohen sind.
Natürlich ist diese Darstellung überspitzt und einseitig. Aber genau so wird ja gerade an allen anderen Stellen über Hasan Salihamidciz berichtet, während die kritischen Stellen bei Flick komplett ausgeblendet werden. Dabei liegt die Wahrheit doch irgendwo in der Mitte. Und gerade die wacklige Defensive könnte man durchaus auch mal mit Flick in Verbindung bringen. Es ist schließlich seine Aufgabe ein stabiles System zu etablieren und daran scheitert er ganz offensichtlich... seit Monaten.
Und, wenn sich die Nagelsmann-Gerüchte bewahrheiten... sollte das Abstimmungsergebnis eindeutig in Richtung Brazzo ausschlagen. Denn dann findet man ein eindeutiges Upgrade auf der Trainerposition. Jemand, der defensive Stabilität und junge Talente entwickeln kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen