Einen ganz großen Satz direkt vorne weg: Ich habe hier ja unlängst, als Marcel Reif eine lebenslange Sperre gefordert hat, über das Deutsche Wertesystem philosophiert. Und in diesem Wertesystem kommt halt auch die Unschuldsvermutung vor. Deswegen fällt es mir halt schwer, über den "Scheiß-Afghanen", der angeblich gefallen sein soll, zu urteilen. Die Sachlage ist laut Kicker verwirrend. Am Ende hat Nadiem Amiri die Entschuldigung für eine persönliche Beleidigung angenommen.
Außerdem verwirrt es mich, dass anscheinend kein Mikro diese Beleidigung aufgenommen hat, wenn man andere "im Fußball gebräuchliche Beleidigungen" durchaus hören konnte... unter anderem das "Chill mal, wir sind hier in Deutschland."
Und genau genommen ist auch das rassistisch. Also wenn man dem dunkelhäutigen, am Boden liegenden Spieler zuruft, dass er so einen Scheiß hier nicht abziehen muss... Hier steht man auf und spielt weiter. Oder lässt sich in dem Fall vom Gegner aufhelfen und spielt weiter. Man geht halt schon davon aus, dass der Fußball in Deutschland ehrlicher, härter und männlicher ist...
Ja, genau der Fußball, über den sich Chefredakteur Kalrheinz Wild hinterher beklagt. Weil halt die Bundesligaplätze doch viel zu oft als Liegewiese missbraucht werden. Dass die meisten deutschen Schiedsrichter bei internationalen Einsätzen eine wesentlich großzügigere Linie fahren, ist eine allgemein anerkannte Wahrheit. Dass Deutsche Profis wie gerade Timo Werner und Kai Havertz einiges an Eingewöhnung brauchen, wenn sie in eine richtige Männerliga wechseln, ist ebenfalls schwer zu leugnen. Man braucht also schon verdammt viel Ignoranz um zu behaupten, dass "in Deutschland" irgendwie besserer oder ehrlicherer Fußball gespielt wird als woanders.
Trotzdem gehen sie bei Union Berlin anscheinend davon aus. Denn ein derartiger Satz soll ja mehrmals gefallen sein. Man hält sich anscheinend für was Besseres, weil man ein richtiger Deutscher Verein ist. Das ist doch eine wunderbare Einstellung für einen angeblich alternativen Verein.
Aber anscheinend ja auch völlig normal. Also wenn der "Scheiß-Afghane" nicht im Raum stehen würde, hätten es die anderen Vorfälle niemals bis in die Sportschau geschafft. Deswegen beschreibt der Kicker das ja als "im Fußball üblich". Aufgefallen ist es nur, weil ein Anderer angeblich viel heftiger über die Stränge geschlagen hat. Das gibt mir irgendwie zu denken.
Also wie viel von diesem etwas latenten, nicht ganz so expliziten, Rassismus müssten wir eigentlich jedes Wochenende hören? Müsste man da nicht viel früher eingreifen?
Und damit meine ich jetzt nicht zwingend den Union-Spieler ausfindig machen und so lange sperren wie Marcus Thuram. Sondern viel mehr ein "Man muss sich jetzt deutlich positionieren, dass auch ohne der expliziten Beleidigung rassistischer Scheiß von den Unionern kam... und das sollte in Zukunft unterbunden werden."
Denn wahrscheinlich ist den Unionern gar nicht bewusst, dass "Das hier ist Deutschland, da sind die Dinge besser als in deiner Heimat" Haltung durchaus auch rassistisch ist. Denn man erhebt sich ja nur aufgrund seiner Herkunft über den passenderweise auch noch am Boden liegenden Schwarzen. Aber das sind halt diese kleinen Dinge, die einem noch nicht mal auffallen. An der Stelle sei nebenbei mal dieses Buch empfohlen, welches ich Weihnachten zumindest anlesen konnte. Da wird einem dann auch bewusst, dass Rassismus viel früher beginnt.
Lustigerweise geht genau dieses "Chill mal, wir sind hier in Deutschland" Argument auch direkt in den VAR über. Denn genau der hat am Wochenende mal wieder bewiesen, dass wir ein Land von Schauspielern und Simulanten sind. Und dass man damit durchaus Erfolg haben kann. Also der heftigst diskutierte Elfmeter von Stuttgart war ja auf jeden fall eines: Wunderschön zusammengejanckert. Und ja, ich musste im Zuge der Aussage der Unioner wirklich daran denken, dass Deutschland DAS Land ist, in dem ein Typ wie ein Baum namens Carsten Jancker seine Karriere mit einer überragenden Fähigkeit sichern kann: Dem Ziehen von lächerlichen Fouls.
Und ja. Sasa Kalajdzic muss da nicht unbedingt umfallen. Aber dann greift der VAR halt auch nicht ein. Warum sollte er also versuchen auf den Beinen zu bleiben? Dass er dann noch über die Beine seiner Mitspieler gestolpert ist, macht die Sache völlig absurd. Ich habe mich ja hier schon immer bei den "sportlich vorbildlichen" Beispielen darüber aufgeregt, dass der VAR nicht eingreift, wenn man versucht weiterzuspielen. Jetzt haben wir den Punkt erreicht, an dem es sinnvoller ist über die Beine seiner Mitspieler zu stolpern, als den Versuch ein Tor zu erzielen durchzuziehen. Nur in Deutschland. Aber chillt mal.
Vor allem hat ja der DFB Pokal unter der Woche die perfekte Vorlage für den VAR geliefert. Also dass die Bayern ein Abseitstor erzielten und es auch schon am Dienstag einige Fehlentscheidungen gab, war die beste Werbung für dieses neue System. Im Donnerstags-Kicker wurde unwidersprochen davon geschrieben, dass man den immer einsetzen sollte. Und dann verkackt er direkt wieder 2 Elfmeterentscheidungen an einem Bundesligawochenende. So kann weiterhin niemand nachvollziehen, wann der VAR eingreift und wann nicht.
Wobei das halt auch nur wieder beweist, dass wir ein Qualitätsproblem und kein VAR-Problem haben. Aber das ist für die regelmäßigen Leser dieses Blogs auch keine Überraschung.
Und sonst so? Gab es was Lustiges? Also außer dem Fakt, dass die am Donnerstag zu großen Bayern-Verfolgern erklärten Teams aus Leverkusen, Dortmund und Leipzig in den letzten 2 Spieltagen zusammen einen Sieg geholt haben? Wer von solchen Gegnern gejagt wird, kann sich weiterhin sorglose Abwehrpatzer leisten. Nur um das mal festzuhalten: Trotz der großen Bayern-Krise, (die genau genommen nur aus einer Niederlage im Pokal bestand, denn gegen Borussia Mönchengladbach kann man mal verlieren) ist man vorzeitig Herbstmeister... So viel zur Illusion der Spannung. Aber hey, die Dortmunder haben sich wenigstens bemüht...
Dann sollte noch dringend erwähnt werden, dass es bei 4 der 5 "Sportschau oder Sky-Konferenz" Spiele zur Halbzeit 0:0 stand. Lediglich bei Wolfsburg - RB Leipzig passierte etwas vor der Pause. Der Rest des Spieltages war so grausam, dass Luka Jovic in nur 28 Minuten Spielzeit zum "Spieler des Tages" gekürt wurde. An der Stelle sollte man dringend erwähnen, dass Spieler, die nach der 60. Minute eingewechselt werden, normalerweise keine Kicker-Noten bekommen, weil die Spielzeit einfach zu kurz ist. Aber irgendjemanden mussten sie ja zum Spieler des Tages machen.
Aber genau daran wird man sich ja gerade gewöhnen müssen. Also die englischen Wochen stehen erst noch an. Und Mittwoch um 18:30 gibt es dann Schalke - Köln. Das dürften gerade die beiden schwächsten Mannschaften mit Ball sein, die da aufeinander treffen. Und das wird nicht mal in einer Konferenz versteckt. Da gibt es nicht mal Zweitligaspiele, die zeitgleich stattfinden. Aber auch Augsburg, Bremen, Bielefeld, Hoffenheim und die Hertha bieten derzeit einfach nur grausamen Fußball an. Praktisch im Akkord. Und es gibt kaum Aussichten, dass das kurzfristig besser wird.
Das lustigste ist der Satz der ja meistens gut spielenden Suttgarter: Die Arminen sein "komplett angekommen in der Liga." Richtiger wäre der Satz, dass die Liga geschlossen auf Bielefelder Niveau angekommen ist...
Bleibt noch die letzte spannende Frage: Warum beendet David Abraham mitten im Januar und mitten in einer englischen Woche seine Bundesliga-Karriere? Steuert Argentinien am Ende auf einen Lockdown zu und er muss da noch dringend einreisen, bevor das nicht mehr geht? Oder hat er so viel Angst auf ein erneutes Treffen mit seinem Erzgegner Christian Streich? Also ganz ehrlich: Dass die beiden sich noch ein letztes Mal die Hand reichen, bevor Abraham die Bundesliga verlässt, wäre doch wunderbare Poesie. Aber aus irgendwelchen Gründen muss der da schon im Flieger Richtung Heimat sitzen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen