Eigentlich hatte ich mit der EM Qualifikation ja bereits abgeschlossen. Also aus Deutscher Sicht war das ja nie ein spannender Wettbewerb... selbst in den finstersten Jahren war eher ein Formalität, dass man sich für das Turnier qualifiziert. Also ohne Play-Offs... Dann kam die Erweiterung des Teilnehmerfeldes und die Qualifikation wurde endgültig absurd. Was dazu führt, dass ich halt nicht mehr einschalte...
Bis heute Abend. Denn wenn Deutschland in Nordirland verliert, könnte es echt eng werden. Und klar, die Tabelle ist gerade echt verzerrt. Wie hat man es eigentlich geschafft, dass die Nordiren erst gegen den Bodensatz der Uefa spielt und dann die ganzen Spitzenspiele bekommt? Während es zum 4. Mal seit der WM das Duell "Deutschland - Holland" gab... wollten die erst die Post Brexit Grenzsituation geklärt haben, bevor Fußballfans in dieses Land geschickt werden? Wenn ja, hat das nicht so ganz funktioniert... Vielleicht wollten sie Deutschland aber auch nur auf die "Nations League Gruppe B" vorbereiten und den anstehenden Abstieg deutlicher machen.
Aber selbst bei der extrem verzerrten Tabelle... Falls Deutschland in Belfast verliert (und das ist ja kein wesentlich größeres "Falls" als damals bei Südkorea...), liegt man 6 Punkte hinter den Noriren... und 3 Punkte hinter den Niederlanden, gegen die man souverän in der 91. Minute den direkten Vergleich abgegeben hat... Das ganze dann bei 3 noch ausstehenden Spielen... anders ausgedrückt: Selbst wenn man danach alles verliert, kann es sein, dass man in genau diesen Play-Offs landet. Und ja, theoretisch war das bei der Quali für 2008 auch der Fall, aber damals gab es auch deutlich weniger Teilnehmer.
Wenn ihr gedacht hat, Jogi Löw hätte mit dem WM Vorrundenaus und dem Abstieg aus der irrelevanten Nations League den absoluten Tiefpunkt erreicht... dass man sich vor einem Auswärtsspiel überhaupt Gedanken machen muss, ob man einen der 24 Plätze bei der EM erreicht...
Ernsthaft, Löw hat die Nationalmannschaft dermaßen souverän und schnell heruntergewirtschaftet, da sind selbst Sigmar Gabriel und Andrea Nahles beeindruckt.
Ich finde es vor allem fantastisch, wie selbstverständlich die Ansprüche runtergeschraubt werden. Auf Kicker.de fallen Sätze wie: "Die Partie in Belfast gegen ein angeschlagenes deutsches Team wirkt da schon wie die machbarste Aufgabe für die Auswahl". Warte was?
Und Oliver Bierhoff erkennt ganz sachlich an, dass man selber noch nicht wieder auf dem Weltklasse Niveau ist, welches der Gegner vom Freitag allerdings darstellt. Also... wieder darstellt, schließlich hat Holland die letzten beiden Turniere verpasst. Trotzdem haben sie Jogi Löws Elf anscheinend überholt. Obwohl die Holländer immer noch ein verdammt kleines Land mit wesentlich geringerer Auswahl sind.
Es kommt aber keine auf die Idee, dass die Holländer uns nur überholen konnten, weil wir einen absoluten Vollpfosten als Trainer haben. Also abgesehen davon, dass das hier immer (und auch nach dem WM Titel) behauptet worden ist... An der Stelle behalte ich wirklich gerne Recht...
Vor allem gibt es ja eher Rückschritte als eine wirklich Entwicklung. Dramatisiert durch die Personalien Mats Hummels und Timo Werner. Also lasst uns nochmal in der WM Narbe pulen: Damals kassierte man 4 Gegentore in 3 Spielen. 1 Konter gegen Mexiko, der gefühlt einzige Ballverlust von Toni Kroos gegen die Schweden, ein Stochertor gegen Südkorea und einen letzten Konter, als man selbst den Torwart nach vorne warf.
Sprich: Die Abwehrarbeit war genau genommen nur bedingt das Problem. Trotzdem wurde dann ein Mats Hummels im nach hinein aussortiert, obwohl sich alle sicher sind, dass das gerade der beste Deutsche Innenverteidiger ist... das gute alte Leischtungschprinzschip.
Das eigentliche Problem bei der WM war... das Marco Reus und Timo Werner anscheinend nicht zusammen spielen können. So konnte man trotz überragender Ballbesitzwerte die gegnerische Abwehr nicht aus hebeln.
15 Monate später hat Löw immer noch keinen Plan, wie er Werner, Reus und Leroy Sané zusammen in ein funktionierendes Offensivsystem steckt. Auch wenn man ihm Sanés Verletzung schlecht vorwerfen kann... dass er es eingangs mit einem verbrauchten Thomas Müller versucht hat, kann man ihm dagegen schon vorwerfen... Gerade der Leistungsabfall bei Werner ist auffällig.
Genau genommen war es nicht Löws Aufgabe sich eine zusätzliche Baustelle mit einer überforderten Innenverteidigung zu erstellen, sondern eine Lösung für das "Talentproblem" im Angriff zu finden. Und ja, die Zusammensetzung der offensiven Möglichkeiten ist suboptimal. Trotzdem wünscht man sich plötzlich die Stabile Verteidigung der Weltmeisterschaft zurück... wie hat Löw DAS geschafft?
In einem starken DFB würde es jetzt genau eine Ansage geben: Entweder du behebst das Problem in der Innenverteidigung, in dem du den einen wirklich guten Mann zurückholst, oder wir finden jemanden, der das macht. Die Ansage kann ja intern bleiben. Einem Matthias Sammer wäre so eine Ansage zuzutrauen. Aber wir haben uns ja derart naiv in die Abhängigkeit von Löw begeben, dass all die Leute, die seine Vorgesetzten sind, gleichzeitig den ganzen Weg gemeinsam gegangen und deswegen seine Freunde sind. Und Fritz Keller wird das einerseits nicht zum Teil seiner Antrittsrede machen und will andererseits bestimmt nicht, dass dann jemand den Namen "Christian Streich" in den Raum wirft.
So darf Löw völlig entspannt und ohne jegliche Widerworte die Ansprüche runterschrauben. Oder wie sein Partner in Crime Oliver Bierhoff das ausdrückt: "Ich glaube nicht, dass wir als Favorit zur EM 2020 fahren oder zum engsten Favoritenkreis gehören." Warte was?
Löw selber "plant" mit seinem Umbruch eine Heim-EM "auf dem Höhepunkt ihrer Karriere"... also beim über-übernächsten Turnier ist man laut Löw vielleicht wieder so weit um den Titel mitzuspielen... aber dann immerhin zu Hause... läuft bei ihm...
Vielleicht sollte man die Jungs mal an die dunkelste Phase der Deutschen Fußballgeschichte erinnern. Also das damals, als man wirkliche Gurken zur Nationalmannschaft geschickt haben. Damals, was rein von den Möglichkeiten der Mannschaft eigentlich kaum vermittelbar war, hieß es vor der EM immer "Deutschland ist eine Turniermannschaft, die werden sich während des Turniers steigern und wie immer mindestens im Halbfinale stehen. Das ist immer einer der Turnierfavoriten." Das haben auch all die Konkurrenten vor der EM so gesagt... wenn auch vielleicht nur aus Höflichkeit gegenüber den deutschen Medien, aber das war so der Standartsatz. Auch wenn der 2008 nur noch haltbar war, weil es dazwischen diese völlig absurde WM gab, bei der man genau das bewiesen hat und das Finale erreichte, obwohl man dort nichts verloren hatte.
Damals musste man nebenbei Leute wie Thomas Brdaric als Angreifer nominieren. Wir hatten da echt nichts. Jetzt hat man immer noch ein unfassbares Potenzial, welches aber einfach entweder ignoriert wird, weil es in Leverkusen spielt, oder nicht so sortiert wird, dass es abgerufen werden kann. Anstatt aber der Mann, der das zu verantworten hat, zu hinterfragen... darf genau der Mann die Ansprüche runterschrauben und wir nicken zustimmend.
Um das nochmal deutlich festzuhalten: Jogi Löw ist der erste Trainer, der bereits deutlich vor der EM sagen darf, dass man ja eh nicht zu den Favoriten gehört. Man fragt sich echt, was der sich eigentlich noch alles erlauben darf, bevor er hinterfragt wird...
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