Donnerstag, 8. August 2024

Herrenfußball vs Olympia: Teil 1: Der Umgang mit den Schiedsrichter

 Einer der faszinierenden Nebeneffekte bei Olympia ist ja, dass man den Sport, den man eigentlich verfolgt, wunderbar in Relationen zu anderen Sportarten auf absolutem Spitzenniveau setzen kann. Man kann sich dann informieren, wie woanders die Probleme, die man selbst hat, gelöst wurden. Und welche Auswirkungen diese Lösungsansätze auf das Geschehen auf den Plätzen haben. Deswegen gucke ich so gerne bei den anderen Mannschaftssportarten vorbei. Also abgesehen davon, dass ich einfach gerne Turniere in einem zeitlich begrenzten Rahmen mit K.O. Spielen gucke.

Natürlich werden sich die Offiziellen bei der Fifa nie damit beschäftigen. Die sind nur an der Gewinnmaximierung interessiert, werden sich also am ehesten mit Thomas Bach treffen und ihn fragen, wie er das Putin-Problem so elegant gelöst hat... Oder er fragt bei den Fechtern nach, wie die Kampfrichter die Kämpfe so effektiv manipulieren können, dass man die Sportart laut Meinung einiger Experten aus dem Programm nehmen sollte. An progressiven Lösungen zur Verbesserung des Spieles ist Infantino doch gar nicht interessiert.

Was mir als erstes aufgefallen ist: Die haben die Linienrichter beim Volleyball abgeschafft. Die Technologie ist so weit, dass der Schiedsrichter sofort ein Signal bekommt, wenn der Ball im Aus war. Und klar, das haben die theoretisch beim Fußball geklaut, wo die Torlinientechnoligie auch alles sofort und zweifelsfrei klärt. Aber da fällt einem auf, wie geil es wäre, wenn die halbautomatische Abseitserkennung in Echtzeit funktionieren würde. Also nur, weil beim Volleyball auffällt, wie viel Druck man aus dem Diskurs nimmt, wenn das sofort und objektiv geklärt wird.

Der wirklich spannende Teil bleiben aber die Challenges, die es praktisch in allen anderen Sportarten gibt... die aber im Fußball nicht umsetzbar sein soll. Warum auch immer. Bleiben wir beim Volleyball: Es war faszinierend, wie die Italienerinnen in ihrem Spiel bei einer verpassten Netzberührung der Serbinnen direkt aufschrien. Nur wurde nicht die Schiedsrichterin angeschrien, sondern sie drehten sich automatisch zu ihrem eigenen Coach. Der löste dann ruhig und sachlich die Challenge aus und die Italienerinnen bekamen ihren Punkt.
Beim Fußball wäre es bei einer vergleichbaren Szene zu einer Rudelbildung um den Mann in Schwarz gekommen, aber die Fehlentscheidung wäre bestehen geblieben...

Natürlich ist auch beim Volleyball nicht alles entspannt. Schließlich gab es im Spiel der Deutschen eine wohl eher fragwürdige Rote Karte, weil der Angreifer einen Gegner provokant angestarrt hat. Aber auch hier ist es faszinierend, dass die Proteste human ausfallen. Also verglichen mit einer krassen Fehlentscheidung beim Fußball, wo auch der Trainer direkt zum Schiri gerannt und den angeschrien hätte. Im Fußball wäre das Spiel minutenlang unterbrochen worden, im Volleyball wird das in unter 60 Sekunden geklärt und es geht weiter.

2 Beispiele für eine bessere Kommunikation gibt es beim Hockey. Fangen wir mit einer chinesischen Unsportlichkeit an, die zu einer Rudelbildung führte. Ja, so was passiert auch bei Olympia. Das Ergebnis: 2 Gelbe Karten. Was wahrscheinlich eine Fehlentscheidung ist, aber mir fehlt die Erfahrung, um im Hockey zu beurteilen, ob es für die Aktion der Chinesin normalerweise Rot gibt. Aber wie schnell sich die Rudelbildung auflöst. Die bestrafte Belgierin sagt dann ein "Ich habe meine Mitspielerin verteidigt"... und die Schiedsrichterin erklärt in aller Ruhe "I know, but you can not do it." Dann geht sie in aller Ruhe zu den Chinesinnen und lässt den Trainer übersetzen, warum und für wen es Gelb gibt. Das Eurosport-Video ist nebenbei gekürzt, die gesamte Kommunikation gibt es bei 1:39:00 im ReLive bei den Öffentlich Rechtlichen. Die gesamte Aktion von der Unsportlichkeit, über die Rudelbildung und die VAR Überprüfung, zur Bestrafung und Erklärung dauert ungefähr 3 Minuten. Man sieht nebenbei, wie unzufrieden die Kapitänin der Belgierinnen mit der Gelben Karte für die Chinesin ist. Aber sie murmelt ihre Kritik in sich hinein, anstatt sie der Schiedsrichterin ins Gesicht zu brüllen, wie das beim Fußball zum guten Ton gehört.

Das andere Beispiel gab es in der Schlussminute des Hockeyspiels Indien - Deutschland: Der Schiedsrichter sieht und bestraft einen technischen Fehler. Der Deutsche beantragt eine Challenge. Die Kommunikation zwischen VAR und Feldschiedsrichter via Funk wird live übertragen. Man erfährt sofort, was überprüft wird und erfährt transparent, wie die Entscheidung ausfällt. So nimmt man die Spannung aus solchen Situationen.

Beim Hockey merkt man, wie sehr es helfen kann, wenn die Kommunikation der Schiedsrichter mit den Spielern und dem VAR durchs Stadion und die Fernsehstationen transportiert wird. Man kann immer nachvollziehen, was überprüft wird und warum es zu welcher Entscheidung kam. Das ist eine Lektion, die der Fußball definitiv lernen sollte. Und wenn dann noch die Vereine selber entscheiden könnten, was genau überprüft werden soll, weil sie eine Challenge nehmen können...

Sind Challenges perfekt? Bestimmt nicht. Sowohl in der Halle, als auch beim Beachvolleyball wurden immer wieder Challenges genommen, wenn man spät im Satz noch eine offen hatte, um den Spielfluss zu unterbrechen und sich eine kleine, zusätzliche Auszeit zu nehmen und sich nochmal abzusprechen. Aber in Sportarten ohne herunterlaufende Uhr ist das ja kein wirkliches Problem. Außerdem unterbrechen die Fußballspieler und -trainer doch auch ständig den "Spielfluss", wenn sie zum Schiedsrichter rennen und die Schuld bei dem suchen. Zudem beweist die angesprochene Challenge beim Hockey, dass man, revolutionärere Gedanke, die Uhr auch einfach anhalten kann.
Wie geil wäre das eigentlich: Nettospielzeit ab der 70. Minute. Also ab dem Moment, wo das Zeitspiel meistens beginnt. Der 4. Offizielle nimmt die Zeit und funkt sie überall durch. Die Nachspielzeit durch vorherige Verletzungen, Tore und Wechsel wird auch schon in der 70. festgelegt. Sobald das Spiel danach unterbrochen ist, wird die Uhr angehalten. Dieses sich ewig Zeit lassen beim Einwurf oder Abstoß wird komplett abgeschafft. Andere Sportarten können das. Der Fußball ist die einzige Sportart, in der dieses extreme Zeitschinden einfach dazu gehört.

Es ist allgemein faszinierend, wie viel respektvoller der Umgang oftmals ist. Also sowohl mit Gegnern, als auch mit den Schiedsrichtern. Hier muss man sofort erwähnen, dass die neue "nennt sie nicht Mecker-Regel, auch Kapitäne dürfen nicht meckern" Idee ausschließlich für den Herrenbereich eingeführt wurde. Denn bei den Frauen brauchte man sie normalerweise nicht. Hier mal ein praktisches Beispiel: Beim Halbfinale USA - Deutschland gab es nach der 53. und in der 55. Minute 2 Fehlentscheidungen. Zunächst wurde Sidney Lohmann ein harmloses Einsteigen im Mittelkreis zurückgepfiffen. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Lohmann flucht laut und sichtbar, aber eben nicht zur Schiedsrichterin. Der Eckball in der 55. Minute war deutlicher. Und dann... laufen Sidney Lohmann und Nicole Anyomi zur Offiziellen... und es passiert nichts.
Aber es ist eben auch ein merklicher Unterschied, ob so was ein Mal im Spiel passiert, oder bei jeder Kleinigkeit. Und beim Frauenfußball passierte es eben nur ein Mal. Dann muss man auch nicht sofort Gelb zeigen.

Kurzer Einschub hier, dass die olympischen Spiele für die Frauennationalmannschaft bisher extrem unglücklich gelaufen sind. Zunächst liefern sie im Viertelfinale, wenn gerade alle hingucken, ihre bestmögliche Imitation des langweiligen Achtelfinales zwischen Slowenien und Portugal ab. Wie schlimm muss dieses Spiel gewesen sein? Deutsche regen sich plötzlich darüber auf, dass zu viel Fußball im Fernsehen gezeigt wird! Dann entscheidet Felicitas Rauch sich im wichtigsten Spiel dafür, den einen Fehler, den Philipp Lahm je gemacht hat, nachzustellen. Es ist an sich nicht verkehrt, sich als Linksverteidigerin an einem jungen Lahm zu orientieren, aber ich muss doch nicht an dem 1:0 der Spanier...
Nebenbei merkte man auch deutlich, dass der olympische Spielplan wirklich hart ist. Also das Niveau im Halbfinale war deutlich niedriger als in der Vorrunde. Und das von beiden Mannschaften. Man merkte aber auch, dass es das 5. Spiel in 13 Tagen war und dass beide in der Runde davor in die Verlängerung mussten. Nur so als Vergleich: Bei der EM hatten die Spanier 5 Spiele in 20 Tagen auf dem Spielplan.

Aber eine Angelique Kerber wird darüber nur lachen, schließlich hatte die auch ein absurdes Mammutprogramm hinter sich... und ihr letztes Spiel gegen die spätere Olympiasiegerin Zheng Qinwen dauerte über 3 Stunden. Zheng gewann 2 Tage später das nächste Duell. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, die Spiele doch auf 3 Wochen zu strecken, damit die Athlet*innen wirklich mit genügend Pausen absolute Spitzenleistungen abrufen können.

Zurück zum Umgang miteinander: Ein weiteres konkretes Beispiel: Martas Platzverweis im dritten Gruppenspiel. Extrem unglücklich, weil es ja eher ungeschickt als böswillig war. Extrem emotional, weil es ja durchaus Martas letzte Aktion. Und natürlich gibt es danach eine Rudelbilldung... um die vom Platz geschickte Marta und die am Boden liegende Olga. Die Schiedsrichterin wird aber fast komplett in Ruhe gelassen. Nur eine einzige Brasilianerin geht ganz kurz zu ihr. Wenn man bedenkt, dass sie da gerade die Karriere der ungekrönten Königin beendet haben könnte... stellt euch vor, wie die Brasilianer auf den Schiri zustürmen würden, wenn der einen Neymar vom Platz stellt. Egal ob das völlig zurecht geschehen ist.

Die Olympischen Spiele zeigen, dass man Charakter und Emotionen zeigen kann, ohne dass man auf den Schiedsrichter zustürmen muss. Sie beweisen auch, dass dieser Umgang miteinander auch für die Zuschauer wesentlich angenehmer ist. Aber im Fußball geht das natürlich nicht, weil der Druck so viel extremer ist. Nebenbei beweisen die Olympischen Spiele, dass dieser extreme Druck im Fußball eigentlich nur ein Mythos ist. Aber damit beschäftigen wir uns morgen.

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