Das wird der schönste Feiertag des Sommers: ausverkauftes Haus in einem legendären Stadion. Dazu mit der Ansetzung England - Deutschland einen echten Klassiker im Finale. Da kann man dann doch sogar die Hackfresse von Oliver Bierhoff ertragen, die bei der Gelegenheit garantiert auch einmal gezeigt wird... dabei habe ich mich doch auf dieses Turnier gefreut, weil man auf genau diese Gestalten verzichten konnte. Naja, immerhin wird Boris Johnson nicht gezeigt werden.
Gefühlt ist ja ganz England eingeladen... alle außer Gareth Southgate... Der hat garantiert Hausverbot. Ich stelle mir ja gerade vor, wie Southgate ein ähnlich motivierendes Video an die englische Nationalmannschaft schicken will, wie Jürgen Klopp das gerade gemacht hat... nur um ein "Wir wollen gar nicht wissen, wie man ein wichtiges Spiel in diesem Stadion nach Elfmeterschießen verliert" zurückzubekommen...
Falls jemand England - Schweden nicht gesehen hat, muss man dringend erwähnen, dass dieses Spiel an sich kein 4:0 war. Also so viel schwächer waren die Schwedinnen einfach nicht. Die stellten gerade in der Anfangsphase wirklich fiese Fragen und hätten locker in Führung gehen können. Aber die Engländerinnen sind halt einfach mal in der Lage sich in einen Rausch zu spielen und dann gibt es am Ende halt so ein drastisches Ergebnis bei raus.
Bei Deutschland - Frankreich wurde mir dann wieder bewusst, dass das Spielniveau gar nicht so entscheidend bei der Frage ist, ob man durch so ein Spiel unterhalten wird. Also ich fand es ganz praktisch spannender als die letzten Champions League Finale. Einfach nur, weil mir gerade in diesem Sommer echt egal war, wer da gewinnt. Und um das explizit zu sagen: Das bedeutet nicht, dass das Champions League Finale schlecht war.
Aber unterhaltsamer Fußball definiert sich im Wesentlichen durch 2 Faktoren: 1.) Man muss eine Mannschaft sympathischer finden als die andere und ihr deswegen den Sieg gönnen. Dabei kann es auch einfach sein, dass eine der beiden Mannschaften der Hamburger SV in der Relegation ist und man ausschließlich mitfiebert, weil man die scheitern sehen will.
2.) Man braucht 2 Mannschaften, die sich auf Augenhöhe bewegen und sich ein gleichwertiges Duell liefern. Also man kann die Bayern ja eventuell sympathisch finden, aber die Spiele in der Bundesliga werden dadurch dann nicht spannend, wenn es nur darum geht, ob die Bayern das verkacken oder nicht... und nicht, ob der Gegner sie wirklich fordert.
Wenn beide Faktoren gegeben sind, kann jedes Fußballspiel der Welt plötzlich zur hoch spannenden Angelegenheit werden... wie jedes Wochenende tausende Eltern am Spielfeldrand in der Kreisklasse beweisen, das sind ja alles keine neuen Erkenntnisse.
Deutschland - Frankreich hat beides geliefert. Auch wenn ich natürlich für Frankreich war. Die Unterschiede in Zweikampfquote, Passquote und Ballbesitz waren minimal. Die ganz großen heraus gespielten Chancen waren gerade in Halbzeit 1 Mangelware. Deutschland traf wie immer mit dem ersten schnell vorgetragenen Angriff, Frankreich traf technisch gesehen, ohne aufs Tor zu schießen. Und gerade als es so aussah, als würden die Französinnen sich ein Übergewicht (Bodyshaming? Anyone?) entwickeln, entschied das Durchsetzungsvermögen von Alexandra Popp das Spiel.
Aber gut, Spielberichte könnt ihr ja auch woanders lesen. Kommen wir zu den Äpfeln und den Birnen. Was mir in den letzten Tagen häufiger aufgefallen sind (und ich mache es ja auch selber), sind ja Vergleiche zu den Männern. Also bei Ellen White wurde schon häufiger erwähnt, dass sie jetzt in Wembley mit Wayne Rooney gleichziehen kann und dann mit 51 Toren englischer Rekordtorschütze wird. Und da kommen dann alle gleich mit "Das kann man doch nicht vergleichen, die spielt ja gegen viel schlechtere Gegnerinnen. Da hätte Rooney doch viel mehr Tore gemacht!"
Und dann kommt halt dieses deutsche Totschlagargument: Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Damit ist die Diskussion dann immer beendet. Wobei dies totaler Schwachsinn ist: Natürlich kann ich Äpfel mit Birnen vergleichen. Das ergibt wahrscheinlich sogar mehr Sinn, als Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen. Denn Vergleichen bedeutet ja nicht mehr als "Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausstellen."
Wenn White jetzt tatsächlich das 51. Tor am Sonntag erzielt, wird sie dadurch nicht genauso gut oder besser als Rooney, aber man kann erkennen, dass sie für diese Mannschaft dieselbe Bedeutung hat, wie Rooney. Und da der Mann da natürlich der bekanntere ist, kann man diesen Vergleich nutzen, um auch uns Laien dies zu verdeutlichen. Und dann versteht man auch, warum White am Sonntag wieder in der Startelf stehen wird, obwohl Alessia Russo als Einwechselspielerin schon 4 Tore erzielt hat und wesentlich besser in Form ist. Denn eine Rooney setzt man halt nicht einfach auf die Bank.
Um ein paar kurze historische Beispiele zu bringen: Als Marta bei der letzten WM den Torrekord von Mirsolav Klose brechen konnte, verdeutlichte das nur, wie unfassbar gute die bei diesem Turnier über die Jahre war. Und wie unfassbar es ist, dass sie es nie gewinnen konnte... Wobei man an der Stelle auch mal erwähnen muss, dass da auch das "Aber die wesentlich schlechteren Gegner!" Argument absurd wird. Also niemand hat jemals Klose den Vorwurf gemacht, dass er 3 seiner 15 Tore gegen völlig überforderte Saudis im ersten Gruppenspiel erzielt hat. Eine Mannschaft, gegen die Marta natürlich nicht treffen könnte, weil die ihr den Kopf abhacken würden, wenn sie in den Strafraum eindringt.
Andere lustige Statistik: Die Deutschen Frauen holten zwischen 2001 und 2009 alle Europa- und Weltmeistertitel. 5 Turniere in Folge. Das ist eine noch krassere Bilanz, als die Spanier von 2008 bis 2012 erringen konnten, da waren es "nur" 3 Turniere in Folge. Die meisten von uns haben die 5 Turniere der Frauen, wenn überhaupt, nur am Rande mitbekommen. Aber an die Dominanz der Spanier können wir uns alle noch erinnern, da haben wir schließlich alle nach dem einen Patzer in der Karriere von Philipp Lahm geweint. Die einen vor Freude, der Rest... Wir können uns noch daran erinnern, wie unfassbar nervig das war ständig an diesen Spaniern zu scheitern, obwohl es doch immer so knapp wirkte. Diesen Vergleich kann man jetzt nutzen, um zu verdeutlichen, wie unfassbar dominant unsere Damen zu Beginn dieses Jahrtausends waren. Und dann kann man auch festhalten, dass dieser Vorsprung, den man zumindest in Europa jahrzehntelang hatte, mittlerweile aufgebraucht ist, weil man seit 2009 "nur" 1 von 5 Turnieren gewinnen konnte.
Und dann kommt der völlig absurde Fakt dazu, dass man gerade in dieser "Schwächephase" erstmals Olympiasieger wurde, was bei den Frauen halt ein wesentlich relevanteres Turnier ist, als bei den Männern. Fußball ist halt manchmal bekloppt. Aber durch die Vergleiche schafft man Kontext und erläutert Narrative. Genau dafür sollten die da sein.
Kommen wir also zu dem für mich spannendsten Vergleich bei diesem Turnier: Alexandra Popp und Beth Mead haben vor dem Finale bereits 6 Tore erzielt. Das sind mehr, als Patrick Schick und Cristiano Ronaldo im gesamten Turnier!!! Und die haben ja noch ein Spiel vor sich!
Diesen Vergleich kann man wunderbar nutzen, um die Unterschiede der Turniere zu verdeutlichen. Es bleibt festzuhalten, dass sowohl Schick als auch Ronaldo bereits vor dem Halbfinale abreisen mussten. Genauso wie Lukaku, Benzema und Forsberg. Also 5 der 6 Angreifer, die 4 Tore oder mehr erzielt haben. Damit stellt man einfach mal fest, dass dies halt nicht das Turnier der Offensivspieler war. Und dann mussten sich die Jungs von der UEFA auf ein Mal einen Spieler des Turniers suchen. Ähm... also... Gianluigi Donnaruma hat 2 Elfmeter gehalten!!! Nehmen wir den! Und man muss dabei zwingend festhalten, dass Donnaruma keine Oliver Kahn Imitation abgeliefert hat und die Mannschaft, wie Kahn halt 2002, eigenhändig im Turnier gehalten hat. Aber von den Finalteilnehmern war er halt der Auffälligste.
Der Optimist sagt da halt, dass die EM durch taktisch disziplinierte Mannschaftsleistungen geprägt wurden... Der Pessimist nennt das langweilig. Gerade die letzten 3 Verlängerungen waren hauptsächlich langweilig.
Diesen Sommer machen Popp und Mead untereinander aus, wer Spielerin des Turniers wird. 2 Offensivspielerinnen, die für Kaltschnäuzigkeit und Durchsetzungsvermögen stehen. Genau das, was den Schwedinnen und Französinnen gefehlt hat. Man konnte ohne so eine Spielerin 2021 Europameister werden. Dieses Jahr hat man dann am Ende keine Chance.
An der Stelle muss man nochmal kurz einschieben, wie unfassbar Schade es ist, dass sich Marie-Antoinette Katoto das Kreuzband gerissen hat. Die hätte sich als 3. Persönlichkeit genau da einreihen können.
Damit hat dieses Turnier genau das, was im letzten Sommer gefehlt hat: 2 herausragende Persönlichkeiten, die sich jetzt auch noch im direkten Duell gegenüberstehen. So wie Ronaldo und Kahn 2002. Oder Ronaldo und Zidane 1998. Oder Modric und Griezman 2018.
Natürlich sind solche Narrative immer grobe Vereinfachungen. Aber sie sind halt trotzdem großartige Werkzeuge, um die Geschichte so eines Turniers zu erzählen. Und am Ende ist gerade bei den Turnieren im Sommer die erzählte Geschichte wichtiger als die absolute Qualität auf dem Platz.
Und das Finalduell Russo gegen Popp ist eine großartige Geschichte. Als letzter Vergleich und finale Prognose: Im Gegensatz zum letzten Finale in Wembley vor knapp 12 Monaten wird diesmal nicht der Ängstliche verlieren, sondern die Mutige gewinnen. Und dann kann man hinterher auch einfach mal feststellen, dass dies das unterhaltsamere Turnier war...
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