Samstag, 30. Dezember 2023

Die "Passives Abseits Albumcharts 2023"

 Mit genau so viel Tradition, wie Arminia Bielefeld... Wie immer gilt: Die Musik muss nicht zwingen dieses Jahr rausgekommen sein, sondern ich muss sie dieses Jahr entdeckt haben. Und ja, ich habe dieses Jahr verdammt viel Musik entdeckt

Platz 36: Peter Fox - Love Songs: Peter Fox ist einer der großartigsten Musiker des Landes. Jemand, der seit 20 Jahren Songs für den Dancefloor schreibt. Es scheint anscheinend irgendwo die Vorgabe zu geben, dass man als DJ zwischen 0 und 2 Uhr "Alles Neu" spielen MUSS, weil ich das Ding dieses Jahr sogar auf einem Technofloor gehört habe. Aber sein wir mal ganz ehrlich: Er ist ein beschissener Lyriker. Weil er die Stimme halt auch als Instrument versteht. Deswegen verwirrt es mich auch immer, wenn Leute nach Jahren noch versteckte Bedeutungen entdecken wollen. Fürs neue Album hat er sich dann Hilfe mit ins Boot geholt. Was kommt dabei raus? Nun ja... "Bin innen gut, Wie Winnetou, Schicke euch Bisous, From the Drak Side of the Moon". Eine brillante Zeile, wenn Peter Fox sie singt. Aber alle anderen dürften das nicht.

Platz 35: Andre 3000 - New Blue Sun: Ich weiß gar nicht, was alle haben, das Ding kommt mit einer Beyoncé-Referenz. Das muss großartig sein. Und wer ein neues Rapalbum vom ehemaligen Outkast-Mitglied erwartet hat, hat die letzten 10 Jahre nicht aufgepasst. Der Mann macht, was ihn glücklich macht und das bedeutet halt, dass er Flöte spielt. Und demnächst auf allen Rapalben der USA auftauchen wird, weil alle das jetzt samplen...

Platz 34: Dissy - Schatten Tape: Ok, ganz ehrlich: Ich hab das Tape bisher 3 Mal gehört. Es ist viel zu früh, es endgültig einzuordnen, aber es steht hier, weil ich die Schallplatte schon habe, obwohl das Ding offiziell erst am 9. Februar 2024 rauskommt. PassivesAbseitsleserwissenesfrüher Der Begriff "Tape" ist schon richtig gewählt, weil verdammt viele verdammt kurze Skizzen und ein Freestyle drauf ist. Dissy macht den Emorap, den ich vor Ewigkeiten bei Atmosphere so geliebt habe. Also wenn er nicht gerade in die High Society abbiegt. Demonstrativ wird hier Schatten Oo verlinkt. Mehr als 13.000 Plays hätte das verdient.

Platz 33: Enno Bunger - Was berührt, das bleibt: Apropos "Noch viel zu selten gehört, um es richtig einzuordnen": Das Album ist mit kurz vor Weihnachten zugelaufen. Es ist aber von 2019, da wird es dann langsam schwierig es nächstes Jahr noch reinzuschieben. Vor allem, weil der im nächsten Jahr mit neuem Album auf Tour geht. "Ponyhof" ist jedenfalls nach dem 2. hören (ein Mal Live, ein Mal auf Platte) ein richtig geiler Song.

Platz 32: Feine Sahne Fischfilet - Alles glänzt: Vielleicht liegt es daran, dass ich immer Ewigkeiten brauche, um Feine Sahne Alben zu fühlen. Oder es liegt daran, dass halt 2 Mann die Band verlassen haben. Aber ich feiere die "alten Feine Sahne Sachen" definitiv mehr. Aber mit "Wenn wir uns sehen" beweist Monchi, dass er halt immer noch diese emotionalen Übersongs schreiben kann.

Platz 31: Bastido - Alba: Das Album wurde mir in Hamburg im Bus in die Hand gedrückt, weil mein Bruder dem Plattenschef seinen Weg zum Hotel erklärt hat. Manchmal muss man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Es ist ein wunderbar verspieltes Jazz Album, welches ich das rausgegriffen habe. Jetzt muss ich halt auch die Homepage von dem Label verlinken.

Platz 30: Shejust_left - Sorry not Sorry: Vielleicht litt ich einfach nur unter zu starken Entzugserscheinungen. Aber die 4 Damen haben halt das erste Konzert nach dem ersten Lockdown gespielt. Ich bin da einfach nur hin, weil sie halt im Rahmen einer politischen Veranstaltung schon wieder spielen durften. Seitdem habe ich die auf dem Radar und mich dementsprechend auch auf das Debüt Album gefreut. Also auf dem "Ich kaufe als 3. die Vinyl" Niveau. Die Musik läuft unter "FreebeatRappjazzAmbientpop". Ich wüsste auch nicht, wie man das besser beschreiben sollte. Es wird viel mit Geige und Effektgeräten experimentiert.  Dazu kommt dann ein Kontrabass und ein Schlagzeug. Darüber wird dann im wahrsten Sinne des Wortes "Sprechgesang" gelegt und schon hat man den einzigartigen Klangcocktail. Muss man gehört haben.

Platz 29: Ami Warning - Kurz vorm Ende der Welt: Wo wir schon beim Nachtragen sind: Eine Platte aus dem Jahr 2021. Und aus der Kategorie: So gut, dass ich schon nach der Vorband kein Geld mehr habe und mir bei den Kollegen hinterher was leihen muss. Und ja, ich bin ein einfach gestrickter Mensch: Eine Akustikgitarre, eine Soul-Stimme und Live-Gesang ist schon alles, was ich brauche. Der beste Song hat wie so häufig den Titel des Albums inne.

Platz 28: Cherise - Calling: Wo wir schon bei dem Konzept sind: Deswegen bin ich beim Reeperbahn Festival so gerne im Imperial Theater. Also abgesehen davon, dass so ein gepolsterter Sitzplatz nach 8 Stunden Live Musik auch so seinen Charm hat. Aber die buchen da jedes Jahr genau das "Sängerin mit Gitarre" Line-up. Und da entdeckt man immer richtig guten Scheiß. Das Beste von diesem Festival Teil war halt Calling. Durch das Album führen uns Aufnahmen der während der Pandemie verstorbenen Großmutter. Getragen wird es dann durch die junge Jazzstimme.

Platz 27: Klan - jaaaaaaaaaaaaaaaa!: Mit nachgezählten As... Die beiden Brüder habe ich ja auf dem Radar, seit dem ich sie als Vorband von der großartigen Fiva gesehen habe. Das war vor ihrer Debüt EP. Bisher haben die immer seichte Popmusik gemacht, mit denen man bei den Clueso-Festspielen gewinnen kann. Das neue Album kommt dann plötzlich mit verdammt viel Inhalt, womit ich nicht gerechnet hätte. "Geflickt" kommt mit der 2. Ami Warning Referenz und es geht um unsere mentale Gesundheit. "Wenn ich du wär" ist all diesen wichtigen Menschen, ohne die wir auch auskommen würden, gewidmet... hat aber eine wunderbare Pointe am Ende. "Linie 72" ist ein schöner Trennungssong mit Antje Schomaker als Gast.

Platz 26: Macie Stewart - Mouthfull of Glass: Handgezählte 13 Gäste waren auf dem Konzert, um die junge Amerikanerin zu sehen. Die haben 68 Euro versoffen. Das Trinkgeld hat offensichtlich nicht gereicht, um die Schallplatte zu finanzieren... aber glücklicherweise hatte ich noch was vom Vortag dabei und konnte trotzdem zuschlagen. Was auch nur belegt, dass sich die Qualität von Musik nicht unbedingt in Besucherzahlen abzählen lässt. Macie Stewart ist eine dieser jungen Jazzmusikerinnen, die mit Geige, Gitarre und Looper Flächen erschafft. Nebenbei frage ich mich an der Stelle, warum Geigen als einziges Instrument fast ausschließlich von Frauen gespielt wird, der Bass und das Schlagzeug aber nie?

Platz 25: Cludy June - 21st Century Princess: Ist das nur einfache Pop Musik? Bestimmt. Aber halt mit klarer, feministischer Kante. Und ich habe einfach ein Mal zu oft mit "That's sounds like a you problem" reagiert, wenn irgendjemand mit irgendwelchen Blödsinn auf mich zu kam, um die EP nicht zu erwähnen. Deswegen muss die EP auch auf diese Liste.

Platz 24: The toten Crackhuren im Kofferraum - Gefühle: Blond für Arme? Gerade wo die mittlerweile auch ihre feministische und politische Haltung gefunden haben, stimmt das ganz bestimmt. Und dass der beste Part auf "Bau mir nen Schrank" von Blond kommt, ergibt dann auch Sinn. Aber es gibt halt auch wirklich schlimmeres. Oh und 20 Jahre nach Supershirt haben die auch erkannt, was wir schon immer wussten: Punk ist, was du draus machst.

Platz 23: Tequila and the Sunrise Gang - Home: Ein hoffentlich letztes Fuck You! der Covid Pandemie. Denn die Alben dieser Band kauft man am besten föllig durchgeschwitzt nach derem Konzert und genau das ging ja 2 Jahre lang nicht. Weil man ja nur auf Livekonzerten seine "Chosen Family" findet. Jetzt ist es endlich angekommen und es gibt wieder brachialen Sing Along Ska. 

Platz 22: Antje Schomaker - Snacks: Endlich zurück aus der Vertragshölle und damit endlich mit neuen Album am Start. Das hat ja nur 5 Jahre gedauert. Das Album wirkt auf den ersten Blick harmloser als ihr Debüt. Allerdings kann das auch noch der täuschende erste Blick sein. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, mal ein harmloses Pop-Album zu hören. Bonuspunkte gibt es für den Leuchtturm im "Irgendwohin" Video. Der kommt mir irgendwie bekannt vor. 

Platz 21: Chloe - In Pieces: Sie haben es doch getan. Die designierten Destiny's Child Nachfolgerinnen haben sich getrennt und machen jetzt Soloprojekte. Halle gönnte sich direkt die volle Dosis Rassismus als Arielle die Meerjungfrau. Und eine EP, die morgen rauskommen muss. Chloe brachte ein Album raus, dem irgendwie das gewisse Etwas fehlt. Es fühlt sic halles etwas gradliniger an, als die gemeinsamen Songs. Und ein Chris Brown Feature hätte ich definitiv nicht gebraucht. Aber je häufiger ich das Album gehört habe, um so besser ging es ins Ohr. Und jeder Missy Elliot Song ist ein Gütesiegel. "Told Ya."

Platz 20: Joy Denalane - Willpower: Es gibt wenig Neues aus dem Hause Denalane-Herre: Joy ist immer noch die beste Gesangsstimme des Landes. Auch live beweist die Frau, dass sie eigentlich auf viel größeren Bühnen als im UT Connewitz spielen sollte. (Nichts gegen das UT Connewitz, geile Location. Und die Pfandmarken passen in die Einkaufswagen.) Der ganz große kommerzielle Erfolg wird ihr aber weiterhin versagt bleiben. Obwohl sie die einzige Deutsche ist, die Ghostface Killah als Featuregast bekommt

Platz 19: Nura - Periodt: Wie immer gilt bei Nura die Regel: Die Grundhaltung ist wichtiger, als die einzelnen Songs. Also es gab ja zwichen Tic Tac Toe 1997 (die aber irgendwie auch nie wirlich in die Szene gehörten...) und SXTN im Jahr 2014 einfach keine lauten, selbstbewussten und asozialen Frauen im Hip Hop. Was auch bedeutet, dass mehrere Generationen an heranwachsenden Frauen ohne entsprechende Vorbilder auskommen musste. Was gerade dann problematisch ist, wenn diese Szene seit spätestens 2002 laut, asozial und ziemlich sexistisch ist. Und natürlich gab es Frauenrap, aber Fiva und Sookee haben halt immer eher Studentenrap gemacht. Die Haltung, die Nura wie keine 2. verkörpert, ist also absolut unterstützenswert... obwohl sie technisch gesehen keine gute Rapperin ist. Aber da sie mittlerweile häufiger singt, als rappt, ist das auch gar nicht das ganz große Problem. Am besten trifft sie das bei "Eine gute Frau."

Platz 18: Umme Block - State of Limbo: Der Aufwand, den die 2 Frauen betreiben, ist schon ein bischen Wahnsinn. Also seine Liveshow um eine komplette Leinwandpräsentation aufzubauen, um dann vor 100 Leuten zu spielen, ist schon eine Ansage. Und auch das Album selber muss man eigentlich am Stück hören. Allein schon wegen der nahtlosen Übergänge zwischen den einzelnen Stücken. Es ist eines dieser "Während der Pandemie war alles in der Schwebe" Album, deswegen halt auch "State of Limbo" Das Ziel war aber trotzdem, oder gerade deswegen, etwas optimistisches und aufbauendes zu erschaffen. Das ist ihnen gelungen. Auch wenn es wahrscheinlich alle verwirrt, warum hier auf ein Mal ein Electro Album auftaucht...

Platz 17: Wolf & Moon - To get lost: Oder ganz korrekt: Follow the sings, into the dark, to get lost. Das ist der Titel der Albumtriologie, die in dem Song "The Traveller" endet. Und wo die beiden jetzt Eltern geworden sind, wohl auch endgültig endet. Denn einfach mal mit dem Zelt nach Schweden zu reisen um dort ein Album zu schreiben, wird jetzt nicht mehr so leicht möglich sein. Das Reisen war dabei immer das Grundthema der Musik und der Band. Dazu geben die sich richtig viel Mühe mit ihren Videos, die von viel zu wenigen gesehen werden. Offiziell heißt das "Dreamfolk". Also einerseits gibt es Dennis an der ganz klassischen Folkgitarre, andererseits gibt es Stefanie am Synthesizer und den Effektgeräten... die dann auch haufenweise auf die Stimmen gelegt werden. Heraus kommt dabei ein extrem symapthisches Projekt, dass hoffentlich zeitnah das Problem mit ihrem Booker gelöst bekommt...

Platz 16: Storry - CHIII: The Come Up: Donnerstag, der 21. September, 14 Uhr im Häkken in Hamburg. Mein Bruder fragt mich, ob ich wirklich den Rest des Tages die Schallplatte mit mir rumtragen will. Ich halte das für eine gute Idee. Ist es auch. Denn Storry ist eine dieser Künstlerinnen, für die ich das Reeperbahn Festival liebe. Die junge Kanadierin hat Operngesang studiert, wurde von ihrem Freund in die Prostitution verkauft, hoffte dann, dass es im Musikgeschäft besser wird... was es aber nicht wirklich wurde, weil es da auch nur patriachalen Scheiß gibt. "Bow Down". Und darüber macht die dann halt Musik. Mit 3 Konzeptalben, von denen das erste (als, natürlich, drittes Kapitel) schon fertig ist. Dabei geht es dann um den weniger schlimmen Teil: Dem ankommen im Musikgeschäft. All das nur, um ihrer Mutter a "House & a Range" kaufen zu können. Die restlichen 2 Kapitel sollen schon fertig sein und ich hoffe, dass ich dann keinen Versand aus Kanada bezahlen muss... Das ist sehr persönliche und sehr finstere Musik.

Platz 15: Catt - Change: Catt wird endlich erwachsen. Also groß. Also so groß, dass sie ihre Songs bewusst für eine Band geschrieben und nicht mehr für Solo-Auftritte mit Looper konzipiert sind. Und ja, so viel, wie man auf "Why, Why" hört: Das kann sie im Wesentlichen alles alleine. Weil sie halt auch auf der Bühne 6 unterschiedliche Instrumente beherrscht. Geblieben ist das großartige Songwriting. Um nicht immer nur den Albumtitel zu verlinken, sei hier auf "Honesty Lies" verwiesen und empfohlen. Oh und es gibt das gesamte Album auf Youtube, ich erwähne es nur. 

Platz 14: Freekind. - Since always and forever: Freekind. sind Nina am Schlagzeug und Sara an den Tasten und am Micro. Zusammen machen sie verspielten Rap mit englischen Texten. In diesen Texten geht es dann häufig um Depressionen und Verwundbarkeit. Aber auch um den Weg raus aus den Depressionen in "Found love". Und am Ende steht die wichtigste Botschaft: Be Kind to Yourself!

Platz 13: 100 Kilo Herz - Zurück nach Hause. Und "Akustisch im Gewandhaus". Eigentlich gilt hier ja die Regel: Keine "Livealben". Deswegen fehlt auch das Shadow Kingdom Album von Bob Dylan, obwohl es meiner Meinung nach das Beste ist, was Dylan seit der "Modern Times" und "Together through live" Phase gemacht hat. Für Akustisch im Gewandhaus mache ich eine Ausnahme, weil ich auf der Platte drauf bin. Also als Teil des "Alerta! Alerta! Antifaschista!" Chors. Das könnte der beste Live Moment der 2 Pandemiejahre gewesen sein. Nut Ätna in der Elbphilarmonie kommt daran.
Dass ich jetzt aber so viel über das Album rede, welches hier gar nicht auf der Liste ist, zeigt halt auch das Grundproblem von "Zurück nach Hause": Es ist verdammt gut, aber das alte Zeug ist einfach besser. 100 Kilo Herz manifestiert halt ihre Position im politischen Punkrock Genre. Direkt neben Feine Sahne Fischfilet. Es ist wichtig, dass es das gibt. Es ist halt keine Zeit für Angst. Die Texte sind auch immer noch unfassbar gut. Aber dieser Reiz des Neuen ist ein wenig weg. Kann sein, dass Rodi das genau so sieht, und er deswegen seine Abschiedstour gegeben hat. 

Platz 12: Nina Chuba - Glass: Wenn kaum eine Party ohne ein "Wildberry Lillet" auskommt, dann muss das Album auch in diese Charts. Das ist vielleicht nen bisschen drastisch, ich kann aber nicht anders. Sicherlich, das ist sehr poppiger Rap. Aber es wirkt auch alles so leicht, dass es einfach Spaß macht. Random Fun Fact: Die Schallplatte kommt als Special DJ Edition. Also die muss man auf 33 RPM abspielen um den Sound zu genießen, aber auf 45 RPM abspielen, damit der Aufdruck richtig wirkt. Ist aber eine Doppelvinyl, man braucht also "nur" 2 Plattenspieler und nicht 2 Exemplare für den Effekt.

Platz 11: Das Lumpenpack - Wach!: Die beschreiben sich ja am besten selber: "Zu alt für Pop, zu schlecht für Jazz, es bleibt der Rock! Gibt schlimmeres!"... und "Nur ein sehr bärtiger Typ schreibt in seinem Blog davon". Kann ich bestätigen. Die haben jedenfalls endgültig den Sprung von "Slammern und Komikern" zu "Rockmusikern mit leicht politischer Note" genommen. Also quasi das, was Die Ärzte vor 25 Jahren waren. Das ist nicht die schlechteste Referenz. Und so eine Leber hat schonmal ein Loblied verdient.

Platz 10: Arlo Parks - My Soft Machine: Wie immer reicht es bei Arlo Parks nicht für Platz 1 der britischen Sängerinnen. Die Konkurrenz ist halt auch echt zu groß. Aber es war schon schön, die dieses Jahr auf der großen Bühne zu sehen. Arlo Parks setzt halt den Standard für die britische R'n'B und Songwriter-Szene. Die macht weiterhin ihr Ding und schreibt ihre persönlichen Texte. Nur dass es mittlerweile um die Probleme als 23-Jährige geht. "Impurites" trifft es da am besten.

Platz 9: Fatoni - Wunderbare Welt: Der Traum das Fatoni mit Juse Ju und Edgar Wasser eine Crew gründen und zum offiziellen Blumentopf-Nachfolger aufsteigen, wird sich wohl nie erfüllen. Das ist ein bissche Schade, denn die sind zusammen besser, als alleine. Die könnten ihre Filler einfach durch Crew-Songs ersetzen und die persönlichen Banger auf den Alben lassen. Und Edgar müsste endlich mal seinen Stock aus dem Arsch bekommen... Andererseits gibt es dafür dann mehr Solo-Alben. Als Kind der 90er ist "Mid 90s" natürlich ein Hit. Und damit hat man auch Ewigkeiten auf das Alfred J. Kwak Sample gewartet. "Mit dem Taxi in die Therapie" ist eine ehrliche Autobiographie und kommt mit freundlichen Gruß an "alle, die noch Tickets oder Platten kaufen". Und "Danke, dass du mich verlassen hast" lässt sogar Danger Dan gut aussehen. Alles in allem ist das ein sehr gutes, sehr erwachsenes Rap Album. Es ist einfach schön, dass diese "Szene" mittlerweile so groß geworden ist, dass auch ein Fatoni sein Geld damit verdienen kann.

Platz 8: Juse Ju - Das Problem, dass immer irgendwas passiert: Wo wir schon beim Jusmeister waren: Auch der hat nachgelegt. "Weird" hatte ich ja schonmal verlinkt. "Musik is over" kommt mit so vielen wunderbaren 90er Referenzen, dass ich das einfach feiern muss. Aber der beste Song ist am Ende "Nine to Five". Also wie Juse da erklärt, dass sich die während der Pandemie noch reicher gewordenen Arbeitgeber sich nicht wundern müssen, dass die aktuelle Generation keinen Bock mehr darauf hat, sich dafür kaputt zu machen, ist schon großes Kino.

Platz 7: Janelle Monáe - The Age of Pleasure: Eine These zum Auftakt: Dass hier ist Janelle Monáe's Debüt Album. War auch Zeit, schließlich ist sie seit über 15 Jahren am Start. Es wird sich nicht mehr hinter dem Droiden "Cindy Mayweather" versteckt, wie im Frühwerk. Oder eine komplette fiktive Welt erschaffen, in der dann alle Erinnerungen und Träume gelöscht und kontrolliert werden, wie auf Dirty Computer. Jetzt gibt es einfach nur... eine richtig versaute Poolparty. Mit Videos, die mit einer Altersabfrage beginnen. I like Lipstick on my Neck. Dass die Frau mit dem Anzug mal da enden würde. hätte sie selbst wohl nie geahnt. Dass es dabei nie für den ganz großen kommerziellen Erfolg reichen wird, ist ihr hoffentlich egal.

Platz 6: Mola - Das Leben ist schön. Und will es mich ficken, dann trage ich Lippenstift auf. Als ich Mola zum ersten Mal als Vorband von Fatoni sehen konnte, dachte ich mir auch, dass die Stimme ein wenig gewöhnungsbedürftig ist. Wenn man sich dann aber in einem kleineren Klub an diese Stimme gewöhnt hat, kommt die Gewinnerin des Dota-Awards raus. Auch wenn die Texte mehr ins exzessive, als ins nachdenkliche gehen. Und was soll ich sagen: Ich stehe auf weibliche Gesangstimmen und gute Texte. Beides hat Mola im Angebot. Nebenbei ist sie bei Sepalots Label gesingt, was zur 2. Blumentopf Referenz der Charts führt. Und es ist die 3. neue Platte, auf der Ami Warning drauf ist.

Platz 5: Brooke Combe: Stellt euch vor, Kraftklub spielen auf der Reeperbahn ein exklusives Konzert und ihr denkt euch nur "Ihr steht mir hier im Weg, ich muss zu der jungen Schottin am anderen Ende der Straße"... Dann sollte diese Schottin auch besser gut sein. Oder man redet sich halt ein, dass die ja gut sein muss. Wer kann das schon objektiv beurteilen. Brooke Combe brachte an diesem Abend definitiv ihr "A-Game". Und ich war letztes Jahr kurz davor, die Youtube Sammlung als EP einzusortieren. Zum Glück hab ich das gelassen, denn dieses Jahr hat sie das alles rausgebracht und mit "Black ist the new Gold" den ersten Song geschrieben, in dem es um mehr geht, als nur um die Liebe. Und das Ding ist ein Brett. Dafür gibt es den imaginären "Joy Crookes Award": Hoffentlich startet die mit ihrem bald kommenden Album richtig durch.

Platz 4: Madison McFerrin - I hope you can forgive me: Die Frau ist dann den Schritt von der Jazz-Sänering zum R'n'B gegangen. Es gibt hier also (noch) weniger Solo Acapella Tracks, dafür aber ein (fast komplett von ihr) durchproduziertes Album. Was im Großen und Ganzen doch in Schritt nach vorne ist. Auch wenn ich das Album so richtig erst nach ihren Sprüchen bei den Live-Konzerten verstanden habe. Paradebeispiel: Bei "Utah" geht es um Streitigkeiten im Auto mit ihrem Verlobten. Und da die Antwort "But is Brooklyn any better" mit "No, it wasn't" beantwortet wurde, ist das jetzt ihr Ex-Verlobter. Auf "Please don't leave me now" wird ein beinah tötlicher Autounfall verarbeitet. Und auf "Run" der Fakt, dass ihre Vorfahren, vor den Sklaventreibern wegrennen musste. Wenn man sich also bewusst macht, worum es in all den Songs wirklich geht, treffen die um einiges härter.

Platz 3: Falk - Unerhört: Was soll ich da schon groß sagen, außer: Falk ist und bleibt das symathischte Arschloch des Landes. Der Zyniker unter den Liedermachern. Aber er hat nach wie vor auch den Hang zur Nostalgie, was dann verhindert, dass man ihm das alles zu böse nimmt. "Ins Heim" dürfte jedes Familientreffen retten... oder dafür sorgen, dass man nie wieder hin muss. Und wenn gar nichts mehr hilft, findet man die Wahrheit doch im Wein. Das ist alles keine Revolution und lässt sich auf "Wer Falk mag, wird dieses Album lieben" herunterbrechen. Ich mag den Mann sehr.

Platz 2: Blond - Perlen: Popmusik kann so gut sein. Ich gebe es offen und ehrlich zu: "Ich bin ein Blondinator." Es ist einfach faszinierend, wie leicht und unbeschwert die so unfassbar schwere Themen in Musik verpassen. So geht es in "Mein Boy" um regelmäßige Besuche beim Psychotherpeuthen. "Du und ich" behandelt dagegen übergriffige Typen in Disco und Internet. Und das würde man alles gar nicht mitbekommen, wenn es man nicht genau hinhört. Da verzeihe ich denen sogar die Lafee Referenz auf "Durch die Nacht". Die hatten einfach keine anderen Vorbilder. Oh und "Männer" ist auch eine längst überfällige Abrechnung mit der Musikindustrie. Wenn man bei 50 Bands 3 Bassistinnen sieht, versteht man, worüber die sich aufregen.

Platz 1: Atmosphere - So many other realities exist simulationsly: Man muss erstmal festhalten, wie insane die Produktivität von Slug gerade wieder ist. Der alte Mann hat dieses Jahr: Ein offizielles Album rausgebracht. Für 2 Tourneen durch durch Amerika gereist. Und endlich mal wieder Europa besucht. Dazu im Sommer einige Festivals gespielt. Wir reden also von deutlich über 30 Konzerten. An den freien Tagen hat er mit seinen Supports ZooDeVille und Hebl Songs und Videos aufgenommen, in dener er einfach nur zeigt, dass er immer noch flexen kann. Dann hat er aus dem einen random Album Song "Talk Talk" eine extra EP gemacht, die auch schon wieder 40 Minuten lang ist. Und nebenbei Sad Clown Bad Dub II nach 20 Jahren auf Vinyl released... was der geringste Aufwand war. Wann schläft der Mann eigentlich? Und das faszinierendste: Alle "Projekte" klingen unterschiedlich. Talk Talk klingt mehr nach Synthies und 80er, während So many different realities ein eher klassisches Rap Album ist. Bei dem Ding haben sie tatsächlich mal jeden Song nacheinander fertig gemacht. Steht zumindest so in den Linar Notes. Und weil Slug anscheinend mit dem "After Tears" Beat nichts anfangen kann, schleicht sich ein Sa-Roc Track auf das Album.
Das große Luxusproblem an diesem Output ist ja, dass ich persönlich eigentlich Jahre brauche, um Atmosphere Alben zu verdauen und zu verstehen. Oder anders ausgedrückt: Ich war noch lange nicht mit "Word?" aus dem Jahr 2021 fertig, und dann hauen die so viel Musik auf einmal raus. Aber, und das ist fast das wichtigste: Mit "Bigger Pictures" hat Slug mal wieder so ein Ding rausgehauen, dass nicht erst 4 Jahre braucht, um in der 5 Sterne Kategorie zu landen. Was aber auch an der grandiosen Live-Performance lag. Bester Song des Jahres. Ohne Frage. Der Rest des Albums ist auch mehr als nur "Okay".

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