Oder ist er einfach nur zu bürokratisch? Weil jede Regeländerung "von ganz oben", also von greisen, weißen Männern beschlossen werden und immer für alle gelten muss?
Also als jemand, der auch gerne mal über den Tellerrand guckt, ist die Olympiade ja ein wirkliches Fest. Da kann ich zu einer beliebigen Tageszeit den Rechner anschalten und im Stream interessante Sportarten auf höchstem Niveau sehen. Und dabei fällt einem eines auf: In anderen Sportarten werden Regeln einfach geändert, um die Sportart attraktiver zu machen.
Ein praktisches Beispiel: Beim Triathlon haben die nach 900 von 1500 Meter Schwimmen eine kurze Anlegestelle eingebaut, an der die Athleten ganz kurz aus dem Wasser steigen und wieder reinspringen. Die selbstverständliche Erklärung: Das wurde für die Fernsehstationen (also für die Zuschauer) eingeführt, damit man auf 2/3 der Schwimmstrecke sehen kann, wer wo liegt. Das ist nämlich echt schwer auszumachen, wenn man nur die Badekappen sieht. Obwohl allen bewusst ist, dass es relativ egal ist, wo genau man nach 900 Meter schwimmen liegt, wird einem das als Service geliefert.
Solche "Das wurde für die Zuschauer eingeführt" Regeländerungen kriegt man bei Olympia ständig präsentiert. Ist ja auch logisch, man kämpft ja buchstäblich um deren Aufmerksamkeit. Genau das hat aber der Fußball einfach nicht nötig. Deswegen glauben alle, dass das Regelwerk perfekt ist, auch wenn das offensichtlich nicht stimmt.
Denkt mal kurz drüber nach: Die letzte wirklich relevante Regeländerung war... Die Rückpassregel. Die soll sogar den einen oder anderen Torhüter seinen Job gekostet haben, weil sie halt nach 30 Jahren komplett ihr Spiel umstellen mussten. Das war 1992. Das ist fast 20 Jahre her.
Danach... wurden so offensichtliche Regeln eingeführt, dass man für Grätschen von hinten Rot sehen sollte... Dass Passive Abseits überarbeitet. Viel über die Handspielregel diskutiert. Und die vollkommen sinnlose Doppelbestrafung "Elfmeter und Platzverweis für den Torhüter" abgeschafft. Die Regelhüter brauchten halt Jahrzehnte um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass ein Elfmeter eine "klare Torchance" ist. Mehr muss man doch eigentlich gar nicht wissen.
Oh und es wurde natürlich die Regel eingeführt, dass Torhüter den Ball nur 6 Sekunden lang in der Hand haben darf. Das wäre eine richtig gute, richtig schöne Regel um Zeitspiel einzudämmen, aber sie wird halt nicht angewendet.
Nehmen wir mal als Gegenbeispiel Volleyball: Dort wurde seit 1992:
- Die Zählweise komplett umgestellt, sodass es bei jedem Ballwechsel Punkte zu verteilen gibt. Vorher konnte man nur bei eigenem Aufschlag punkten, was das Spiel auch unfassbar zäh machen konnte.
- Mit dem Libero/ der Libera eine komplett neue Position erschaffen, die auch Menschen unter 1,80 m eine professionelle Karriere ermöglicht.
- Netzberührung als Fehler abgeschafft und wieder eingeführt.
- Der Freiraum hinter dem Feld wird von 8 auf 6,50m gekürzt.
Oh.... und Beachvolleyball eingeführt, professionalisiert und olympisch gemacht. Man entwickelte sich von einer Rand- zu einer Trendsportart. Anders ausgedrückt: Es hat sich richtig viel getan. Also verglichen mit dem Fußball.
In den amerikanischen Sportligen treffen die sich ein Mal im Jahr und diskutieren über Regeländerungen. Die meisten dieser Vorschläge sollen das Angriffsspiel stärken und den Sport attraktiver machen. Da passiert es aber auch mal, dass Regeländerungen eingeführt und wieder abgeschafft werden. Also als praktisches Beispiel: Die haben in der NBA mal die 3 Punkte Linie an das internationale Regelbuch angepasst und gemerkt, dass ihnen das nicht gefällt.
Man hat da dann auch eine ganz andere Kultur. Also die Frage, ob man einen 4-Punkte-Wurf einführen kann, wird da einfach mal gestellt. Wann wurden das letzte Mal wirkliche Regeländerungen und Optimierungen im Fußball diskutiert?
Also Louis van Gaal hat das mal gemacht. Vorgeschlagen, dass man den Einwurf abschaffen und durch einen Freistoß ersetzen sollte, damit Teams den Ball nicht mehr sorglos ins Aus schlagen können. Der wurde damals dafür ausgelacht. Weil er sich Gedanken gemacht hat, wie man den Fußball attraktiver machen kann.
Ganz praktisch kann man das ja an der Torlinientechnologie festmachen. Also dass man so was braucht, wissen wir seit dem WM-Finale... 1966. Im Cricket wurde das Hawk Eye 2001 in Testspiele eingeführt. Im Tennis wird es seit 2006 genutzt. Aber der größte und reichste Verband, bei dem ein einzelnes Tor auch noch den größten Einfluss hat, ließ sich bis 2012 Zeit um diese Idee auch umzusetzen.
Die mangelnde Flexibilität des Regelwerks wurde mir in einem Gespräch mit einem Schiedsrichter bewusst. Dem habe ich mein "Gebt für Handspiele indirekte Freistöße" Idee konfrontiert. Und er kam mit einem Totschlagargument: Das geht nicht, weil es für Foulspiele direkte Freistöße geben muss und indirekte Freistöße nur für Sachen wie gefährliches Spiel geben kann..." oder halt für einen Rückpass, der in die Hand genommen wird, aber Details.
Technisch gesehen hat er aber recht: Ein Handspiel eines Feldspielers ist ein Foul und für Foulspiele gibt es direkte Freistöße. Der direkte Freistoß im Strafraum ist halt ein Elfmeter. Deswegen kann es nur Elfmeter geben.
Warum man dieses Grundkonzept allerdings nicht auflockern kann und andere Strafen einführen darf, erschließt sich mir nicht. Oder man führt mit der Idee der Strafecke, die man beim Hockey klaut, einfach mal eine neue Standardsituation ein. Man kann das ja mal in einer Saison ohne Turnier im Sommer ausprobieren und hinterher wieder abschaffen, wenn es wirklich nicht funktioniert.
Vor allem, weil es ja früher auch ging. Also Dinge wie "Einwechselspieler" oder "Verwarnungen". Also um das mal zu verdeutlichen: 3 Wechsel sind erst seit 1994 erlaubt... Hoffentlich fällt niemanden auf, dass ich das oben nicht als Regeländerung erwähnt habe.
Nun mag die Einführung einer Strafecke wirklich extrem sein. Aber selbst kleinere und vernünftigere Anpassungen können ja einfach nicht diskutiert werden. Also als praktisches Beispiel: Mein Vorschlag Wechsel nur bis zur 80. Minute zu erlauben, um das unerträgliche Zeitspiel einzudämmen, wird nie ernsthaft diskutiert werden. Genauso wenig wie die Idee einen neutralen Arzt zu stellen und Mindestzeiten für Behandlungspausen einzuführen. Obwohl uns allen klar ist, dass das Zeitspiel ein wirklich unangenehmes Niveau erreicht hat und dringend eingedämmt werden müsste.
Da aber selbst solche kleinen, progressiven Regeländerungen nicht möglich sind, können wir uns gar nicht vorstellen, wie große Regeländerungen funktionieren sollen. Als größeres praktisches Beispiel: Die haben jetzt herausbekommen, dass häufige Kopfbälle die wahrscheinlicher zu Demenz führt. Die kriegen alles raus. Und als Ergebnis... will man zumindest die Kinder später damit anfangen lassen. Also im FDP Stil als "freiwillige Erklärung"...
Aber wir können uns eine Welt, in der jeder Kopfball zu einem indirekten Freistoß führt, auch einfach nicht vorstellen. Oder wenigstens einen Fußball, in dem man wie im Rugby Helme tragen muss, um die Folgen einzudämmen.
Aus irgendwelchen Gründen glauben wir, dass Fußball halt seit 100 Jahren so gespielt wird und dass das Regelwerk perfekt ist, weil es halt schon immer so war. Oh und dass ALLE nach einem einheitlichen Regelwerk spielen müssen, was auch komplett albern ist.
Aber ich sag das mal so: Nur weil Gerd Müller an Demenz leidet, muss Thomas Müller dies nicht auch passieren. Vor allem wo Thomas doch praktisch eh ein ganz anderes Spiel spielt, weil sich in Sachen Taktik und Athletik ja viel getan hat. Nur im Regelwerk bewegt sich halt nichts. Wobei man doch genau dieses auf die neuen Taktiken anpassen müsste...
Ich würde mir da weniger Denkverbote und ein progressiveres Vorgehen wünschen. Aber anderseits scheine ich da auch eine Minderheit zu sein, der Rest regt sich halt nur dann über Zeitspiel auf, wenn der Gegner es macht...
Was ist mit der Einführung der Dreipunkteregel 94/95? ;)
AntwortenLöschenStimmt praktisch. Dazu kommt die Abschaffung der Auswärtstorregel von vorgestern. Und die Ausländerbeschränkungen wurden ebenfalls abgeschafft. Aber ich meinte wirklich Regeln, die sich konkret auf das Spielgeschehen auf dem Rasen direkt auswirken.
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