Man mag das entschuldigen... aber ich lag 10 Tage am Strand. Ohne Internetempfang. Sonst wäre ich jetzt auch reich...
Denn als wir auf dem Bakenberg das EM Finale sah, sagte ich zu meinem komplett ahnungslosen Urlaubskumpanen: Die verschießen... beide. Setz da jetzt nen Euro drauf...
Jadon Sancho und Marus Rashford lieferten auch. In überzeugender Manier. Und rein zufälligerweise war auch der dritte Fehlschütze dunkelhäutig, deswegen konnten die englischen Fans ihren Frust durch stumpfen Rassismus abbauen, anstatt den eigentlichen Schuldigen ins Visier zu nehmen. Also selbst Boris Johnson und Prinz William sind angewidert...
Der eigentliche Schuldige, welcher die Beleidigungen auf sich ziehen sollte, der aber ungeschoren davon kommt, ist... Gareth Southgate. The fastest way out of the old Wembley. The slowest and still most painfull way out of the new Wembley. Es ändert sich halt nichts.
Aber ganz ehrlich: Wie kann man als Gareth Southgate so zielgerichtet aufs Elfmeterschießen gehen. Wo man doch selber die Erfahrung gemacht hat, wie beschissen es ist, wenn man den entscheidenden Elfmeter verschießt. Da denke ich mir doch nicht: Das tue ich auch meinen Spielern an.
Und England hat halt mit Elfmeterschießen allgemein richtig schlechte Erfahrungen gemacht. Ich war ja auch nur deswegen so überzeugt davon, dass das nichts wird, weil ich das doch schonmal gesehen habe. Also "Ein englischer Elfmeterspezialist wird nur deswegen eingewechselt und verschießt." Und dabei dachte ich noch nicht mal an Simone Zaza, der 2016 für Italien gegen Deutschland verschoss. Ich dachte an Jamie Carragher, der 2006 gegen Portugal auf genau diesem Weg scheiterte. Southgate hat also aus der eigenen Geschichte genau so viel gelernt, wie Thomas Kämmerich.
Ich frage mich ernsthaft, wie man als Trainer an solchen Stellen so ängstlich agieren kann. Und Marcus Rashford hatte ja das Trikot schon fast an und wurde beinahe zur 105. eingewechselt. Also zum perfekten Zeitpunkt: Er kann immer noch was bewegen und das Spiel eventuell vorher entscheiden, aber er hat dann auch schon mehr gemacht als einen halben Zweikampf geführt und ist im Fluss. Gleichzeitig ist er noch nicht so ausgepumpt, dass Konzentrationsschwächen zu einem Fehlschuss führen können.
Und nur um das mal festzuhalten: Marus Rashford holte immerhin einen Einwurf durch einen Zweikampf heraus und fasste den Ball danach kurz an. Aber Jadon Sanchos hatte um 22 Uhr das letzte Mal einen Ball berührt. Zum Ende der 2. Halbzeit. Da man ja in den Pausen danach keine Zeit mehr hat einen Ball zu nutzen. 2 Stunden und 24 Minuten später muss er dann buchstäblich völlig aus der Kalten zum vielleicht wichtigsten Schuss seiner Karriere antreten. Mit 21 Jahren. Wie man als Trainer seine Spieler in solche Positionen bringen kann, bleibt mir ein Rätsel.
Also ich werfe mal folgende These in den Raum: wenn er in der 115. Minute Raheem Sterling, der ja schon die komplette Verlängerung gegen die Dänen in den Beinen hatte und im Elfmeterschießen nicht eingeplant war, rausnimmt, dann kann die beiden steinalten Bonucci und Chiellini, die ja auch schon eine Verlängerung in den Beinen hatten, richtig fordern. Wenn er richtig mutig ist, nimmt er auch noch Kalvin Phillips raus und bringt einen weiteren offensiv denkenden Spieler. Oder mit Jude Bellingham zumindest einen frischen.
Dann setzt er auch Roberto Mancini richtig unter Druck: Steht meine routinierte Mannschaft diese Angriffswelle 15 Minuten lang durch, oder muss ich am Ende Chiellini auswechseln? Stattdessen kann auch Mancini bis zur 118. Minute warten, um mit Allesandro Florenzi einen Spieler einzuwechseln, der noch nicht mal beim Elfmeterschießen antritt. Nur um zu erwähnen, dass Mancini auch nicht besser war.
Aber das war abzusehen. Wie der im Halbfinale Enrico Chiesa mit der taktischen Anweisung "Ich wechsle dich gleich aus, lass dir Zeit und positioniere dich mittig, damit es möglichst lange dauert" wieder aufs Feld schickte... Um ihn in der 107. Minute vom Feld zu holen. So was sollte ja verboten werden. Es ist völlig absurd, dass Trainer in solchen Momenten plötzlich jeden Kniff ausnutzen, um an der Uhr zu drehen, aber an allen anderen Stellen großzügig verzichten, wenn es darum geht Einfluss aufs Spiel zu nehmen.
Wenn Southgate jedenfalls aggressiv und offensiv wechselt, dann sendet er seiner Mannschaft auch das wichtige Signal, dass sie die Angelegenheit vor dem Elfmeterschießen regeln wollen. Das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist... das Mancini auch offensiv reagiert, was, wie man am Chiesa Wechsel gesehen hat, unwahrscheinlich ist. Und dann kriegen wir tatsächlich eine offene und interessante Verlängerung. Hinterher wird dann keiner sagen "Ach, hätte der sich doch ins Elfmeterschießen gerettet" sondern es hätte von allen Seiten ein "nach sensationellen Kampf und mit viel Leidenschaft" gegeben.
Um mal den ganz großen Bogen zu schlagen und mein Lieblingsvideo zu verlinken: Was Marcelo Lippi damals gemacht hat, war eine der großartigsten Trainerentscheidungen aller Zeiten. Der dachte sich damals schon "Fuck our National Idendity" und brachte Alberto Gilardino, Vincenzo Iaquinta und Alessandro del Piero 3 frische Stürmer. Damals, als man nur 3 Mal wechseln durfte. Und Del Piero brachte er in der 104. Minute. Dazu ließ der Francesco Totti auf dem Feld, spielte also formell gesehen mit 4 Angreifern gegen den Gastgeber der WM Deutschland.
Denn er hatte genau verstanden: Gegen Deutschland will ich nicht in ein Elfmeterschießen. Und das hat er seiner Mannschaft auch vermittelt. Deswegen war es auch kein Zufall, dass Andrea Pirlo diesen wunderbaren Pass auf Fabio Grosso spielte. Wobei man das ja allgemein sagen kann, Pirlo hat nie einen zufälligen Pass gespielt...
Aber die Italiener hatten auch in der 115. Minute eine konsequente Strafraumbesetzung bei eigenem Eckball. Und sie hatten genügend frische Stürmer auf dem Feld um einen souveränen Konter zum 0:2 zu fahren. Das war alles kein Zufall, sondern Lippis Meisterleistung.
Trotzdem wurde diese Lektion 15 Jahre später komplett verdrängt. Obwohl sich niemand an ein Spiel erinnern kann, in dem der Trainer die Niederlage mit aggressiven Wechseln in der Verlängerung eingeleitet hat und es das historische Positivbeispiel gibt, haben alle Trainer Angst davor aggressiv zu wechseln... und setzen doch lieber aufs Elfmeterschießen, anstatt wenigstens zu versuchen das Spiel vorher zu entscheiden.
Und das war ja der große Trend dieser Verlängerung. Also selbst die Urkaine ist in Überzahl ja eher zum Siegtor gestolpert, als dass sie es konsequent erzwungen haben. Und auch Andriy Shevchenko wechselte lieber in der 118. um sein Team aufs Elfmeterschießen vorzubereiten, anstatt die Entscheidung zu erzwingen.
Die einzigen, die nach der 100. Minute wirklich konsequent versucht haben ein Tor zu erzielen, waren doch die Spanier und die Kroaten. Das war allgemein die eine wirklich aufregende Verlängerung, aber das Spiel war halt auch vorher schon wahnsinnig genug, da konnte man die Spieler wohl einfach nicht mehr bremsen.
Aber die 60 Minuten Verlängerung mit England lassen sich doch auf einen eigentlich eher peinlichen, aber erfolgreichen, Versuch einen Elfmeter zu schinden zusammenkürzen. Das war alles, was England in 2 Durchlaufen gemacht hat, um ein Elfmeterschießen zu verhindern. Lustigerweise hat Harry Kane den Elfmeter dann ja auch demonstrativ verschossen, um seinen Coach zu warnen. Der hat das aber einfach ignoriert.
Dieses Vorgehen könnte ich ja noch verstehen, wenn man wie Dänemark oder die Schweiz auch einfach nicht die Tiefe im Kader hat um entsprechend aggressiv zu wechseln. Aber England hatte genügend Offensivpotenzial auf der Bank, Southgate hat sich einfach nicht getraut.
Und damit dann den dummen Rassisten ihren Zündstoff geliefert. Das ist ja das wirklich traurige an der ganzen Geschichte. Wenn die Kritik sich an den Verantwortlichen richten würde, wäre das ja wenigstens angemessen. Stattdessen muss der Verantwortliche jetzt seine Opfer vor rassistischen Angriffen schützen.
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