Bevor das Tagesgeschehen diese Geschichte überholt... schreibt man lieber etwas, am Samstag.
Meinem derzeitigen Lieblingstrainer Florian Kohfeldt ist etwas unfassbares gelungen: Er hat anscheinend den Rückhalt der Medien verloren. Und wie hat er das geschafft? Nun ja, er hat offenbar das, was der Kicker über ihn geschrieben hat und was seine Vorgesetzten bei Werder Bremen ihm die ganze Zeit über gesagt haben, tatsächlich geglaubt... und jetzt im Wesentlichen eins zu eins zurück gegeben.
Wobei
er ja genau genommen wenig neues sagt. Also dass er seinen Stuhl räumen
würde, wenn Werder jemand besseres findet, fiel, glaube ich, vor
Monaten schon. Dass er sich immer noch für den Besten Trainer für Werder
hält, ist weder größenwahnsinnig noch "tollkühn"... es ist praktisch
der einzige Weg, wie er als Bundesligatrainer seine Arbeit machen kann.
Also wenn er selber diesen Glauben an seine Arbeit und damit auch an
sich nicht mehr vermitteln kann, dann wird seine Mannschaft ihm auf
keinen Fall folgen.
Nur um an der Stelle nochmal meine
persönliche Position zu Kohfeldt zu verdeutlichen: Ich halte den Mann
offensichtlich für überschätzt. Das bedeutet aber nicht, dass ich ihn
für einen schlechten Trainer halte. Es ist halt verdammt leicht
überschätzt zu werden, wenn alle so tun, als wäre man der nächste Jürgen Klopp oder, weil es halt logisch ist, der nächste Thomas Schaaf. Dabei ist er realistisch eher der nächste Bruno Labbadia.
Und ja, ich musste meine Position zu Labbadia neulich auch revidieren. Also Hertha BSC Berlin
den als neuen Trainer vorgestellt hat, dachte ich "Unnötig, denn die
Klasse halten sie auch so... aber an sich ein guter Move von Hertha"...
Aber Labbadia dürfte die Rückschläge in Form von Entlassungen halt auch
gebraucht haben. Und jetzt ist er mindestens ein sehr solider
Bundesligatrainer.
Kohfeldt ist halt ein interessantes
Trainertalent. Er bringt hervorragende Anlagen mit. Und er hat den
Anspruch selbst unter schwierigen Umständen wirklichen Fußball spielen
zu lassen. Aber er hat diese Saison halt auch richtig in den Sand
gesetzt. Wenn man es nicht schafft seine Talente weiter zu entwickeln
und bei Standards immer dieselben Fehler macht, muss man das genau so
nennen. Und mir kann keiner erzählen, dass Werder wirklich den 2.
schlechtesten Kader der Liga hat. Auch mit den Verletzungssorgen gibt es
andere, die schwächer besetzt sind. Aber Kohfeldt hat es nie geschafft
das vorhandene Potenzial auf den Rasen zu bringen.
Werder Bremen selber hat ja in den letzten Tagen den Christian Streich
Vergleich ins Spiel gebracht. Ok, lasst uns das mal machen: Also
Streich hat unter schwierigsten Voraussetzungen nach einer Hinrunde mit
13 Punkten den direkten Klassenerhalt gefeiert. Ohne jegliche
Relegation, weil der SC Freiburg so was halt nicht braucht. In der Rückrundentabelle war er auf Platz 7. Im Jahr darauf hat er Freiburg in die Europa League geführt.
Zum 2. Mal in der Vereinsgeschichte. Nur ein Mal stand man in der
Bundesligaabschluss-Tabelle besser da... da dies vor der Einführung der 3
Punkte pro Sieg Regel war, kann Streich behaupten: Nie holte ein
Freiburger Trainer in einer Saison mehr Punkte. Wobei auch festzuhalten
bleibt: An die 27 Punkte seiner ersten Halbserie kam er dabei gar nicht
ran... Nach 1 1/2 historisch spielte Freiburg eine ganz normale Saison,
was für einen Verein wie dem SC Freiburg halt Platz 14 bedeutete. Aber
dieser "Rückfall aufs Normale Niveau". Erst nach 1 1/2 historisch guten
Jahren und einer normalsterblichen Saion stieg der SC Freiburg dann ab.
Hierbei
muss man aber auch mal dringend erwähnen, dass ein Abstieg mit dem SC
Freiburg etwas ganz anderes ist als ein Abstieg mit Werder Bremen.
Und das wird einem halt beim Vergleich deutlich. Denn Kohfeldt startete genau so beeindruckend wie Streich mit 29 Punkten in 17 Spielen.
Seine erste Mission als Retter erledigte er mit Bravour. Dass kann ein
Bruno Labbadia allerdings auch von sich behaupten. Oder, oder, oder. Es
gibt genügend "Dead Coach Bounces."
Das Jahr darauf führte er Werder dann ins Mittelmaß.
Das ist ordentlich. Aber halt auch nicht mehr. Vor allem wenn man
bedenkt, dass er den "Klassenerhalt" mit einer Serie von 5 Spielen ohne
Sieg endgültig sicherte.
Und letztes Jahr hätte er seine Mannschaft, auf dem Rücken eines überragenden Individualisten im "Contract Year Modus" fast nach Europa geführt.
Es war am Ende echt knapp. So, wie Werder sich derzeit präsentiert,
sollten sie echt froh sein, dass sie nicht nebenbei noch über die
europäischen Dörfer tingeln müssen...
Und hier ist das
entscheidende Problem im Streich-Vergleich: Mit Werder die Europa League
zu erreichen ist keine überragende Leistung. Also historisch
betrachtet. Eigentlich sollte es für einen jahrelangen Werder Trainer
der Mindestanspruch sein, Werder ein Mal alle 4 Jahre nach Europa zu
führen.
Nehmen wir da mal zur Verdeutlichung seinen Emotionalen Vorgänger Thomas Schaaf
als Vergleich: Der führte Werder bereits im ersten vollen Jahr fast
nach Europa. Und dann 2 Mal in Folge auf Platz 6, was ein Mal zur
Teilnahme an der Europa League reichte. Werder hatte damals Probleme mit
der Balance zwischen Offensive und Defensive... und brach in der
Rückrunde immer ein. Aber trotzdem war jede der ersten 3 Jahre in der
Abschlusstabelle erfolgreicher als alles, was Kohfeldt jemals
abgeliefert hat. Und danach wurde Werder dann Doublesieger.
Und Thomas Schaaf wurde zum Heiligen. Danach durfte er sich dann
praktisch einen auf Jahre angelegten schleichenden Niedergang leisten,
ohne dass irgendjemanden auffiel, dass der moderne Fußball irgendwie an
Schaaf vorbei gezogen ist... Nen bischen, als spontaner Vergleich, wie
bei Arsene Wenger und Arsenal London...
Kohfeldt
darf dagegen ohne historische Vorleistungen eine der schlechtesten
Werder-Saisons aller Zeiten spielen lassen, ohne dass er irgendwie in
Frage gestellt wird. Und bis Mitte Mai wurde er ja nicht mal von den
Medien oder den Alteingesessenen in Frage gestellt.
Aber mal als
spekulative Frage: Glaubt irgendjemand, Thomas Schaaf hätte Werder
anstatt zur Meisterschaft auf Platz 17 führen dürfen ohne entlassen zu
werden?
An der Stelle fällt mir dann auf: Kohfeldt ist
gar nicht das Problem, er ist das Symptom. Die Personalie, an der halt
allen deutlich wird, dass bei Werder eigentlich fundamental etwas falsch
läuft. Dass die eigene Genügsamkeit und die mangelnden Ansprüche zu
einer kaum noch aufzuhaltenden Negativspirale, die über kurz oder lang
in Liga 2 enden wird, geführt hat.
Denn hier kommt mal das kurze Realitäts-Update: Eigentlich sollte sich Bremen mit Borussia Mönchengladbach
vergleichen. Mindestens. Denn eigentlich hat man dank der doch
überraschend zahlreichen Abstiege der Gladbacher einen extremen
Vorsprung. Den man auf beeindruckende Art und Weise verspielt hat.
Und
ja, auch Gladbach steht für ruhiges, kontinuierliches Arbeiten und
seriöses Wirtschaften in einem familiären Umfeld. Nur wird in Gladbach
ein Dieter Hecking für Arbeit, die sich im normalen Rahmen des
erwartbaren Erfolges bewegt, nicht zum Heiligen verklärt... sondern am
Ende einfach ersetzt um neue Impulse zu setzen.
Die bittere Realität lautet: Man kann sich noch nicht mal mit dem FC Augsburg messen. Also zumindest was die Europa League Teilnahmen der letzten 10 Jahre betrifft.
Eigentlich
sollte es Bremens Anspruch sein, dass man zumindest selber diese eine
Mannschaft ist, die in die Internationalen Plätze rein rutscht, wenn die
wirtschaftlich stärkeren Teams dies verkacken. Stattdessen haben
Augsburg, Mainz, Freiburg und Hannover diese Rolle übernommen. Genau genommen auch Eintracht Frankfurt,
die jetzt versuchen sich auf dem Erfolg der letzten Jahre eine
konstante Basis für eine bessere Zukunft zu erarbeiten. Also genau das,
was Werder in den letzten 20 Jahren verkackt hat...
Bremen
sollte eigentlich über diesen Mannschaften stehen. Stattdessen
vergleicht man sich mit dem SC Freiburg, deren Anspruch es ist zu den 25
besten Mannschaften in Deutschland zu gehören. Wo eine schlechte Saison
eigentlich erst beginnt, wenn man nicht zur Spitzengruppe der 2. Liga
gehört, wo aber ein Abstieg halt auch mal passieren kann. Werder sollte
aber den Anspruch haben zu den 10 besten Mannschaften in Deutschland zu
gehören. Die Voraussetzungen dafür sollten immer noch gegeben sein.
Zumindest wenn man den Abstieg noch vermeidet. Aber stattdessen gibt man
sich mit wesentlich weniger zufrieden.
Und so erhöht man dann
auch einen Trainer, der ganz normale Ergebnisse erzielt, zur Legende...
und wundert sich, dass die Leistungen nicht besser werden, wenn man die
Ansprüche runter schraubt.
Das ist halt Schade, weil
Werder eigentlich echt der einer der sympathischen Bundesligisten ist.
Eigentlich stehen wir alle auf offensiv ausgerichteten Fußball und
seriös geführte Vereine. Selbst ich, der ja eigentlich vom Zynismus lebt
und gar nichts zu schreiben hätte, wenn alle Vereine wie Werder geführt
werden würden.
Aber, als interessante These, wahrscheinlich wurde
Kohfeldt deswegen so viel verziehen, anstatt diese Saison als das zu
beschreiben, was sie eigentlich ist: Eine extrem schlechte
Trainerleistung. Deswegen will auch keiner glauben, dass Kohfeldt
irgendwie Schuld an der mangelnden Fitness hat. Irgendwie wissen wir
alle, dass es für die Liga im Allgemeinen das beste wäre, wenn Werders
Weg zum Erfolg führt. Denn wenn man gute Trainer in einem ruhigen Umfeld
ihre Arbeit machen lässt, muss dies zwangsweise zu einem besseren
Produkt auf dem Rasen führen.
Nur wird halt allen langsam deutlich, dass die Arbeit von Kohfeldt unangemessen wenig Früchte trägt.
Das
wirkliche Problem für Werder lautet aber: Wenn man jetzt Kohfeldt
einfach entlässt, aber an sonsten genau so Selbstzufrieden weiter macht,
wird das genau so wenig helfen, wie ein Wiederaufstieg mit Kohfeldt,
für den man sich dann auf die Schulter klopft. Nur wenn man selber sein
Weltbild wieder richtig ausrichtet, wird es in Bremen wirklich vorwärts
gehen.
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