Mittwoch, 30. Oktober 2024

Suri Sahin zu entlassen, wird nicht wirklich helfen.

 Die Dortmunder Probleme sitzen tiefer. Was auch keine Neuigkeit ist.

Ich kam ja gestern pünktlich zum doch vermiedenen Elfmeterschießen nach Hause. Das Tor habe ich dann direkt gesehen. Was auch der erste Schuss aufs Tor war. Anscheinend haben die auf mich gewartet, wie nett von denen. Bei den Highlights fällt mir vor allem eines auf: Keiner der beiden Torhüter musste eine Parade zeigen, um bis die 117. Minute die 9 zu halten. Klar, Maximilan Beier traf den Pfosten, da hatte Kamil Grabara ein Mal Glück. Aber alle anderen Versuche gingen am Kasten vorbei. Das ist der ganz große Sport, der uns im frei empfangbaren Fernsehen geboten wurde.

Wirklich geil ist auch, dass das einzige Highlight des Spiels, also das Tor, mit dem Gewusel im Strafraum anfängt. Wer die Flanke zum Tor geschlagen hat, werden wir nie erfahren. 

Oder wie es Tom Bartels so schön ausdrückte: Dieses Spiel hätte ein Elfmeterschießen verdient gehabt. Das ist nur ein Kompliment, wenn ein großartiges Fußballfest mit 7 Toren gegeben hat. Wenn beide Mannschaften konsequent am Tor vorbeigeschossen haben, ist es eher eine 1 mit Stern im Armutszeugnis.

Die geilste Analyse kam dann zum Führungsspieler Emre Can: Der hat immerhin... nicht so viel falsch gemacht. Julian Brandt hat in der für ihn ungewohnten, tieferen Rolle ordentlich gespielt. Das war alles nicht schlimm. Also verglichen mit Marcel Sabitzer, der vor dem 1:0 eben nicht in den Zweikampf kommt.

Aber wenn im Arbeitsnachweis deiner Führungsspieler "hat immerhin nichts falsch gemacht" steht, ist das kein gutes Zeichen. Das ist genau eines dieser Spiele, in denen Can und Brandt vorne weg marschieren müssen. Also zwingend, denn das sollen ja deine Führungsspieler sein. Wenn man gemeinsam Titel holen will, müssen sie in solchen Momenten gute bis überragende Leistungen zeigen. Nicht einfach nur Mitlaufen. Aber in Dortmund laufen die Führungsspieler einfach nur mit.

Das zeigt aber auch das strukturelle Problem dieses Kaders. Man scoutet und kauft immer wieder hochtalantierte Spieler, die aber zu schnell weiterziehen. Übrig bleiben nur die ordentlichen Talente, die nicht gut genug sind, für den Sprung zu den Bayern. Oder es kommen die Spieler, die es bei Juventus Turin langfristig nur zum Ergänzungsspieler schaffen. Julian Brandt und Emre Can halt. Und weil diese Spieler dann nach dem plötzlichen und überraschenden Abgang von Marco Reus am längsten im Verein sind... werden sie zu Führungsspielern gemacht. Und das, obwohl sie auf dem Niveau, auf den Dortmund mitspielen will und die überragenden Talente mitspielen müssen, nur Mitläufer sind.

Wenig überraschend kamen Can und Brandt bei den Niederlagen gegen Union Berlin und dem FC Augsburg auf einen gemeinsamen Notenschnitt von 4,875. Beim 5:1 gegen den VfB Stuttgart geht Brandt mit einer 5,0 mit unter. Es ist also keine große Überraschung, dass von den beiden in den wichtigen Momenten viel zu wenig kommt. Es ist deren Modus Operandi.

Und zumindest bei Brandt hätte man das ja erahnen können. Also ja, der lässt seine unfassbar guten technischen Fähigkeiten immer wieder aufblitzen. Aber er taucht auch in aufeinanderfolgenden Spielen gegen Bayern und Stuttgart komplett ab und bekommt 2 mal infolge eine 5,0. In genau den Spielen, in denen es am wichtigsten wäre, vorne weg zu marschieren. Gegen den VfB Stuttgart, also einem der plötzlichen Hauptkonkurenten kommt er auf 3 unsichtbare Spiele inklusive Pokal. Und der BvB verliert alle 3 Duelle. Gegen RB Leipzig kam er bei 2 Niederlagen immerhin auf 2 Assist. Aber wirklich gut war er bei der 2:3 Hinspielniederlage laut Kicker trotz der 2 Vorlagen nicht. Das muss man erstmal schaffen, normalerweise bekommen alle Spieler mit 2 Vorlagen mindestens eine 2,5. Bei den beiden Unentschieden gegen Bayer Leverkusen war seine Leistung in Ordnung, aber nicht überragend. Und so gewinnt man, auch wenn man als einzige Mannschaft nicht gegen Leverkusen verloren hat, nur eines der 9 Spiele gegen die Top 4 in der Tabelle. Und Brandt liefer, laut Kicker Noten, in diesen 9 Spielen nicht ein Mal eine gute Leistung ab. 

Und als Belohnung wird er Vize-Kapitän und Führungsspieler. Das ist dann der Mann, an dem sich all die Talente aufrichten sollen, wenn es mal nicht funktioniert... Großartige Idee. Und ja, es gab den absurden Lauf durch in Champions League Finale, in dem sich die Dortmunder in einen Rausch steigerten und auch Brandt auf internationaler Bühne wirklich gute Spiele hatte. Aber sollte man die 3 Spiele gegen Paris St. Germain und Atletico Madrid höher einschätzen, als die jahrelange Erfahrung, die man in der Liga gemacht hat? Und das Brandt in wichtigen Ligaspielen immer wieder abtaucht, ist keine neue Erkenntnis. 

In seiner gesamten Karriere hat er insgesamt 2 gute Spieler gegen die Bayern (also Kickernote 2,5 oder besser) im Zeugnis stehen: am 4.12.21 war er wirklich gut, auch wenn es am Ende eine Niederlage gibt. Bester Dortmunder. Und beim 3:1 Sieg von Bayer Leverkusen bekam er eine 2,0. Richtig gelesen: Sein 2. gutes Spiel war noch nicht mal im Dortmunder Trikot, sondern stammt aus der Saison 2018/19. Im Gegensatz bekam er 8 mal die Note 5,0 oder schlechter. Inklusive einer 6,0 bei einem 4:0 in München.

Das ist ja die nächste wichtige Erkenntnis: Brandt ist kein junger Spieler mehr. Der kann dem Tod gelassen ins Auge sehen. Und er hat schon in verdammt jungen Jahren verdammt viel Erfahrung gesammelt. Er hatte viele verschiedene Trainer... und keiner von denen schaffte es, dieses ständige Abtauchen abzustellen. 

Damit will ich nicht sagen, dass Brandt per se ein schlechter Spieler ist. Für 14 Bundesligisten wäre er eine ganz klare Verstärkung. Und wenn er, umgegeben von Führungsspielern, ein stabiles System vorfinden würde, könnte er auch auf gehobenem Niveau mitlaufen. Er ist aber ganz offensichtlich nicht der Spieler, der für dieses stabile System sorgen kann.

Dass er zum Führungsspieler hochgestolpert ist, war aber auch alternativlos. Irgendjemand musste es ja machen. Marcel Sabitzer ist so ein wenig das Gegenteil von Brandt, weil er an den Feiertagen groß aufspielen kann... aber ihm fehlt auch definitiv die Konstanz. Pascal Groß hat mit 32 den Schritt vom englischen Mittelklasseverein in die Königsklasse geschafft. Der muss primär erstmal froh sein, dass er überhaupt in der Champions mitspielen darf. Emre Can ist der lebende Beweis, dass dieses Mentalitätsding ja ganz nett ist, dass man aber ab einem gewissen Niveau auch ordentlich kicken können muss. Nilas Süle musste sich erstmal selbst aus seinem persönlichen Motivationsloch herausarbeiten. Ramy Bensebaini ist nur ein Ergänzungsspieler. Serhou Guirassy spielt ebenfalls seine erste Champions League Saison und ist halt mehr der Vollstrecker, als ein Vorneweg Marschierer. Alle anderen Feldspieler sind jünger als Brandt. Teilweise deutlich jünger. 

Die kurzfristigste Lösung wäre ja ein Nico Schlotterbeck, dem ich den Sprung zum Führungsspieler mit seinen noch 24 Jahren am ehesten zutrauen würde. Aber wenn der Junge wirklich den Sprung zum Innenverteidiger auf gehobenen internationalem Niveau macht, macht er als nächstes auch den Absprung zu einem besseren Verein. Die einzige Hoffnung ist und bleibt, dass sich Schlotterbeck so in diesen Verein verliebt, dass er bleibt, obwohl er zu einem besseren Verein gehen kann. Was halt relativ unwahrscheinlich ist, weil er seine Wurzeln halt in Freiburg und nicht in Dortmund hat.

Bleibt also die langfristige Hoffnung, dass Dortmund das Problem löst, indem sie selber einen Jungen aus dem Ruhrpott ausbilden, der die BvB DNA mit der Muttermilch aufgenommen hat und deswegen, wie ein Marco Reus, die Angebote der größeren Konkurrenz ausschlägt. Man muss dann nur noch darauf hoffen, dass der Körper dieses Spielers der Belastung auch standhält, was ja bei Reus auch immer ein Problem war. Also realistisch bedeutet dies, dass sie Tom Rothe und Felix Passlack so entwickeln, dass man die in 2 Jahren für jeweils 30 Minuten zurückkaufen muss... Geiler Plan.

Denn da sind wir aber schon wieder an dem Punkt, dass seit 15 Jahren kein Dortmunder Junge den Durchbruch bei den Profis geschafft hat. Und ja, dass Rothe jetzt bei Union so durchstartet, ist ein ganz schlechtes Zeichen für die "Wir haben denen doch eine Perspektive aufgezeigt" Fraktion im Verein. Denn anscheinend ist der Junge schon gut genug, um die Außenbahn in der Bundesliga zu beackern. Aber im eigenen Verein wurde er halt nicht geschätzt und man setzt weiter auf andere, eingekaufte Spieler wie Julian Ryerson. Und Ryerson ist auch einer der Spieler aus der Kategorie "Nett, aber nicht gut genug für die Bayern". Rothe könnte das vielleicht noch werden, man entschied sich aber dafür, ihn zu verkaufen. 

Dortmund wird es also nie schaffen, die Führungsspieler, die sie zwingend brauchen, einzukaufen, weil sich diese Spieler immer für einen größeren Verein entscheiden werden. Sie werden es aber auch nie schaffen, diese Spieler selbst auszubilden, weil ihre eigene Jugendarbeit beschissen ist und sie lieber auf ausländische als auf eigene Talente setzen. 

Damit wird man sich auch in den nächsten 5 Jahren in genau dieser Endlosschleife befinden: Man hat eine hochtalentierte Mannschaft, die an guten Tagen fast jeden Gegner an die Wand spielen kann, der es aber an Stabilität mangelt, um auch an nicht so guten Tagen die Spiele konstant zu gewinnen. So wird der Vorstand immer denken, dass da eigentlich mehr gehen müsste, aber nie begreifen, dass es dafür ein grundlegendes Umdenken an der Akademie geben muss.

Dass Nuri Sahin anscheinend kein wirklich guter Trainer ist, hilft in diesem Moment nicht wirklich weiter. Einen Azubi mit dieser beinah unlösbaren Aufgabe zu beauftragen, ist aber auch naiv. Zu glauben, dass ein anderer Trainer dieses Problem lösen kann, ist aber ebenfalls naiv.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen