So was ist wichtig. Sonst kann jemand eure Argumentation ganz leicht auseinander nehmen und am Ende bleibt nur Rassismus und Islamfeindlichkeit über.
Wer sich jetzt noch fragt, worum es geht... Die WM in Katar natürlich. Da ja gerade die Leichtathletik WM in Doha war, ist es ja gerade wieder Mode die WM Vergabe an den Wüstenstaat zu hinterfragen. Denn Doha war ja nur in der Wahrnehmung der Offiziellen die Beste WM aller Zeiten. Man hört drum herum so viele lächerliche oder unangenehme Geschichten, dass dieses Turnier echt wenig Freude verbreitet hat. Weder bei Fans, noch bei Athleten.
Und die logische Konsequenz ist natürlich, dass man einen allerletzten Versuch startet, denen die Fußball-WM wegzunehmen. Und um das vorwegzunehmen: In der Summe bin ich da voll dafür. Vor allem wegen den Verstoßen gegen das Menschenrecht. Man sollte aber trotzdem noch mal überlegen, ob die Argumente wirklich neu sind.
Fangen wir mal direkt mit dem absurdesten an: Im Katar ist es im Sommer zu warm, da kann man keine WM austragen lassen. Stimmt. Aber ist das ein Grund denen das Recht auf eine WM komplett zu verwehren? Vor allem: Verwehrt man dann nicht perspektivisch 1/3 der Welt das Recht auf die Austragung einer Weltmeisterschaft? Nebenbei auch Ländern wie Mexiko, bei denen das bereits 2 Mal problemlos ging, obwohl es dort im Sommer auch verdammt heiß ist. Oder in den Südstaaten der USA. An beiden Orten werden demnächst wieder WM Spiele ausgetragen. Oder Indien, bei denen es im Sommer auch gerne mal 40 Grad warm wird. Wollen wir perspektivisch dem Wachstumsmarkt Südostasien komplett von Großveranstaltungen ausschließen? Klingt das fair? Wäre es nicht sinnvoller ein Mal alle 25 Jahre eine längere Winterpause einzulegen und die zu integrieren?
Aber dagegen spricht ja direkt Argument Nummer 2:
Weihnachten ist bei uns Heilig, da kann man keine WM gucken! Wirklich? In einem Land in dem sich 36% der Bevölkerung konfessionslos sein will, soll Weihnachten so wichtig sein, dass da kein Fußball gespielt werden kann? Ganz absurd wird das ganze dann in England. Da sagen die ernsthaft: An Weihnachten kann kein Fußball gespielt werden, weil wir da schon Fußball spielen! Boxing Day halt. Das ist wichtig, der hält die ganze Gesellschaft zusammen. Der ist damit auch alternativlos. Da kann man auch nicht ein Mal alle 24 Jahre drauf verzichten.
Wäre es schöner, wenn die Phase zwischen Halbfinale und Finale auf den 24.-26.12. fallen? Bestimmt. Kriegt man das irgendwie hin, wenn es sonst am cleversten ist die WM in den Dezember zu legen? Ganz sicher. Dann wären Dienstag und Mittwoch die Halbfinale und Sonntags das Spiel um Platz 3 um 15 Uhr und im 19 Uhr das große Finale. Einfach Lösungen für ein irrelevantes Problem.
Aber... da ist ja einerseits schon Weihnachtsmarkt und vor allem... ist es da ja kalt. Da kann man dann nicht in kurzer Hose und mit kaltem Bier zum Public Viewing... Ähm... den Leuten ist schon bewusst, dass es immer irgendwo kalt ist, weil die Erde eine Kugel ist? Dass dieses "Luxusproblem" in Australien und der Südhälfte Südamerika quasi der ganz normale Standard ist? Aber es müssen sich ja alle nach uns richten!
Hat sich eigentlich schon mal jemand darüber Gedanken gemacht, mit wie vielen Heiligen Feiertagen anderer Weltkulturen sich jede normale Fußball-WM überschneidet? Natürlich nicht, die andern sind ja alle irrelevant. Es geht hier um unser Wohlbefinden!
Um das ganze mal an einem ganz praktischen Beispiel zu verdeutlichen: 2018 ging der Fastenmonat Ramadan bis zum 14. Juni. Was all den muslimischen Spielern die Vorbereitung erschwerte. Wäre irgendjemand auf die Idee gekommen, die WM eine Woche nach hinten zu verlegen, weil sie sich mit heiligen islamischen Ritualen besser verträgt?
Hat überhaupt jemand nen Überblick, welche wichtigen Feiertage es in China und Indien gibt? Who cares? Aber Weihnachten ist nicht verhandelbar... Give me a break.
3. Es gibt ja gar keine Fußballkultur und -geschichte im Katar.
Natürlich gibt es diese noch nicht. Aber unter welchem Stein habt ihr eigentlich die letzten 30 Jahre gelebt? Seit der WM in den USA geht es bei der Vergabe der WM auch immer um die Erschließung neuer Märkte. Und diese Märkte zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie keine Fußballgeschichte und -kultur haben. An solche Länder werden bewusst Weltmeisterschaften vergeben. Immer und immer wieder. Die WM in den USA war 1994! Danach gab es unter anderen auch Weltmeisterschaften in Fußballhochburgen wie Japan, Südkorea und Südafrika. Die sind ja bekannt dafür, dass Fußball dort Volkssport Nummer 1 ist.
4. Das ist ja die Totale Kommerzialisierung des Fußballs!
Die Erschließung neuer Märkte war immer ein entscheidender Faktor der Weltmeisterschaften. Das ist ja auch nichts schlimmes. Also ohne einige Schlüsselweltmeisterschaften (der Deutsche WM Sieg 1954 löste mal direkt ein Wirtschaftswunder aus) hätte dieser Sport in unserem Land nie diese Ausnahmestellung, die er heutzutage selbstverständlich hat. Und ohne einige geschickt gesetzte Weltmeisterschaften in den USA oder Asien würde es sich eventuell bis heute nicht lohnen seine Vorbereitungen nach dort zu verlegen. Das ist ja einer meiner Lieblingsvorwürfe an Karlheinz Rummenigge, der immer so tut als würden die Nationalmannschaften immer nur nehmen und nie was zurück geben: Ohne den absurden kommerziellen Erfolg der Fifa Weltmeisterschaften wäre Fußball nicht annähernd so weit entwickelt. Nur ist die Fifa halt nur bedingt bereit jetzt nicht weiter an den Kommerzialisierungsschrauben zu drehen. Aber das sind die Bayern, (die nebenbei genau deswegen jeden Winter nach Doha fliegen) doch auch nicht... Wir haben jahrelang alles dafür getan, dass Fußball ein absolutes Prämiumprodukt wird und jetzt stellen wir entsetzt fest, dass dieses Produkt total kommerziell ist. Natürlich ist es das. Wer damit ein Problem hat, soll Kreisklasse gucken gehen.
5. Der Katar macht solche Großveranstaltungen ja nur, um sein eigenes Image aufzupolieren!
Ähm... ja. Wie alle anderen Gastgeber auch. Also selbst die WM in Deutschland 2006 wurde von der Bundesregierung extrem unterstützt und gefördert, weil sie einerseits wussten, dass das ein riesiges Konjunkturpaket ist... andererseits wussten sie auch, dass man durch so ein Volksfest unser Image als lustiges Partyvolk (und einer damals angeblich geglückten Wiedervereinigung) prägen konnte.
Brasilien gönnte sich eine WM und Olympische Sommerspiele um allen zu zeigen, was für großartige, hochentwickelte Industrienation man doch ist. Und Russland gönnte sich eine WM und Olympische Winterspiele, damit Vladimir Putin auf der Tribüne strahlen konnte. Gestört hat uns das nie so wirklich. Aber wenn das jetzt ein fundamentalistischer, muslimischer Staat macht, dann geht das gar nicht...
6. Aber die Vergabe war doch total korrupt!
Habe ich schon mal gefragt, unter welchem Stein ihr eigentlich die letzten 30 Jahre gelebt hat? Die einzigen WM Bewerbungen der letzten 30 Jahre, die nicht korrupt waren, kamen aus Marokko. Deswegen verlieren die auch jedes Mal im letzten Wahlgang. Es wurde schon immer bestochen und das wird man bei einem derart großen Verband auch nicht mehr ändern. Eine der faszinierendsten Erlebnisse meines Lebens war ja der Moment, in dem uns die Erkenntnis getroffen hat, dass unsere WM Vergabe doch auch korrupt war. Obwohl wir alle davon ausgingen, dass es bei den Jahren davor und danach nicht unbedingt nur mit sauberen Mitteln zugegangen ist. Aber WIR sind doch so GUT, dass wir das auch ohne Geldkoffer hinbekommen! Wenn man wegen der Korruption die WM boykottieren will, hätte man damit vor Jahrzehnten anfangen müssen. Aber jahrelang hat man es einfach ignoriert und doch ausgelassen genossen.
7. Diese WM Vergabe geschah an den Spielern vorbei!
Wann wurde denn das letzte Mal bei der Planung einer WM an die Spieler gedacht? Die kamen doch schon immer an letzter Stelle. Auch hier ein praktisches Beispiel: Bei der WM 2014 wurde Manaus trotz der 40 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit, die ja mal so gar nicht gehen, als Spielort auserkoren. Und weil man die Spiele aber nicht nach Mitternacht Europäischer Zeit ansetzen wollte, weil ja der europäische Markt der wichtigste ist, mussten einzelne Spiele auch noch um 16 Uhr angepfiffen werden. Immerhin konnte in Manaus der 13 Uhr Anpfiff Termin gerade so vermieden werden... aber auch den gab's in einem Land, das teilweise in tropischen Klimazonen liegt. Weil sich niemand jemals für das Wohl der Spieler interessiert hat. Wenn es nach denen gegangen wäre, wären die Standard-Anstosszeiten 19 und 21 Uhr Ortszeit gewesen.
8. Aber die Arbeitsbedingungen! Das ist doch moderne Sklaverei!
Ich meine, da sterben Leute auf den Baustellen! Wie nebenbei auch vor der WM in Brasilien. Gerade wenn es am Ende um die rechtzeitige Fertigstellung der Spielorte geht, hat sich noch nie jemand darum gekümmert, wie es den Arbeitern dabei geht. Und was in Katar die Inder sind, waren in Russland halt Nordkoreaner.
9. Aber die sind dort auch noch Schwulen feindlich!
Wer eine wirklich gleichberechtigte und unkomplizierte Schwulenehe hat, darf den ersten Stein werfen. Vor allem regen wir uns jetzt darüber auf, wenn die Scheichs uns erklären, dass Schwule ja durchaus kommen dürfen, sie können ihre Schwulitäten halt nur nicht im Land ausleben. Denn darauf gibt es bis zu 5 Jahre Haft. Oder wie Sepp Blatter es angeblich formulierte: Schwule sollen bei der WM halt auf Sex verzichten. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Gab es denselben Hinweis nicht vor der Russland-WM auch? Also wer sich da als homosexueller Mensch auf der Straße küsst, begibt sich doch auch in Gefahr.
10. Es gibt da aber nicht mal Bier!
Scheiße, das stimmt. Wenn ich vor Ort nicht saufen kann, dann mache ich da auch nicht mit. Stellt euch mal vor, ihr seid Engländer und müsst euch diese Grütze auch noch nüchtern ansehen. Da wird man doch aggressiv.
Aber ganz ehrlich: Das betrifft am Ende höchstens 1% der Fußballfans Weltweit. Eher weniger. Der Rest wird eh nicht an Tickets kommen... oder kann sich diese gar nicht leisten. Vor allem sind das halt wirklich diese kulturellen Unterschiede, die als Grund für einen Boykott völlig absurd sind. Also stellt euch mal vor, ein Land, in dem Bierkonsum nicht zum Kulturgut erhoben wurde, boykottiert die WM in Deutschland, weil sie die ganzen Schnapsleichen und den Geruch von Erbrochenen in der Innenstadt nicht ertragen können. Die würden wir doch auslachen. Wir sind aber so was von überzeugt davon, dass unsere Lebensweise die einzig richtige ist, dass jegliche Einschränkung unserer Gewohnheiten gleich boykottiert werden muss.
Oder anderes Beispiel: Hätte man die WM Vergabe nach Südafrika verweigern sollen, weil die dort mit für unsere Ohren nervige Vuvuzelas ihre Stimmung in den Stadien erzeugen? Gerade da gilt: Andere Länder, andere Sitten, die dann vor Ort zu einer einzigartigen Stimmung führen.
Um das aber nochmal klar zustellen: Natürlich bin ich in der Summe gegen die WM im Katar, Hauptsächlich wegen den Verstoßen gegen die Menschenrechte. Ich bin auch der Meinung, dass man bei der Fifa noch gründlicher aufräumen müsste, damit es dort nicht mehr nur und ausschließlich um die Gewinnmaximierung geht. Gerade letzteres führt ja zu all den Fragwürdigen WM Vergaben und ist damit die eigentliche Wurzel des Problems, die man angehen müsste. Und die man auch nach der WM 2022 weiter angehen muss. Aber jetzt all das, was man jahrelang ignoriert hat, auf ein Mal gebunden anzubringen, ist irgendwie auch verkehrt. All die Vorwürfe, die sich Katar jetzt anhören muss, standen bei allen anderen Weltmeisterschaften auch mehr oder weniger im Raum. Ganz wenig davon ist neu.
Daher gilt: Wer wirklich gegen das System WM protestieren will, boykottiert die so lang, bis Marokko endlich alleine eine austragen kann. Dann ist die Veranstaltung gesund geschrumpft und die Vergabe war sauber. Wer nicht bereit ist diesen Schritt zu gehen, sollte jetzt nicht behaupten, dass Katar 2022 so viel schlimmer wird wie all das, was davor kam...
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