Wo es so langsam Zeit ist, sich auf die neue Bundesligasaison zu freuen... Steht ja auch die Frage im Raum, welche Persönlichkeiten diese Saison prägen werden. Und weil ich nicht mehr in der Position bin, eine Saisonvorsschau zu jedem einzelnen Verein zu schreiben, wird das jetzt mein Aufhänger. Wir fangen bei den Abstiegskandidaten an:
Yussuf Poulsen, Hamburger SV: Der HSV hatte die Weitsicht, den "Marius Ebbers Angreifer" Davie Selke ablösefrei ziehen zu lassen. Und ja, technisch gesehen gehört der nicht zwingend in diese Kategorie, da er tatsächlich mehr Bundesliga- als Zweitligatore erzielt hat. Aber er hat auch nur eine einzige Saison mit 10 Bundesligatoren im Lebenslauf stehen. Interessanterweise zieht der jetzt in eine schwächere Liga, um dort Europa League zu spielen und ordentlich abzukassieren. Clevere Entscheidung.
Ersetzen soll in die einzige RB Leipzig Ikone. Und der wird auch gleich zum Kapitän befördert. Und auch wenn dessen Mentalität nicht infrage gestellt werden kann, so kommt er doch mit einigen Fragezeichen. Zum einen hat er auch nur ein mal geschafft, mehr als 10 Bundesligatore zu erzielen. Das ist zwar nicht ganz so lange her, wie bei Selke... Aber er erzielte seine Tore in einem wesentlich konstruktiveren Umfeld.
Und machen wir uns nichts vor: Die fußballerischen Limitierungen eines Poulsen wurden durch das ihn umgebende Talent überdeckt. Jetzt ist er zumindest der am höchsten dekorierte Spieler im Kader.
Dazu kommt, dass Poulsens letzter Einsatz über 90 Minuten verdammt lange her ist. Am 16.12.2023 spielte er gegen Hoffenheim als Kapitän durch. In der darauf folgenden Wintervorbereitung verlor er seinen Stammplatz und stand nur noch 5-mal in der Startelf. Und natürlich ist er "erst" 31 Jahre (damit aber älter als Selke...), aber ob er eine Offensive selber tragen kann, muss sich erst zeigen. Wenn er 10 Tore erzielt, hält der HSV die Klasse ohne die Relegation. Trifft er nur 3 Mal, steigt man ab.
Thomas Kessler, 1. FC Köln: Wer? Nun ja, der aktuelle Sportdirektor halt. Und damit der Nachlassverwalter von Christian Keller. Die Kölner waren ja dank ihres ehemaligen Managers in einer besonderen Situation: Sie mussten ihren Abstiegskader zwangsweise zusammenhalten, weil sie keine Neuverpflichtungen tätigen durften. Erst in der Winterpause durfte man nachjustieren. Random Fun Fact: Der Spieler, um den es dabei ging, ist gerade an Essen ausgeliehen. Der wird diese Saison also nicht helfen. Thomas Kessler kommt mit der perfekten Qualifikation: Seine gesamte Karriere war er 2. Torhüter, er weiß also genau, wie es ist, von der Bank aus nicht ins Spiel eingreifen zu können. Und er wurde jetzt halt befördert, weil man nach seiner spontanen Panikattacke kurz vor Saisonende jemanden brauchte. Der, man muss es so formulieren, Novize durfte oder musste in diesem Sommer aber ordentlich zuschlagen: 22 Millionen allein in Ablösen. Mehr gab man zuletzt 2017/18 aus. Das Problem: Man bekommt für diesen Betrag keine gestandenen Spieler mehr, sondern nur Akteure aus der Kategorie "Noch nicht holländischer Nationalspieler" oder "War in Dänemark oder der 2. Liga gut". Und Köln hat ja auch eine ziemlich gute Idee davon, was mit den "Alten" so möglich ist. Von den 5 Millionen-Transfers müssen mindestens 2 sitzen, wenn man die Klasse halten will.
Leonardo Scienza, 1. FC Heidenheim: Die Lage hier ist recht einfach: Neuzugänge brauchen eh immer ein Jahr, um das System Frank Schmidt zu verinnerlichen. Deswegen verzichtet man dieses Jahr anscheinend auch komplett auf neue Spieler... Scienza ist ja als Relegationsheld schon der einzige Grund, warum man überhaupt mitspielt... jetzt bleibt die Frage, ob er endlich richtig ankommt und komplett einschlägt, damit sich Heidenheim überhaupt Hoffnungen auf den Klassenerhalt machen darf. Aber aufgrund der deutlich gestiegenen Konkurrenz bleibe ich da skeptisch.
Dietmar Hopp, TSG 1899 Hoffenheim: Hat der überhaupt noch was zu sagen in Hoffenheim? Wird er sich raushalten, falls er eigentlich nichts mehr zu sagen hat? Wer kann das schon sagen. Hopp steht aber eher demonstrativ für die gesamte Vereinsführung. Denn eigentlich ist der Kader immer viel zu gut für den Abstiegskampf. Die Frage ist, ob man auch ein produktives Arbeitsumfeld für diesen Kader schafft. Das Chaos der letzten Jahre verdeutlicht sich am ehesten an 2. Faktoren: Nach der eigentlich unmotivierten Entlassung von Pellegrino Matarazzo sicherte Christian Ilzer zwar den Klassenerhalt... aber das war so wenig überzeugend, dass er schon angezählt in die neue Saison geht. Er muss also von Tag 1 an liefern.
Dazu kommen einige "Altlasten" wie Megrim Berisha und Florian Grillitsch. Beide Spieler galten mal als Hoffnungsträger und kommen jetzt von wenig produktiven Leihen zurück. Im 34 Spieler starken Kader dürften das nicht die einzigen Spieler sein, die man lieber abgeben würde.
Jetzt darf ein angeschlagener Trainer in einem chronisch unruhigen Umfeld diesen aufgeblähten Kader betreuen... ich sehe nicht, wie das schiefgehen könnte.
Andréas Hountondji, FC St. Pauli: St. Pauli Sommer ist ein absolutes Mysterium: Sie sicherten sich den Klassenerhalt mit einer historisch guten Defensivleistung. Dass die zweitbeste Defensive vom billigsten Kader gestellt wird, dürfte ein einzigartiger Vorgang sein. Auf der anderen Seite präsentierte man aber eine oft erschreckend harmlose Offensive. Trotzdem muss man jetzt Ersatz für Elias Saad und Morgan Guilvavogui finden, während man den Defensivverbund, abgesehen vom Linksverteidiger Philipp Treu komplett halten konnte. Gerade das unfassbar stabile Zentrum konnte man komplett halten und so kann man sich jetzt auf die eingespielten Automatismen verlassen.
Fakt ist aber: 28 Tore reichen nur in Hamburg zum Klassenerhalt. Bedeutet auch nur: Die Transfers für den Angriff müssen zünden, sonst wird es ganz schnell ganz finster. Und wenn man das Pokalspiel gesehen hat, bekommt man nicht den Eindruck, als würde diese Offensive wenige Chancen in viele Tore umwandeln können.
Andrej Ilic, 1. FC Union Berlin: Ja, es ist ein langweiliger Trend erkennbar. Aber was soll ich sagen: Der offensichtlichste Unterschied zwischen einem Abstiegskandidaten und einer sorgenlosen Saison ist oftmals ein Stürmer, der dir 10+X Tore garantiert. Genaugenommen hat Steffen Baumgart nach seiner Amtsübernahme eine relevante Veränderung vorgenommen: Er katapultierte den Fehlgriff Ilic von der Tribüne in die Startelf. Und 7 Tore in 16 Spielen beweisen, wie offensichtlich richtig das war. Wenn Ilic der endgültige Durchbruch gelingt, kann man ihn im nächsten Sommer für 20 Millionen verkaufen und die nächste Bundesligasaison planen.
Wirklich interessant ist hierbei, dass Ilic von Ilyas Ansah, Livan Burcu und Oliver Burke unterstützt wird. Innerhalb von nur 6 Monaten hat Baumgart damit die Angriffsreihe komplett umgekrempelt.
Die eine Frage ist, ob Baumgart aus dieser Mannschaft eine funktionierende, hart arbeitende Mannschaft formen kann. Zuletzt zeigte er ja doch recht schnell gewisse Abnutzungserscheinungen. Die andere, ob das in Berlin noch reicht. Wenn man dort erwartet, dass Baumgart junge Spieler und einen attraktiven Spielstil entwickelt, wird man enttäuscht werden.
Sandro Wagner - FC Augsburg: Vielleicht hätte ich, anstatt ständig Stürmer aufzuzählen, doch einfach die Trainer nehmen sollen. Sandro Wagner hat eine überraschend undankbare Aufgabe: Er soll Aschenputtel in eine Prinzessin verwandeln. Denn wenn solides Arbeiten und das Vermeiden des Abstiegskampfes in Augsburg genügen würden, wäre Jess Thorup noch da. Der hat zuletzt 2 weitestgehend sorgenfreie Jahre im Angebot gehabt, es aber am Ende verpasst, die Mannschaft spielerisch weiterzuentwickeln. Auf dem Transfermarkt wurde diese Mannschaft aber nicht offensichtlich verbessert. Praktisches Beispiel: Elias Saad soll die Offensive beleben. Was sein Ex-Verein St. Pauli da angeboten hat, habt ihr gerade gelesen.
Aber Augsburg hat weiterhin einen Kader, der Mittelmaß und Graue Maus schreit. Was prinzipiell für den Klassenerhalt reichen sollte, wenn man einen verlässlichen und etablierten Trainer an der Seitenline hat. Wagner ist aber de facto ein Novize. Seine einzige Erfahrung als Cheftrainer hatte er als Regionalligist in Unterhachingen. Seine Bilanz als Co-Trainer unter Julian Nagelsmann ist, verglichen mit seinem Vorgänger im Geiste Hansi Flick, eher dürftig. Trotzdem gehen irgendwie alle gnadenlos optimistisch davon aus, dass der als Cheftrainer im Profibereich richtig einschlagen wird.
Und versteht mich nicht falsch: Ich traue Wagner durchaus zu, dass er langfristig ein guter Bundesligatrainer wird. Aber ich gehe nicht selbstverständlich davon aus, dass er dies schon ist, sondern erwarte einiges an Anpassungsschwierigkeiten und Wachstumsschmerzen. Diese werden mit einem überraschenden, aber am Ende erfolgreichen, Abstiegskampf ausgedrückt werden.
Michael Zetterer und Romano Schmid, Werder Bremen: Wie jetzt, 2 Spieler, die vielleicht gar nicht mehr da sein werden? Genau. Zetterer dürfte spontan nach Frankfurt gehen. Schmid ist schon den ganzen Sommer in England im Gespräch. Meine persönliche Meinung: Beide sind gut, aber nicht überragend. Zetterer ist für mich einer dieser Torhüter, die ahbängig von ihren Vorderleuten sind, anstatt diesen Halt zu geben. Ein durchschnittlicher Bundesligatorwart halt. Die schwierige Frage ist da eher, ob der junge Mann im Hintergrund auch schon ein durchschnittlicher Bundesligatorwart ist. Und dass Romano Schmid der kreativste Kopf im Mittelfeld ist, sagt für mich mehr über deren Mittelfeld als über Schmid aus. Und klar, der hat hin und wieder richtig starke Phasen, in denen man sich einredet, dass der große Durchbruch doch noch kommt. Aber auf diese Phasen folgen dann doch wieder 5 Wochen ohne jeglichen Scorerpunkt. Aber das Geld, welches man für beide bekommt, kann man dann in die dringend benötigte Breite investieren. Denn schon das Pokalspiel gegen Bielefeld hat ja gezeigt, dass es problematisch ist, einen Leo Bittencourt ins defensive Mittelfeld zu stellen.
Dass man allerdings 1 Woche vor dem Saisonstart noch vor solchen grundlegenden Fragen steht, spricht für eine richtig schwere Saison.
Jonathan Burkardt, 1. FSV Mainz 05: Wie jetzt, der ist doch gar nicht mehr dabei. Und Mainz ist doch viel zu weit weg vom Abstiegskampf. Wirklich? Die letzten 2 Jahre lassen sich auf einen einfachen Faktor runterbrechen: Wenn Burkardt fit und in Form war, spielte man wie ein Europacup Teilnehmer. Aber als er nach seiner schweren Knie OP ein halbes Jahr brauchte, um wieder ins Laufen zu kommen, stand man plötzlich auf Platz 17 und sah wie ein sicherer Absteiger aus.
Es behaupten ja alle gerne, dass Bo Henriksen der entscheidende Mann am Mainzer Aufschwung war. Aber bevor Burkardt wieder die Kurve bekam, startete der mit 1 Sieg in 4 Spielen. Der eigentlich entscheidende Faktor: Burkhart erzielte plötzlich wieder Tore. 24 Treffer seit dem Januar 2024. Und das, obwohl er auch letztes Jahr 5 Spiele verpasste. Von den 5 Spielen verlor man 3: In Hoffenheim, Berlin und Bremen.
Burkart war ganz offensichtlich ein Spieler, der viel zu gut für Mainz war. Auf einer Stufe mit Shinji Okazaki und Mohamed Zidan. Mit 41 Toren ist er der All Time Top-Torjäger der Mainzer. Da wird er auch noch eine Weile bleiben. Dass der überhaupt so lange da war, hat man seinen ständigen Verletzungen "zu verdanken". Jetzt hat man zwar 22 Millionen mehr auf dem Konto, aber keine Chance einen gleichwertigen Ersatz zu verpflichten. Also ein Benedict Hollerbach ist solide, kein Thema. Aber eben auch nicht mehr und trotzdem schon ein Jahr älter als Burkardt. Dazu kommt die Zusatzbelastung Europacup, die den Mainzern den Alltag erschweren wird. Im Regelmäßigen Auf und Ab dieses Vereins steht halt wieder ein Jahr Abstiegskampf auf dem Spielplan.
Meine Prognose ist dabei aber einfach: Heidenheim und St. Pauli sind zu schwach besetzt und werden damit als einzige absteigen. Union Berlin sichert sich den Klassenerhalt über die Relegation. Es sei denn, Werder gibt noch Schmid und Zetterer ab, dann spielen die Relegation.
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