Das ist ja mal direkt ein Hottake zum neuen Jahr. Das wird entweder unter "PassivesAbseitsLeserwissenesfrüher" oder "-exklusiv" fallen.
Aber lasst mal direkt den Elefanten im Raum adressieren: wenn die bei Union doch auf hohes Pressing stehen, hätten sie auch Bo Svensson behalten können. Denn Baumgart steht für genau die Art schnellen und aggressiven Fußball, den Svensson mit dieser Mannschaft nicht umsetzen konnte.
Auch stellt sich die Frage, ob der Kader zu Baumgarts Idee von Offensivspiel passt. Es gibt ja Gründe, warum der immer wieder Davie Selke holt: Der passt mit seinem 1,95 m perfekt zu Baumgarts Idee eines Zielspielers. Dass er fußballerisch eher limitiert ist, ist da egal. Jetzt hofft man quasi darauf, dass Baumgart die eher im Sande verlaufende Karriere von Jordan wiederbeleben kann. Zuletzt war der in Berlin eher ein Ergänzungsspieler. Auch die Leihe nach Gladbach verlief nicht so positiv, dass die ihn behalten wollen. Die Voraussetzungen sind also eher schlecht.
Der eigentliche Lichtblick in der zugegeben sehr trägen Offensive war ja Benedict Hollerbach. Der taugt aber nicht zum Zielspieler. Man muss also entweder doch auf dem Transfermarkt zuschlagen... oder hoffen, dass Baumgart die Spieler weiterentwickelt oder reanimiert.
Union glaubt ja, dass er diese fördern kann... Aber spricht die Bilanz wirklich für Baumgart?
Gucken wir uns mal die Bilanz in Köln an. Wie viele Spieler hat er da deutlich besser gemacht?
Da bleibt natürlich der eine Erfolgsfall hervorzuheben: Dass Ellyes Skhiri so gut wird, hat selbst in Köln niemand erwartet. "so gut" heißt hier, dass die Eintracht ihn plötzlich auf dem Radar hatte. "Niemand erwartet" heißt, dass er ablösefrei gegangen ist, was schon für eine krasse Fehlplanung spricht. Andererseits... war Skhiri schon vor Baumgart unumstrittener Stammspieler teil der Nationalmannschaft Marokkos.
Aber auf die Transferbilanz gucken, ist vielleicht gar nicht so falscher Ansatz, um die Spielerentwicklung zu beurteilen: Wie viele Spieler hat Baumgart denn so weit nach vorne gebracht, dass sie mit viel Gewinn verkauft werden konnten? Und wie viele dieser Spieler sind dann mit Baumgarts Hilfe groß durchgestartet?
Da haben wir dann... Sebastiaan Bornauw. 5,25 Millionen hat der 1. FC Köln an diesem Transfer verdient. Das ist beinah ein reiner Inflationsausgleich, denn Bornauw ist immer noch derselbe Verteidiger, wie damals: souverän und robust gegen den Ball. Starkes Kopfballspiel, aber mit dem Fuß sehr begrenzt. Dass der nach 2 Jahren so viel mehr wert sein soll, liegt mehr an der größeren Plattform und höheren Liga, in der er sich bewiesen hat, als an einer großartigen Entwicklung. Hätte diese stattgefunden, wäre er für 20 Millionen nach Dortmund gegangen.
Apropos Dortmund: die haben 5 Millionen für Salih Özcan bezahlt... warum die den überhaupt haben wollten, bleibt ein Rätsel, denn sachlich gesehen war der eher ein Spieler für Wolfsburg... wo er jetzt auf der Bank sitzt. Dazu kommen 7 Millionen für Ismail Jakobs, der mittlerweile in der Türkei gelandet ist. Das sind im Wesentlichen die beiden Jugendspieler, die Baumgart vorangebracht hat. Für 2 Jahre ordentlich, aber nicht überragend. Keiner der von ihm geförderten Spieler bringt internationales Niveau. Kein einziger Deutscher Nationalspieler wurde gefördert und hervorgebracht.
Dazu kommen die Fälle, in denen diese Förderung komplett im Sande verlaufen ist: das schmerzhafteste Beispiel Stefan Tigges. Ich habe ja damals prognostiziert, dass beide Parteien von dem Tausch von Anthony Modeste und Tigges profitieren würden. Wobei mich im Nachhinein vor allem überrascht, wie positiv ich Modeste gesehen habe. Dass er sich einfach nur für ein Jahr richtig Mühe gegeben hat, um wieder einen fetten Vertrag angeboten zu bekommen, und danach in der Versenkung verschwindet, hätte man ahnen können. Es gab da keine "große Weiterentwicklung", sondern lediglich eine Wiederholung der 2016/17er Saison. Modeste ist das personifizierte "Contract Year Phenomenon". Nur, dass man als Fußballer dafür keinen auslaufenden Vertrag braucht.
Aber gerade mit der "Modeste wird wie immer wieder nachlassen" Erkenntnis sollte doch der Tausch gegen den wesentlich jüngeren Tigges noch besser aussehen... Der muss jetzt nicht mal viel liefern, um besser als Modeste in Dortmund abzuschneiden. Wenn Baumgart denn jetzt fördern und entwickeln kann, spielt Köln noch in der Bundesliga. Kurz auf die Tabelle geguckt: Tun sie nicht.
Nebenbei lässt sich das gesamte letzte Jahr mit Baumgart genau darauf reduzieren: Aufgrund des ganzen Chaos um die Transfersperre und den Abschieden von Skhiri, Ondrej Duda und Jonas Hector war Baumgart in der Saison 2023/24 extrem als Entwickler gefordert. Er ist an dieser Aufgabe einfach mal gescheitert. So krass, dass er nicht mal das Jahr 2024 erreicht hat.
Und in Hamburg ist die Bilanz dann eher noch desaströser. Denn da hatte er zum ersten Mal in seiner Karriere einen, relativ zur Konkurrenz, richtig guten Kader. Da hätte er nur 2 oder 3 der jüngeren Spieler besser machen müssen, um souverän den Aufstieg zu sichern. Stattdessen holt er Marco Richter und Davie Selke...
Das sind vielleicht auch, neben Christopher Antwi-Adjei, die Paradebeispiele für Baumgarts Förderung: Er nimmt Spieler, die vom Leistungsniveau irgendwo zwischen 1. und 2. Liga pendeln. Er bringt die dann häufig tatsächlich auf Bundesliganiveau. Er bringt mit seinem einfachen, aber intensiven Fußball diese Spieler und die Mannschaft zum Funktionieren. In der einen Saison, in der das perfekt gelaufen ist, ging es sogar nach Europa. Aber im Normalfall ist man froh, wenn man im unteren Mittelfeld landet. Spieler aber wirklich so essenziell besser zu machen, dass die wirklich in der Bundesliga mithalten können, gelang ihm nur ganz selten.
Das bedeutet jetzt nicht, dass Baumgart ein schlechter Trainer ist. Wenn man mit relativ geringen finanziellen Mitteln eine Mannschaft stabilisieren muss, kann man den sofort holen. Wenn man mit dem Existenzkampf in der Bundesliga "zufrieden" ist, weil man erkannt hat, dass das alles ist, was wirtschaftlich noch stemmbar ist, ist Baumgart dein perfekter Trainer.
Aber ein Investorenverein wie Union Berlin wird sich damit nicht zufriedengeben. Und ja, wenn die eine natürliche und normale Entwicklung genommen hätten, wäre Baumgart genau der richtige Mann. Aber dieser Verein hat einige Entwicklungsschritte übersprungen. Er steckt mal so nebenbei 20-30 Millionen Euro in die Ablösen seiner Neuzugänge... Die zwischen 2021 und 2023 haben die jede Saison mehr Geld in Transfers gesteckt, als Baumgarts Vereine in seiner gesamten bisherigen Karriere. Da muss man auch von einer ganz anderen Erwartungshaltung ausgehen: Einfach nur graues Mittelfeld wird da nicht reichen. Deswegen haben sie ja Bo Svensson entlassen.
Und der Unterschied zwischen Svensson und Baumgart ist einfach nicht so relevant, dass man den einen unbedingt entlassen muss, wenn er an sich im Soll liegt, um den anderen zu holen.
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