Was mich an Traditionsvereinen am meisten irritiert, und damit auch zu dieser Serie inspiriert, ist ja die Willkür. Man erklärt den einen Verein zur Tradition, den anderen zur Retorte. Und den einem Mann hinter dem Verein zum Heiligen, den anderen zum Judas. Aufgefallen ist mir das vor einigen Monaten als...
Die SG Wattenscheid 09 Insolvenz anmelden und den Spielbetrieb einstellen musste. Allgemeiner Tenor: Wieder stirbt ein Traditionsverein. Das ist so traurig. Und ein Ergebnis der Kommerzialisierung! Wie furchtbar.
Um hier einen kurzen Disclaimer einzuschieben: Dies geht nicht gegen die treuen Fans, die teilweise seit 40 Jahren ins Stadion gegangen sind. Jedenfalls nicht vordergründig. Man sucht sich den Verein, an den man sein Herz verliert, halt nicht aus.
Aber hier ist das absurde: All die Leute, die jetzt diesen treuen Fans ihr Beileid aussprechen, hätten nie von diesem Verein gehört, wenn es Klaus Steilmann nicht gegeben hätte. Es hätte auch kein Sportschau Spezial gegeben. Denn es war ein Mäzen, der den Verein auf die Landkarte brachte.
Steilmann entschied irgendwann aus einer Laune heraus, dass es in einem Stadtteil von Bochum auf ein Mal Bundesligafußball geben soll. Also hat er, weil sein Textilunternehmen damals noch hervorragend lief, das Geld in die Hand genommen, die Spieler in seiner Firma angestellt, bevor es reine Profibedingungen gab, und der Verein wurde in die Bundesliga getrieben.
Nur um das mal zu verdeutlichen: Man verpflichtete als Zweitligist Carlos Babington, einen argentinischen Nationalspieler.
Wenn euch das alles bekannt vorkommt, liegt das daran, dass es eine moderne Version dieses Anti-Märchen gibt: Die TSG Hoffenheim und Dietmar Hopp. Die haben, als Hopp sich 1999 in den Kopf setze Bundesligafußball auch in der Region zu sehen, ebenfalls viel Geld in die Hand genommen um eigentlich überqualifizierte Spieler zu holen. Und man war dabei um einiges erfolgreicher als das heimliche Vorbild.
Nur wurde man dadurch auch sofort zum Feindbild der Fans. Gerade für die Anhänger der Traditionsvereine.
Natürlich kann man an der Stelle behaupten: Hopp hat ja 350 Millionen in den Verein gesteckt! Das ist ja viel mehr Geld als Wattenscheid damals brauchte! Naja... man muss schon die absurde Hyperinflation des Fußballs im Blick haben. Also zu Zeiten, wo einzelne Fußballer über 100 Millionen wert sind, ist das gar nicht mehr so viel Geld. Wenn Hopp sich schon 1990 in den Kopf gesetzt hätte in die Bundesliga aufzusteigen, hätte er auch nur 30 Millionen in die Hand nehmen müssen. Nur hat das halt damals keiner absehen können, deswegen haben die Großinvestoren darauf verzichtet...
Im wesentlichen haben Steilmann und Hopp exakt dasselbe getan. Nur hat der eine dabei ein Traditionsverein, der andere ein Feindbild erschaffen. Logisch nachvollziehbar ist das nicht.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Rhein-Neckar-Kreis einer der wirtschaftlich stärksten Regionen in Deutschland ist... und im Profifußball vor der TSG chronisch unterrepräsentiert war. Anders ausgedrückt: Wie immer hat erst die Inkompetenz der Traditionsvereine, in diesem Fall Waldhof Mannheim, die Tür für die Retortenvereine geöffnet. Wenn die nicht zur Jahrtausendwende in der 5. Liga rumgegurkt wären (und Hopps Hilfe dankend abgelehnt hätten), würden die heute, dank der Unterstützung von Hopp und mit SAP auf der Brust, Bundesliga spielen...
Und wir würden uns alle darüber freuen, dass dieser Traditionsverein dank der tollen Unterstützung dieses Gutmenschen wieder zurück ist. Es gibt ja genügend Geschichten, in denen ein potenter Geldgeber einen alten Verein vor der Pleite rettet und wieder nach oben bringen will. Gut, die wenigsten dieser Geschichten, siehe Wattenscheid, enden gut, aber es gibt sie zu Hauf.
Genau so wie es überraschend viele "Wurden von einem Mäzen hochgezogen, der hat die Motivation verloren, danach stürzte man wieder ab" Traditionsvereine gibt. Anscheinend ist es für die Fans kein Problem, wenn der Mäzen den Verein Anfang der 90er hochgepumpt hat.
Also die letzte "abgestürzte Traditionsverein" Serie aus dem Kicker ging ausschließlich um genau solche Vereine. Eigentlich muss man es Hopp hoch anrechnen, dass er es als Einziger geschafft hat, diese Idee wirklich durchzuziehen und dabei einen erfolgreichen und seriös wirtschaftenden Verein aufzubauen.
Das ist nebenbei der gravierende Unterschied zwischen Hoffenheim und Wattenscheid: Der Retortenklub von den beiden kann sich selber tragen. Man ist mittlerweile vom Mäzen unabhängig. Man konnte diesen, wie die Footballleaks belegen, sogar mit dem einen oder anderen Transfer etwas zurück geben. Der Verein steht mittlerweile auf einem stabilen Fundament. Was natürlich auch daran liegt, dass man eben in einer wirtschaftlich starken Region liegt und man ein relatives Loch auf der Landkarte füllt. Ok, das Loch ist nicht so groß, wie in Leipzig... aber gerade verglichen mit dem Ruhrgebiet, wo halt Wattenscheid um Aufmerksamkeit kämpfen musste, ist es immer noch gigantisch.
Und so schleppte sich Wattenscheid von Investor zu Investor. Einer seriöser als der andere. Nur das dieser Investoren halt darauf hofften, dass man den Verein "zu alter Größe" führen könnte, in dem man Peter Neururer verpflichtet, anstatt ihn einfach nur zu stabilisieren. Zumindest dürfte das bei Oğuzhan Can das Problem gewesen sein. Man hat es aber nie geschafft seine gesunde Nische hinter den ganz großen Vereinen zu finden. Also quasi wie Union Berlin in der Hauptstadt.
Im wesentlichen waren schon die Bundesligajahre ein reines Kunstprojekt, welches seit dem permanent künstlich am Leben gehalten worden ist... Und am Ende hat man sich so sehr an diese Kunst gewöhnt, dass man das Label "Tradition" drauf geklatscht hat.
Was ja zu der spannenden Frage führt: Ab wann werden wir uns so sehr an Hoffenheim gewöhnt haben, dass auch die ein Traditionsverein sind. Wird Hopp das noch selber erleben? Muss er dafür 100 Jahre werden? Oder müssen sie erst absteigen und in der 3. Liga um die Existenz kämpfen, bevor sie dieses "Gütesiegel" bekommen?
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