Dienstag, 3. Juli 2012

Ach, wie Mainstream ich doch auf einmal geworden bin

es ist schon faszinierend, was 90 Minuten gegen Italien so anrichten können... Auf einmal wird aus dem Genie Jogi Löw ein Vollpfosten. Am Extremsten wurde diese Wandlung natürlich in der Bild durchgezogen... und sie betrifft nicht nur Löw... Aber selbst der Kicker spricht (endlich) von einer überstrapazierten Nibelungentreue zu Lukas Podolski... Noch vor dem 3. Spieltag der Gruppenphase war davon nichts zu spüren... Hätte man nicht als sachlich kritisches Fachmagazin auch an der Stelle mal darauf hinweisen können, dass die anderen Nationalspieler mit 100 Länderspielen wesentlich mehr geleistet haben, als unser Prinz... Man hätte schon an der Stelle mal diese "Nibelungentreue" hinterfragen dürfen... und wäre dann bei folgendem Punkt angekommen: ist es eigentlich fair, dass Löw an Poldi so lange festhält, bis er die 100 Länderspiele voll macht, während er einen Michael Ballack eiskalt absägt? Warum lässt man jemanden so offensichtlich mit zweierlei Maß messen? 
Und anstatt vorher mal zu hinterfragen, ob ein Podolski überhaupt noch etwas in diesem Kader verloren hat (und warum ein Kevin Großkreutz nicht mal eine Chance kriegt), wird ganz selbstverständlich hingenommen, dass Podolski ja wohl in der Startformation stehen wird... war ja schließlich schon immer so, gehört sich also auch irgendwie so...
Nur mal so nebenbei: Lukas Podolski wird in ungefähr 3 Monaten mehr Länderspiele auf dem Buckel haben, als ein Franz Beckenbauer... Mir graut es jetzt schon vor dem Tag, an dem Prinz Poldi die Expertenrolle des Kaiser Franzs übernimmt...

Aber nein... vor dem Italien-Spiel war Löw ja noch der nicht zu hinterfragende Magier... und Poldi unser Held, der ja in den Turnieren und auch sonst in entscheidenden Spielen immer seine Leistung gebracht hat... nur das letzteres mal ne glatte Lüge ist... Sein Halbfinal- und Finalnotenschnitt ist durch das Spiel gegen Italien nicht gerade nach oben geschnellt... Er ist dann jetzt bei 4,7 in 6 Spielen...

Natürlich reitet dieser Artikel nur auf dem Fakt rum, dass ich es euch ja gesagt habe... (und ich bin selber froh, dass ich jetzt nicht den Gegenteiligen Artikel im "ja, man kann mit Poldi doch Titel holen und er spielt im entscheidenden Spiel sogar gut" Modus schreiben muss).
Aber es schockiert mich ein wenig, dass es keine Grauzone mehr gibt. Kein "ja, es hat nicht ganz gereicht, aber wir haben im wesentlichen trotzdem ein gutes Turnier gespielt." Es gibt nur noch ein "wir sind unbesiegbar und holen den Titel" oder ein "Ihr seid genauso große Deppen wie die Vollidioten aus dem Jahr 2000"... Natürlich müssen sich Phillip Lahm und Bastian Schweinsteiger langsam fragen lassen, ob sie nicht zu früh zu einer Goldenen Generation ernannt wurden... Vor allem in einem Land mit 3 Welt- und Europameistertiteln, wo man eigentlich etwas gewinnen muss um als eine solche betrachtet zu werden. (Und nein, der U21-Europameistertitel 2009 zählt da nicht... Schließlich hat sich da auch Italien von uns schlagen lassen, dass muss also eine unbedeutende Veranstaltung gewesen sein...
Aber der Rest dieser Mannschaft ist noch verdammt jung... und es wird von Turnier zu Turnier schwerer werden, sie aufzuhalten... schließlich wird Poldi ja vor einem Mesut Özil zurücktreten... sollte man zumindest meinen, es ist auch nicht ganz auszuschließen, dass Jogi Löw ihn auch mit 38 noch nominiert...

Deutschland hat alles in allem ein gutes Turnier gespielt. Sie hatte halt das "Pech" in einem Halbfinale auf eine sehr gute (und sehr gut eingestellte) Italienische Mannschaft zu treffen... die auch einfach (über die gesamte Saison gesehen) ausgeruhter und frischer war... Und Jogi Löw hat meines erachtens einen einzigen Fehler gemacht... Ob ein einfacher Wechsel von Podolski auf Marco Reus schon gereicht hätte, um die Italiener zu schlagen? Keine Ahnung...
Aber selbst das Festhalten an Bastian Schweinsteiger würde ich ihm nicht vorwerfen wollen. Man stelle sich vor, Löw lässt nach 4 Siegen sein Chefchen im Defensiven Mittelfeld raus und scheidet dann (auf einmal deswegen) aus... Wie krass wäre dann das Medienecho geworden? OK, viel schlimmer wohl doch auch nicht...
Auch das Umstellen des Systems um auf den Dominantesten Spieler dieses Turniers zu reagieren... war an sich richtig. Wer wirklich glaubt, dass man im Internationale Fußball eiskalt und immer seinen Stil durchdrücken kann... hat diese Seite noch nie aufgerufen. Natürlich muss man sich als Trainer gedanken machen, wie man auf einen (gerade so einzigartig spielenden Spieler wie) Andrea Pirlo reagiert. Sonst nimmt er einen halt mit Diagonalpässen auseinannever mind das hat er ja trotzdem getan...

Als Schlußpunkt: Es ist nebenbei schon faszinierend, wie der Kicker, jetzt wo es nicht gereicht hat, auch vorherige Leistungen relativiert. Nur mal so zum Mitzählen: Nach dem euphorisierenden Auftaktglückssieg gegen Portugal gab man Mats Hummels noch eine glatte Eins und erklärte ihm zum Spieler des Tages. Mit letzterem hatten sie sogar recht... aber "Summa cum laude"? Die beste Note, die man so vergeben kann? Jetzt nach dem Ausscheiden zählt er im Montagskicker immernoch zu den Gewinnern dieser EM, aber da heißt es auf einmal schon: "wenngleich er schon gegen Portugal (...) nicht fehlerfrei war." Wie immer erwähn ich es ja nur, aber eigentlich können beide Bewertungen nicht zu einem Spieler in einem Spiel passen ...

1 Kommentar:

  1. Das was du da geschrieben hast fasst die deutsche Mentalität wunderbar zusammen!

    1. Solange an etwas festhalten bis es nicht mehr geht mit der Begründung: "Hat doch schon immer funktioniert" ...solange es gut geht kann ja schließlich niemand was dagegen sagen.

    2. Wenn es dann doch schief geht sucht man sich möglichst schnell einen Sündenbock, ob der dann im Endeffekt wirklich alleine Schuld war spielt keine große Rolle.

    3. Es gibt nur schwarz und weiß, aus Überfliegern werden Versager. Insbesondere gewisse Medien tun sich besonders hervor und neuerdings lassen sich offensichtlich auch manche "Fachblätter" anstecken.

    Oder mit anderen Worten: Ohne Rücksicht auf Verluste macht man es sich immer so einfach wie möglich. Selbstreflexion? Fehleranalyse? ...scheinbar alles überbewertet.

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