Freitag, 26. Februar 2021

Die Auswärtstorregel ist etwas wunderschönes.

 Und ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich früher mal das Gegenteil behauptet habe. Das war aber wahrscheinlich im Rahmen der Relegation. Da gibt es einen entscheidenden Unterschied: Das Ergebnis der Relegation ist oftmals essenziell für den Verein. Ein Abstieg ist ein dramatischer Einschnitt, ein verweigerter Aufstieg ebenfalls. Das Erreichen der nächsten Runde in der K.O. Phase ist, dank der endlos aufgeblähten Gruppenphase reiner Luxus. Sollte es zumindest sein.

Natürlich gibt es mittlerweile Argumente gegen die Auswärtstorregel. Sie ist definitiv in die Jahre gekommen. Denn das Reisen hat halt wesentlich weniger Einfluss auf die Leistung als vor 50 Jahren, weil wir einen extremen Luxusstatus erreicht haben... Und auch eine extrem hohe Sicherheit. Man sollte auch nicht verschweigen, dass Fußballmannschaften schon bei Auswärtsreisen abgestürzt sind. Heute ist das größte Problem, dass man eventuell wegen eines Nachtflugverbotes nicht abheben darf...

Weiterhin ruiniert diese Regel die Hinspiele. Am Ende ist eine 1:0 Auswärtsniederlage ein gutes Ergebnis. Wie oft hört man Leute nach einem 1:2 sagen "Das ist gut für uns, wir haben unser Auswärtstor." Ok, ganz so schlimm ist es nicht, aber bei einem Unentschieden kommt das jedes Mal. Gleichzeitig lohnt es sich für die Gastgebende Mannschaft kaum, noch das 2:1 zu erzielen. Das führt dazu, dass oftmals knappe Ergebnisse von beiden Mannschaften strategisch verteidigt werden.

Natürlich könnte man behaupten, dass das eine Einstellungssache ist und die Heimmannschaft definitiv auf das 3:1 gehen sollte. Allerdings bewies Barca jahrelang, dass es vollkommen irrelevant ist, wie hoch man das Hinspiel gewonnen oder verloren hat.


Was macht die Auswärtstorregel jetzt so wunderschön? Nun ja, ein Tor ändert buchstäblich alles für BEIDE Mannschaften. Mir passiert es relativ oft, dass ich am Donnerstagabend in zufällige Rückspiele in der Europa League rein zappe und dann von den extremen Emotionen beider Mannschaften mitgerissen werde... obwohl ich nicht mal genau wüsste, wo diese Orte liegen und in welcher Liga die spielen. Und so regelmäßig, wie die Deutschen Mannschaften versagen, ist das ja der einzige Grund im März Europa League zu gucken...

Stellt euch einfach mal folgende Frage: Wo sonst wirft Innenverteidiger, der eingewechselt worden ist, um das Ergebnis über die Zeit zu bringen, plötzlich verzweifelt im gegnerischen Strafraum in jeden langen Ball, weil sein Team auf ein Mal dringend ein Tor braucht.

Nehmen wir mal Arenal - Benfica: Nach einer Stunde sah es nach einem sicheren Weiterkommen für Benfica aus, denn wie wahrscheinlich ist es, dass eine Ansammlung von Arsenal-Stürmern in 30 Minuten 2 Tore schießen? Genau. Aber in der 67. Minute fängt der sichere Vorsprung an zu wackeln. Und in der 87. schießt Arsenal tatsächlich den Treffer, der die nächste Runde bedeuten würde. Und dann köpft Rafa den Ball aus Abseitsposition noch an den Pfosten, das Spiel hätte erneut auf den Kopf gestellt werden können. Vor allem gab es in der 2. Halbzeit keine einzige "Lass mal durchatmen und sortieren" Phase. In der beide Teams durchpusten und sagen "Hey, im schlimmsten Fall geht es halt in die Verlängerung."

Und wenn ihr jetzt denkt: Das ist doch eine Ausnahmesituation. Ähm... nein. Eindhoven ist praktisch in der 88. Minute aus dem Wettbewerb geflogen. In diesem Spiel trifft Kouka kurz vor den Knock Out den Pfosten und nicht danach... Allein in dieser Runde passierte es also 2 Mal.


Ich erkläre den Unterschied zu allen anderen Situationen anhand anderer Situationen. Und Schalker Fans sollten dranbleiben, wir kommen gleich zur "guten, alten Zeit". Aber zunächst:

Paderborn - Dortmund: Wie immer kehren wir zu diesem Spiel zurück und Steffen Baumgart bekommt PTSD. Der wird meinen Blog wohl als nächstes deabonnieren... Aber jetzt stellt euch vor, der Elfmeter in der Nachspielzeit hätte nicht nur die Verlängerung bedeutet, sondern direkt das Weiterkommen besiegelt. Dann liegen sich die Paderborner, trotz Abstandsregeln, 3 Tage am Stück in den Armen und die Dortmunder trauen sich trotz Beherbergungsverbot 3 Tage nicht zurück in den Pott getraut. Damn, ich wollte diesen Post Covid-frei halten, hat mal wieder nicht funktioniert. Stattdessen repariert Dortmund dieses Missgeschick halt einfach in der Verlängerung. Ist ärgerlich, aber nicht wirklich schlimm. Nebenbei fällt mir da eine spontane Regeländerung ein, die den DFB Pokal spannender macht: Wenn es nach 90 Minuten unentschieden steht, kommt die klassentiefere Mannschaft weiter. Verlängerung gibt es nur beim "Bundesliga - Bundesliga" oder "2. Liga gegen 2. Liga" Szenario. Sportlich unfair und willkürlich? Vielleicht. Aber sehr viel interessanter. Ich denke das mal durch.

Kommen wir zur guten, alten Schalker Zeit. Dieses wunderschöne Damals, als man noch geheult hat, weil man in allerletzter Sekunde... nicht Meister wurde. Als könnte es um irgendwas anderes gehen, als um das emotionalste Meisterschaftsfinale aller Zeiten.

Also Patrik Anderssons Tor nach einem indirekten Freistoß ist ja das dichteste, was man an "Auf der einen Seite eskaliert die Freude, auf der anderen Seite brechen die Tränen aus" erleben kann. Und natürlich ist der Rahmen einer Deutschen Meisterschaft viel größer, als die Europa League Zwischenrunde. Aber hier ist halt der Unterschied: Zwischen Volksparkstadion und "Einfach nur" Parkstadion liegen 350 Kilometer. 

In der Bundesliga sehen die Emotionen meistens so aus: Die eine Mannschaft feiert ausgelassen, während die gegnerischen Spieler fragen, wohin sie als Nächstes in den Urlaub fliegen. Hin und wieder gibt es Situationen, wo beide gemeinsam weinen, weil Frankfurt die sicher geglaubte Meisterschaft vergeigt und Hansa trotzdem absteigt.

Ich muss an der Stelle kurz an eine für mich ebenfalls schöne Geschichte denken. Wie mein Kumpel in meiner Kneipe frustriert jammerte, dass die Südkoreaner jetzt groß feiern, weil sie Deutschland besiegt haben... obwohl sie auch ausgeschieden sind. Und ich dann nur sagte: Die feiern, weil sie glauben, dass sie weiter sind... und dann nicht in den Krieg müssen, wenn sie zurück in der Heimat sind. Als sie dann das Ergebnis des Parallelspiels erfahren haben, war es mit dem Jubel sehr schnell vorbei.

Und ja, es herrscht offiziell immer noch Krieg zwischen Nord- und Südkorea, was dazu führt, dass junge Männer dort einen ganz anderen Militärdienst ableisten müssen, als wir hier... Und herausragende sportliche Leistungen können einen von diesem Dienst befreien. Wir kriegen das meistens nur am Rande mit. 

Exkursion beendet. Es ging ja eigentlich auch nur darum zu verdeutlichen, dass diese emotionalen Bilder, wenn sie denn mal jenseits des Europacups auftauchen, auf Ewigkeiten im Gedächtnis bleiben. Im Europacup bekommt man derartige Bilder ein Mal im Monat. Und eine der Grundlagen für die Intensität dieser Bilder ist die sportlich vielleicht fragwürdige Auswärtstorregel. Lasst uns die beibehalten.

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